Die EZB flutet die Märkte mit Geld - doch die Mini-Inflation konnten die Währungshüter bisher nicht vertreiben. Deshalb wird die Notenbank wohl nachlegen. EZB-Präsident Mario Draghi scheint zum Handeln entschlossen: "Wir werden alles Notwendige tun, um die Inflation so schnell wie möglich wieder zu erhöhen."

Die Erwartung ist groß, dass die Europäische Zentralbank (EZB) heute weitere Maßnahmen beschließen wird - gegen deutschen Widerstand.

Warum will Draghi nachlegen?

Inflation ist das Schreckgespenst aller Sparer. Denn die Preissteigerungen sorgen dafür, dass man sich für das Geld weniger kaufen kann. Doch solange die Inflation moderat bleibt, werden die Preissteigerungen durch steigende Löhne wieder wettgemacht. Man kann sich daher gleich viel leisten, wie im Vorjahr. Das nennt man "stabile Preise". Das oberste Ziel der EZB ist, eben diesen Zustand zu erreichen. In der Eurozone sollen die Preise stabil bleiben. Nach EZB-Definition braucht man dafür eine Inflation von zwei Prozent. Im November lag der Wert bei 0,1 Prozent. Meilenweit entfernt vom EZB-Ziel.

Dauerhaft niedrige oder sogar fallende Preise sind für die Wirtschaft sehr schlecht. Firmen und Verbraucher sind verleitet, Investitionen aufzuschieben. Sie hoffen auf weiter sinkende Preise, hoffen auf das nächste Schnäppchen und halten sich zurück. Das bremst das Wirtschaftswachstum. Wenn niemand einkauft, fehlen dem Handel und den produzierenden Betrieben die Einnahmen. Sie müssen entweder die Löhne kürzen oder Mitarbeiter entlassen. Im schlimmsten Fall schlittern die Betriebe in die Insolvenz.

Doch Nullzinsen, Strafzinsen, milliardenschwerer Kaufprogramme und einer Flut billiger Notkredite konnten die Teuerung bisher also nicht befeuern. Für die EZB besteht dringender Handlungsbedarf.

Was könnte die EZB tun?

Diskutiert wird über eine Ausweitung des Billionen-Programms zum Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren ("Quantitative Easing"/QE). Die EZB kauft Staatsanleihen von Banken. Die Geldinstitute haben dadurch mehr Geld. Die Hoffnung der Notenbank: Die Geldinstitute könnten das viele Geld in Form von günstigen Krediten an Firmen und Verbraucher weitergeben. Unternehmen könnten wieder investieren und Arbeitsplätze schaffen. Die Menschen könnten wieder mehr einkaufen und den Konsum in Schwung bringen.

Seit März pumpt die EZB auf diesem Weg monatlich 60 Milliarden Euro in den Markt. Laufen sollen die Käufe nach bisherigen Plänen bis mindestens September 2016. Das Programm könnte aber "in Umfang, Zusammensetzung und Dauer" angepasst werden, hatte Draghi mehrfach bekräftigt. Die EZB könnte so lange in großem Stil Wertpapiere kaufen, bis ihr Inflationsziel erreicht ist. Oder die Währungshüter nehmen pro Monat noch mehr Geld in die Hand, um Banken Anleihen abzukaufen. Möglich wäre auch, dass die EZB zusätzlich Anleihen von Bundesländern oder Unternehmen kauft.

Welche Möglichkeiten hat die Notenbank noch?

Die EZB könnte Banken höhere Strafzinsen für Geld aufbrummen, das diese über Nacht bei der Notenbank parken - auf einer Art EZB-Sparbuch. Schon jetzt müssen die Geldinstitute der EZB 0,2 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie ihr Geld über nacht bei EZB anlegen. Würde der Einlagenzins von derzeit minus 0,2 Prozent weiter gesenkt, könnte das Geschäftsbanken dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben, statt überschüssige Liquidität bei der EZB zu bunkern. Das kurbelt die Wirtschaft an. So lautet zumindest die Theorie.

Bringen die Maßnahmen der EZB etwas?

Gerade in Deutschland ist die ultra-lockere Geldpolitik umstritten, es gibt massive Zweifel an der Wirksamkeit weiterer Maßnahmen. "Konjunkturell wäre kein nennenswert positiver Effekt zu erwarten", meint Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. Die Wirtschaft im Euroraum brauche keine zusätzliche Unterstützung durch die Geldpolitik. Auch bezweifelt wird, dass höhere Strafzinsen Banken zu mehr Krediten bewegen würden. DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter verweist auf Erfahrungen aus der Schweiz: Dort geben Banken diese Zusatzkosten über höhere Hypothekenzinsen an Kunden weiter. Kredite werden also teurer anstatt billiger zu werden. Es geschieht als genau das Gegenteil von dem, was die EZB erreichen will.

Ist die Geldflut am Ende sogar ein Risiko?

Die Bundesbank warnt vor Risiken für die Finanzstabilität infolge der Geldflut: "Je länger niedrige Zinsen andauern, umso mehr bestehen für die Marktteilnehmer Anreize, erhöhte Risiken einzugehen." Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud ist überzeugt: "Die Kosten dieser Geldpolitik sind weitaus größer als der vermeintlich Nutzen." Statt in Kredite fließe das billige Geld zum Großteil in Aktien und Immobilien: "Natürlich führt das zu Preisblasen."

So geschehen bei der Finanzkrise 2008 in den USA. Jahrelang hatte die US-Notenbank die Zinsen niedrig gehalten. Das hat Verbraucher dazu verleitet, Kredite aufzunehmen, die sie bei normalen Zinsen gar nicht zurückzahlen konnten. Die Menschen investierten das Geld in Häuser und das ließ die Immobilienpreise steigen. Die Menschen brauchten immer höhere Kredite, und solange die Zinsen niedrig waren, gaben die Banken ihnen weiter Geld. Das ging so lange gut, bis die US-Notenbank die Zinsen anhob. Viele konnten sich plötzlich die Raten nicht mehr leisten. Die Immobilienblase platzte.

Stehen Währungshüter hinter Draghis Kurs?

Widerstand kommt vor allem aus Deutschland. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann fürchtet, dass Regierungen sich an niedrige Zinsen gewöhnen und Reformen verschleppen könnten: "Je länger die extrem lockere Geldpolitik andauert, umso weniger wirkt sie und umso mehr Risiken und Nebenwirkungen kommen ins Spiel." Sabine Lautenschläger, ehemals Bundesbank-Vize und nun im EZB-Direktorium, sagt, das billige Geld kaufe Zeit, behebe aber nicht die Ursachen. Wie bei Arzneimitteln könne "überzogene Anwendung ... dazu führen, dass der Patient sich gesund fühlt und nicht mehr an den Ursachen der Krankheit arbeitet".

Was heißt das für die Menschen?

Das Zinsniveau im Euroraum bleibt absehbar extrem niedrig. Das ist schlecht für Sparer, die in Deutschland traditionell vor allem auf Tagesgeld, Festgeld und Sparbuch setzen. Auf der anderen Seite sind Baukredite historisch günstig, auch wenn die Hypothekenzinsen im Frühjahr sogar noch günstiger waren als derzeit. Die EZB-Geldflut hat auch noch einen anderen Effekt: Der Euro verliert gegenüber dem Dollar an Wert.

Da die Wirtschaft in der Eurozone als Ganzes betrachtet mehr ausführt als einführt, kann das die Wirtschaft sogar weiter beflügeln. Unternehmen, die viel exportieren, können ihre Waren günstiger anbieten als die Konkurrenten aus den USA. Stark exportorientierte Länder wie Deutschland profitieren sehr stark von dieser Entwicklung, da die Arbeitslosigkeit sinkt.

Auf der anderen Seite stehen die Verbraucher. Denn den billigen Euro bekommen alle zu spüren, die in die USA reisen. Auch Urlaube in der Schweiz oder Reisen in Nicht-Euroländer wie Großbritannien werden tendenziell teurer.