Sie sind auf einem Bauernhof nahe Klagenfurt aufgewachsen. Was lernten Sie als Bauernbub fürs Leben?
PETER HILDEBRAND: Das Arbeiten. In der Landwirtschaft wollte oder musste man als Kind immer mitarbeiten. Manches freute einen mehr, anderes weniger. Das Kühe hüten hat mir nicht so gut gefallen.

Den Bauernhof gibt es noch?
Ja, ich bin Nebenerwerbslandwirt. Den Wald bewirtschafte ich selbst, die Felder sind verpachtet. Ich sage immer: In schlechten Zeiten bin ich der, der die Kartoffeln hat.

Sie waren in der Erdölindustrie tätig, mit Stationen unter anderem in Kairo, Kuweit, Oman und zuletzt Japan. Wie kam es zum Wechsel in die Textilbranche?
Ich hatte im Urlaub meine Frau kennen gelernt und ein bisschen die Nase voll von den Japanern. 1989 wurde gerade der Standort von Betten Reiter in Leonding gebaut – meine Frau erzählte mir, dass man dort eine Leitung suchte.

Das war ein ziemlich radikaler Branchenwechsel, oder?
Das ist tatsächlich ein weiter Weg. Ich habe mich getraut. Natürlich habe ich als Quereinsteiger am Anfang nicht viel gewusst, aber man lernt jeden Tag dazu – auch heute noch.

2005 wurden Sie vom Mitarbeiter zum Eigentümer.
Betten Reiter ist im Besitz von Stiftungen, meine Frau und ich halten über eine Stiftung zwei Drittel der Firma. Es gab stürmische Zeiten, da haben wir die Anteile der Familie Reiter übernommen.

War es Ihr Traum, selbstständig zu sein?
Ich bin seit 1980 ununterbrochen in Führungspositionen. Ich habe da nicht anders agiert als jetzt. Man ist in einer Führungsposition immer bemüht, das Beste zu tun – nur kann ich mir jetzt meine Ziele besser und alleine stecken.

Sie meinten einmal, die auf Work-Life-Balance ausgerichtete Arbeitseinstellung vieler junger Manager verwundere Sie.
Mich hat vor Jahren schockiert, wie extrem wichtig einem Aspiranten als Geschäftsführer die Work-Life-Balance war. Sie ist ja wichtig, aber in meiner Generation ist es noch wichtiger, dass das, was getan werden muss, auch getan wird. Als Bauer lernst du, wenn das Heu trocken ist, fährst du es ein und wartest nicht auf morgen oder übermorgen. Das ist tief in mir drinnen.

Sie arbeiten 60 Stunden pro Woche. Haben Sie eigentlich Verständnis dafür, wenn sich jetzt an vielen Stellen Widerstand gegen flexiblere Arbeitszeiten regt?
Ich erwarte nicht von meinen Mitarbeitern, dass sie zwölf Stunden arbeiten, weil ich mehr am Erfolg der Firma mitpartizipiere. Wobei bei uns fast alle erfolgsabhängig entlohnt sind, das ist auch eines der Erfolgsgeheimnisse der Firma. Der 12-Stunden-Tag wird übertrieben und als Politikum missbraucht.

Überstunden sind zumutbar?
Es wird heute ja immer über Überstunden geschimpft: Nur: Wenn eine Kassiererin krank wird, kann ich nicht beim AMS anrufen und eine Stunde später steht jemand da und kann kassieren. Das würde ja die Komplexität unserer Arbeit auf null setzen – es ist nicht so, dass das jeder nach fünf Minuten kann. Das Geschäft zusperren kann ich auch nicht – es gibt daher Situationen, wo Überstunden nötig sind. Aber immer nur einvernehmlich – ich bin ein Anhänger davon, einem Mitarbeiter zu sagen, „Ich brauche Ihre Hilfe“ und nicht, „Du musst!“.

Sind wir als Gesellschaft zu freizeitorientiert?
Als Führungskraft habe ich eine Vorbildwirkung – ich stehe sehr starr auf dem Standpunkt, ich erwarte von niemandem etwas, das ich nicht auch selbst zu machen bereit bin. Das verdienen sich die Mitarbeiter.

Es heißt, Sie wären aus der Geschäftsführung von Betten Reiter nicht mehr wegzudenken. Nun sind Sie 70 Jahre alt …
… jeder ist wegzudenken! Leute, die nur noch die Tage zählen, wie lange sie noch bis zur Pension arbeiten müssen, tun mir irgendwie leid, weil die keine Freude mehr an der Arbeit haben. Wichtig ist, gesund zu bleiben und dass sie einem Spaß macht. Ich habe kein fixes Datum, aber ich baue Leute auf, die Sachen können. Es ist nur so: Solange man da ist, ist man da.

Die Heimtextilbranche steht ja nicht im Verdacht, besonders innovativ zu sein – zu Unrecht?
Handel ist sehr innovativ, wenn man erfolgreich sein will. Er wird vom Image her sehr unter Wert gehandelt. Unsere Stärke sind Maßanfertigungen und unsere eigene Steppwarenerzeugung. Wir haben vor zwei Monaten eine eigene vegane Decke entwickelt.

Eine vegane Decke – ernsthaft?
Ein Trend, der immer stärker wird. Beim Weben von Gewebe werden die Fäden geschmiert, häufig mit Talg. Das ist dann kein veganes Produkt mehr. Die Baumwolle ist Fairtrade-zertifiziert. Wir produzieren auch Decken mit Kärntner Zirbe. Die Kunden fragen immer mehr, woher das Produkt ist – das empfinde ich als guten Trend.

Tappen Sie damit nicht in eine Preisfalle, weil die Produkte zu teuer werden?
Der Kunde ist auch bereit für ein Bioessen aus der Region mehr zu zahlen als für eine Konserve von irgendwo. Schlafen ist eine der wichtigsten lebenserhaltenden Funktionen. Die Reizüberflutung und Informationsüberfrachtung spielt da eine große Rolle: Als Kind wusste ich, wenn sich der Nachbar den Fuß gebrochen hat. Heute weiß ich, wenn ein Zug in China entgleist. Ich glaube, dass Schlaf in den nächsten Jahren als Thema wesentlich wichtiger wird.

Wie schwierig ist es für Sie, in Österreich zu produzieren?
Es ist machbar, auch deshalb, weil wir es in eigenen Geschäften verkauft. Wir haben ja die Wertschöpfungskette von Produzenten bis zum Handel in einer Hand. Als Produzent für andere Händler wäre es schwieriger.

Sie betreiben derzeit 17 Filialen – sollen es mehr werden?
Auf jeden Fall werden es mehr. Wir haben aber nicht vor, außerhalb Österreichs Filialen zu betreiben, wir bauen hier aus.

Wie sehen Sie die in diesem Jahr von Streiks begleiteten Gehalts- und Lohnverhandlungen?
Ich bin ein strikter Anhänger des Miteinanders. Ich finde es schade, dass manche in der Ära des Umverteilens und Arbeitskampfes stecken geblieben sind. Wir haben ganz andere Sorgen als die sechste Urlaubswoche. Bitte: Alibaba und Amazon kontrollieren 22 Prozent des Welthandels – darüber sollte man in der Politik nachdenken! Wir sind bei den Personalkosten hoch in Österreich. Hilft es Österreich, wenn wir die Personalkosten nun noch weiter steigern? Ich habe so meine Zweifel, ob da in die richtige Richtung gerannt wird.

Sind Streiks für Sie probate Mittel der Auseinandersetzung?
Streikdrohungen sind doch nur Maßnahmen, um Stimmen zu gewinnen und um Image aufzubauen. Da geht es nicht um die Sache.