Die EZB will ihre Nullzinspolitik noch zumindest bis Ende 2019 fortsetzen. Hat sie den richtigen Zeitpunkt verpasst, den Leitzins zu erhöhen?
MARTIN KOCHER: Es wäre sehr gut gewesen, Handlungsspielraum zu haben. Die EZB ist bei einer Rezession nicht handlungsfähig, um die Wirtschaft anzukurbeln – oder sie müsste sehr unkonventionelle, theoretische Methoden wie Helikoptergeld (Ausweitung der Geldmenge durch staatliche Geldgeschenke, Anm.) anwenden.

Wird die Zinswende auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben?
Ich denke, ja. Im Moment ist 2020 das neue Ziel. Das neue Kreditprogramm vor allem für italienische Geschäftsbanken wirft die Frage auf, ob mehr gleiche Medizin hilft oder man etwas anderes überlegen sollte.

Was wäre „etwas anderes“?
Man müsste in Italien strukturell etwas tun – Bürokratie verringern, Investitionen stärken. Jetzt sind Leute an der Macht, die gegenläufig arbeiten.

In Österreich kündigte die Regierung eine Steuerreform im Volumen von 4,5 Milliarden Euro an. Lässt das die Konjunktur noch zu?
Es wird schwieriger, sollte die Konjunktur schwächer werden. Wobei Spielraum da ist. Die Milliarde für 2020 zur Senkung der Lohnnebenkosten, der Krankenversicherungsbeiträge und kleineren Entlastungen, kann man finden. Aber 2021 …

… wenn es zur angekündigten Reform der Einkommenssteuer im Bereich von 1,5 Milliarden Euro oder mehr kommen soll …
… wird es Gegenfinanzierungen brauchen.

Die ja abgelehnt werden.
Man könnte ja die Ausgaben in strukturellen Bereichen kürzen: Gesundheit, Pflege, Föderalismus, Bildung, Pensionen möglicherweise. Da hätte man aber schon beginnen müssen, sich Spielräume zu erarbeiten. Wir haben auch sehr viele Förderungen, da kann man viel einsparen. Uns fehlt bei den Förderungen weiter die Transparenz.

Wie tief soll die Körperschaftssteuer gesenkt werden? Darf noch ein Zweier vorne stehen?
Ob es 19, 20, 21 oder 22 Prozent sind, ist ökonomisch irrelevant. Andere Dinge wären wichtiger: Bei der Bürokratie kann man viel Kosten einsparen, mit neuen Abschreibungsregeln mehr Impulse setzen.

Wird 2018 das letzte Jahr mit einem Budgetdefizit gewesen sein?
Auch die Frage, ob das Budget ein paar Zehntelprozentpunkte im Plus oder Minus ist, ist ökonomisch irrelevant.

Erwischt uns der Konjunktureinbruch voll oder wird Österreich nur gestreift?
Noch haben wir ja keinen Einbruch prognostiziert. Inwieweit sich die deutlich schlechter laufende Konjunktur in Deutschland oder Italien auf Österreich überträgt, ist unklar. Wir haben ja eine gute Konsumkonjunktur und müssen unsere Prognose sicher nicht massiv nach unten korrigieren.

Die letzte Prognose des IHS lautete ja 1,7 Prozent Wachstum für 2019, 1,6 Prozent 2020.
Es kann sein, dass wir in dem Bereich bleiben. Die Abhängigkeit von Deutschland scheint nicht mehr ganz so stark zu sein, wir hängen mittlerweile auch stark von Osteuropa ab – und da sind die Wachstumsraten noch immer sehr gut.

Also bleibt es bei einer Delle?
Es schaut nach einer Delle und nicht nach einer größeren Rezession aus. Alle Prognosen besagen, dass auch 2020 das Wachstum in Deutschland und anderswo wieder anspringt. Ein Grund könnte die expansive Geldpolitik sein, die das Wachstumsfeuer entfacht.

Ist der Brexit derzeit Europas größtes Konjunkturrisiko?
Ja, gerade jetzt, wo die Konjunktur schwächer wird. Ein harter Brexit würde die Stimmung massiv verschlechtern. Aber niemand will ihn, es würde mich daher sehr überraschen, wenn er käme. Der Backstop ist das Dilemma – es war falsch, ihn überhaupt zu erfinden.

Was hielten Sie von einem Alleingang Österreichs bei Einführung der Digitalsteuer?
Ökonomisch wird die Steuer keine große Auswirkung haben. Es ist die protektionistische Retourkutsche an Trump. Ob dieser politische Streit es wert ist, ist die Frage.