Sieben Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise stöhnt die Justiz unter den Anleger-Prozesslawinen. Neben den spektakulären Fällen wie Meinl European Land, AvW oder den von Banken vertriebenen MPC-Schiffsfonds mit jeweils Hunderten oder Tausenden Klägern gibt es auch kuriose Konstruktionen, die jetzt vor Gericht ans Licht der Öffentlichkeit treten. Manche dieser umstrittenen Finanzprodukte wurden erst nach 2008 unters Volk gebracht. Die Jagd nach dem schnellen Geld ging also nach Ausbruch der Krise unvermindert weiter.

Prozess-Serie

Ab 5. Oktober geht eine Prozess-Serie gegen die in Graz ansässige Vermögensberater-Firma Ertrag & Sicherheit (E&S) in die nächste Runde. Über diese Firma kauften Anleger Goldbarren bei einem deutschen Verein namens EVVE (Europäische Vereinigung vereidigter Edelmetallberater). Der Verein übernahm auch die Einlagerung der Barren. Doch als die Polizei heuer im Zuge einer Hausdurchsuchung den Safe der EVVE-Partnerfirma TMS Dienstleistungs GmbH öffnete, war die Ernüchterung groß: Statt vier Tonnen Goldes fanden sich nur 200 Kilo. "Der Rest war Katzengold", sagt der Berliner Anleger-Anwalt Jochen Resch unter Berufung auf Informationen der Staatsanwaltschaft. Das "goldfarbene Metall" soll den Investoren sogar bei einem Besuch gezeigt worden sein.

EVVE ist mittlerweile insolvent, der Grazer Rechtsanwalt Arno F. Likar vertritt geschädigte Investoren. "Es ist schleierhaft, welchen Vorteil diese Anlageform hätte bringen sollen", sagt er. Den Anlegern sei zudem nicht bewusst gewesen, dass sie als bloße Miteigentümer gar nicht allein über das vermeintliche Edelmetall verfügen konnten.

"Hoch riskane Investments"

E&S habe "jahrelang hoch riskante Investments vermittelt", lautet Likars Vorwurf. Dieser Vorwurf bezieht sich auch auf Investmentprodukte der Firmen Halebridge und Shedlin, die ebenfalls bei E&S vertrieben wurden.

Im Fall von Halebridge verkauften Anleger ihre Ansprüche aus Lebensversicherungen an die Halebridge Asset Management AG. Die Firma werde das Geld "nach den Anlagegrundsätzen amerikanischer und britischer Eliteuniversitäten" verwalten, stand im Prospekt. So konnten die Anleger zwischen den Modellen "Harvard", "Yale", "Cambridge" und "Stanford" wählen. Nach einigen Jahren sollte das 1,5- bis Dreifache (!) des investierten Geldes zurückfließen. Dass diese exorbitante Rendite von den Anlegern nicht hinterfragt wurde, ist allerdings auch recht bemerkenswert.

Keine wundersame Geldvermehrung

Die noblen Namen konnten jedenfalls keine wundersame Geldvermehrung bewirken. Die Wahrheit ist eher schnöde: Die deutsche Wertpapieraufsicht BaFin stellte im Vorjahr fest, dass Halebridge ein Einlagengeschäft ohne Genehmigung betreibe, und trug per Bescheid die sofortige Rückzahlung der Gelder auf. Halebridge versuchte noch, sich dem Zugriff zu entziehen: Man habe die Vermögenswerte "auf ein Unternehmen mit Sitz in Dubai" übertragen. Als der Hessische Verwaltungsgerichtshof das zurückwies, beantragte Halebridge beim Amtsgericht Nürnberg die Insolvenz.

Schließlich gibt es noch den Faktenkreis Shedlin Capital AG - wieder von Likar eingeklagt in einer Musterklage gegen E&S. Dabei geht es schon fast "klassisch" um geschlossene Fonds: Die Anleger investierten vermeintlich in Immobilien, wurden aber Kommanditisten einer deutschen GmbH & Co. KG mit vollem Unternehmerrisiko. Beim Fonds "Shedlin Middle East Healthcare" sollte etwa eine "Luxusklinik" in Abu Dhabi errichtet werden, die es bis heute nicht gibt.

"Vorwürfe trafen Mandantin völlig unerwartet"

Bei E&S verweist man darauf, seit 30 Jahren am Markt tätig zu sein und viele tausend Kunden erfolgreich beraten zu haben. E&S-Anwalt Johannes Zink sagt: "Die gegen EVVE im Raum stehenden strafrechtlichen Vorwürfe trafen auch unsere Mandantin völlig unerwartet." Die E&S könne dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Sollten dennoch, wie in den nun anhängigen Klagen, "in Einzelfällen Beratungsfehler behauptet werden", dann sei dies "im jeweiligen Einzelfall zu prüfen".

VON ERNST SITTINGER