PRO:Unser Arbeitszeitrecht ist von gestern. Zeitgemäße Regeln, von denen Beschäftigte und Unternehmen profitieren, sind der Schlüssel für gute und sichere Arbeitsplätze.

Von Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung

Wer nicht mit der Zeit geht, verliert den Anschluss. Das gilt vor allem für unsere moderne, innovative Wirtschaft, die Basis für unseren Wohlstand ist. Internationaler Wettbewerb und Digitalisierung stellen neue Anforderungen an uns alle, gleichzeitig bieten sie aber auch neue Chancen für die Menschen in unserem Land. Nie gab es in Österreich so viele Arbeitsplätze wie heute, nie war der Sozialstaat so stark finanziert wie heute. Damit unser Land diese Erfolgsgeschichte fortschreiben kann, benötigen Unternehmen und Beschäftigte in ihrer täglichen gemeinsamen Arbeit einen zeitgemäßen fairen Rahmen. Das gilt auch für die Arbeitszeit, die lange vor den Herausforderungen der Digitalisierung geregelt wurde. Starre, unflexible und überbürokratische Vorgaben helfen heute keinem mehr – weder Unternehmen noch Beschäftigten.

Klar ist, dass flexible Arbeitszeiten keine Einbahnstraße sein können: Nötig ist eine faire Lösung, von der Beschäftigte und Unternehmen gemeinsam profitieren. Durch sichere Arbeitsplätze und längere Freizeitblöcke am Stück auf der einen Seite und mehr Wettbewerbsfähigkeit – und damit Arbeitsplatzsicherheit – auf der anderen Seite.

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Obwohl die Politik den Bedarf für Veränderung bereits vor Jahren erkannt hat, waren die Sozialpartner über mehr als zehn Jahre nicht in der Lage oder willens, das Problem zu lösen.

Die Regierungsparteien haben einen ausgewogenen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Dieser berücksichtig Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen und folgt der Prämisse: Flexibel arbeiten heißt nicht mehr arbeiten. Es geht darum, Arbeitszeit besser und fair zu verteilen – nicht um Arbeitszeitverlängerung. Die Normalarbeitszeit von acht Stunden am Tag bzw. 40 Stunden bleibt unverändert. Neu ist vor allem, dass künftig in Ausnahmefällen statt bisher zwei, maximal vier Überstunden an einzelnen Tagen möglich sind – dies bei Erhalt aller Zuschläge. Gleichzeitig wird das Recht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgeweitet, Überstunden abzulehnen – etwa bei Kinderbetreuungspflichten.

Nicht nur unverständlich, sondern eine Bedrohung für Arbeitsplätze und den gemeinsam erarbeiteten Wohlstand ist der oft unsachliche und nicht auf Fakten basierende Stil von Teilen der Arbeitnehmerorganisationen. Das Schüren von Ängsten und bewusste Missinterpretieren von Aussagen zum Thema Arbeitszeitmodernisierung, steht dem sachlichen Dialog entgegen und lässt die Vermutung zu, dass es vor allem darum geht, verkrustete Strukturen zu bewahren.

CONTRA: Die Pläne der Regierung benachteiligen Familien und erschweren die Kinderbetreuung. Beteuerungen hinsichtlich der Freiwilligkeit sind völlig realitätsfern. 

Von Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende

Die Bundesregierung hat ihre Pläne für eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung vorgelegt: Die Arbeitszeit soll auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche ausgeweitet werden. Für uns GewerkschafterInnen ist das ein Angriff auf die Rechte der ArbeitnehmerInnen. Die Beteuerung der Regierung, die Arbeit in der elften und zwölften Stunde kann aufgrund privater Betreuungspflichten abgelehnt werden, ist völlig realitätsfern. Kommt man mehrfach dem Wunsch des Arbeitgebers nicht nach, muss man natürlich mit Nachteilen rechnen, das kann bis zur Entlassung führen. Bereits der 8-Stunden-Tag erweist sich als schwer vereinbar mit dem aktuellen Angebot an Kinderbetreuung. Jede zweite Frau in Österreich arbeitet in Teilzeit – vielfach auch aufgrund fehlender Kinderbetreuung. Beim 12-Stunden-Tag sieht es noch bedrückender aus: Einzig im städtischen Bereich gibt es überhaupt einige Kinderbildungseinrichtungen, die mehr als zwölf Stunden geöffnet haben. Sonst bieten lediglich zwei Prozent der Krippen und Kindergärten so lange Betreuungszeiten an. Dabei muss auch immer die Wegzeit vom und zum Arbeitsplatz mitgedacht werden.

Ein 12-Stunden-Tag würde die Situation von Frauen weiter verschärfen und der Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit wird noch schwieriger. Alleinerzieherinnen sind besonders armutsgefährdet. Ein Entkommen aus der Armutsspirale ist für sie durch die neue Arbeitszeitregelung fast nicht mehr möglich. 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Österreich werden zuhause gepflegt: Wie lässt sich zukünftig die Betreuung mit einem 12-Stunden-Arbeitstag vereinbaren?

Überlange Arbeitszeiten dürfen nicht zur Gesundheitsgefährdung der Menschen führen. Man braucht ausreichend Erholungsphasen, um wieder leistungsfähig zu werden. Für den Menschen und seine Gesundheit ist ein positives Privatleben enorm wichtig. Der 12-Stunden-Tag benachteiligt jedoch Familien und macht ein soziales Leben deutlich schwieriger. Wir brauchen Zeit für unsere Kinder. Auch ein Treffen mit Freunden oder die Mitarbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr muss möglich sein. Statt einer Ausweitung der Arbeitszeit brauchen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit Betreuungspflichten eine Arbeitszeitverkürzung. Außerdem muss die Betreuungsstruktur in allen Regionen rasch verbessert werden, damit alle Eltern die gleichen Voraussetzungen vorfinden, um ihrer Arbeit nachgehen zu können, ohne sich ständig Gedanken darüber machen zu müssen, wer die Betreuung der Kinder oder Angehörigen übernimmt.

Christoph Neumayer (IV) und Korinna Schumann (ÖGB)
Christoph Neumayer (IV) und Korinna Schumann (ÖGB) © IV/MICHALSKI; ÖGB/MICHAEL MAZOHL