Hier, in Ihrer Grazer Sonnentor-Filiale, war zuvor Nespresso eingemietet. George Clooney geht, Johannes Gutmann kommt?
Johannes Gutmann: Ja, ich bin die Gegenveranstaltung. Ich habe nur gewartet, was er überlässt. Und alle Konzerne lassen immer so viel Windschatten und Nischen für Kleine über. Es ist unglaublich, wie viele Möglichkeiten da sind. Ich sehe sie – viele andere sehen sie nicht.

Ihr Tipp an jene, die glauben, eine Nische entdeckt zu haben?
Gutmann: Ich sage jedem, der als Unternehmer etwas Neues machen will: Wenn du am Markt wahrgenommen werden willst, musst du anders und besser sein als die anderen. Wenn du das Gleiche machst wie alle anderen – dann viel Spaß. So wirst du nicht aus der Flut herauskommen. Aber wenn du eine andere Welle reitest, dann bist du in einer Nische zu Hause und hast die Möglichkeit, sie – am besten als Erster – authentisch auszufüllen. Dann gehört die Nische dir. Freilich musst du wissen, was die Kunden suchen, warum sie für bestimmte Produkte gerne mehr zahlen.

Und: Was suchen sie?
Gutmann: Den Ursprung.

„Zurück zum Ursprung“ ist aber eine andere Marke.
Gutmann: Mit der habe ich Gott sei Dank nichts zu tun, die geht mich nichts an.

Warum diese Abgrenzung? Es geht doch auch bei all diesen Bio-Marken der Supermarktketten um Naturprodukte.
Gutmann: Von der Wurzel her ist es zwar ehrlich, aber in der Ausrichtung ist es industriell. Und eine Bio-Industrie ist genauso zu verurteilen wie konventionelle Landwirtschaft. Ich kenne sie alle, ich mag sie aus der Distanz, aber ich zähle immer meine Finger nach, wenn ich ihnen die Hand gegeben habe. Ich weiß, dass das nicht meine Welt ist. Aber sie sollen ihre Geschichte machen, ich mache meine. Ich will mit den kleinen Individualisten zusammenarbeiten. Wir bleiben am Boden im Wissen, dass es keine zweite Erde gibt. Ich glaube, dass das die Zukunft von Bio ist: der ehrliche, einfache, authentische Weg.

Ihr unternehmerischer Weg zeigt steil nach oben. Gibt es für Sie Grenzen des Wachstums?
Gutmann: Ich werde mich nie irgendwo limitieren. Wer beschränkt denkt, der handelt auch beschränkt. Ich bin total offen. Man darf es nur nicht erzwingen wollen, es kommt eh von alleine. Ich habe mit drei Bauern angefangen – jetzt sind wir 150. Ich werde für den 151. genauso Platz haben, weil die ganzen Krisen dafür sorgen, dass die Kunden zu uns kommen.

Sind Sie ein Krisengewinner?
Gutmann: Absolut. Ich warte schon auf die nächste. Ich brauche nur im letzten Eck im Waldviertel zu sitzen und zu warten, wo die nächste Krise ausbricht – und hinfahren. Ich bin den Krisen ungemein dankbar, weil dadurch immer mehr Leute draufkommen: Es geht ja auch anders.

Sonnentor-Boss Johannes Gutmann
Sonnentor-Boss Johannes Gutmann © Jürgen Fuchs

Wie?
Gutmann: Wenn wir ein bisserl mehr Leitungswasser trinken und den ganzen Schrott in den Warenschluchten der Supermärkte stehen lassen würden und uns darum kümmern würden, was vor der eigenen Haustüre wächst beziehungsweise was wir selber machen könnten, wäre es nicht schlecht. Es ist ja alles da. Aber es gibt leider sehr wenige Wirtschaftskonzepte, die Wertschöpfung mit Wertschätzung umsetzen. Nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen steht im Vordergrund, sondern die Gewinnmaximierung.Dem Shareholder-Value wird alles geopfert unter der Ägide dieser Exceltabellen-Propheten, die vorgeben, mit ihren Zahlen alles zu beherrschen. Sie stehen aber nicht vorne im Wind, können nichts entscheiden, nur nachher den von ihnen aufgewirbelten Dreck und Staub beurteilen. Das sind keine Unternehmer, sondern Unterlasser. Aber im wirklichen Leben geht es immer ums Tun.

Aber Sie agieren schon auch kapitalorientiert.
Gutmann: Ich muss meine Investitionen ja irgendwie finanzieren. Aber ich bin kein Getriebener des Systems. Ich habe keinen Druck – und wenn ich einen Druck verspüre, gehe ich aufs Klo. Ich bin kein Parteimitglied und Speichellecker.

Aber Wirtschaftskammermitglied sind Sie?
Gutmann: Ja, natürlich. Ich bin sogar Funktionär.

Aus Überzeugung?
Gutmann: Also Wirtschaftskammermitglied bin ich, weil ich Unternehmer bin. Mitglied beim ÖVP-Wirtschaftsbund bin ich ...

… weil Sie Niederösterreicher sind?
Gutmann: Na ja, ich bin irgendwann einmal von irgendjemandem überredet worden, mitzumachen, und habe mir gedacht, es kann ja nicht ganz schlecht sein. Aber wenn ich vom Generalsekretär höre, wie er über die Gemeinwohlökonomie-Bewegung herzieht und uns sinngemäß als Neokommunisten bezeichnet, obwohl er selbst kein Unternehmer ist – dann denk ich mir: Ja, träumen S’ weiter! Weil ich zahle das an Steuern, was Sie vielleicht verdienen.

Wie fühlen Sie sich im Wirtschaftsbund dann noch zu Hause?
Gutmann: Insofern, als es ein Zusammenschluss von Unternehmern ist, die manchmal gute Ideen haben. Ich muss sie ja nicht wählen.

Also haben Sie als Wirtschaftsbundfunktionär den WB bei der WK-Wahl nicht gewählt?
Gutmann: Nein, ganz bestimmt nicht. Dazu stehe ich auch. Ich sage denen immer, Leutln, ihr seids am falschen Dampfer unterwegs. Ihr habt selbst keine Arbeitsplätze geschaffen – das macht der Mittelstand. Ihr habt seit zig Jahren die gleichen Parolen, versprecht immer, die Lohnnebenkosten zu senken. Was ist tatsächlich passiert? Gar nichts. Wer so etwas macht, gehört nicht g’wählt. Der gehört g’haut.

Was ist der Wirtschaftsbund dann für Sie?
Gutmann: Einer von vielen Bünden, die zusammen das schwarze Meer ergeben. Aber das schwarze Meer versiegt. Was soll ich mit einem ausgetrockneten schwarzen Meer, wo ein Schiff namens Wirtschaftsbund draufsteht?

In den klassischen politischen Parteien finden Sie demnach keine Heimat?
Gutmann: Nein, überhaupt nicht. In deren Politikverständnis ist es ja nicht State of the Art, einem anderen zu sagen „Hey, du hast eine gute Idee, ich finde das toll!“ Stattdessen wird hingehaut und draufgetrampelt. Da muss jeder wie in der Sandkiste den Kuchen vom anderen zerstören und sagen „Bäh, meiner ist schöner!“ Solange man sich aber gegenseitig nichts gönnt, wird nichts entstehen. Deshalb gibt es bei uns auch keine ordentlichen Strukturreformen – weil immer nur der kleinste gemeinsame Nenner als Konsens da ist.

Ihnen fehlt in Österreich der politische Mut?
Gutmann: Absolut. Wirklich ändern will hier keiner etwas, weil das ja bedeuten könnte, dass man nicht weiß, wie es weitergeht. Also: Ja nichts angreifen. Daher großes Kompliment an die steirische Landespolitik. Die waren die Ersten, die hingegriffen und auch etwas geändert haben. Sie werden damit auch Erfolg haben. Noch nicht bei der kommenden Wahl – da werden sie eine Watschn bekommen. Das ist so sicher, wie das Amen im Gebet. Aber nachdem man sie hochgehängt hat, werden sie heiliggesprochen werden.

Warum mischen Sie sich nicht stärker direkt in die Politik ein, werden also Politiker?
Gutmann: Nein, sicher nicht.

Bekannteste Marke: der Sonnentor-Tee
Bekannteste Marke: der Sonnentor-Tee © Jürgen Fuchs

Ist das nicht feig?
Gutmann: Ich mache bei mir im Waldviertel ja ohnehin Weltpolitik, indem wir weltweit Partnerschaften pflegen. Wir haben Projekte in Nicaragua, im Kosovo, in Tansania, in Indien – dazu brauche ich Frieden und Wirtschaftskooperationen und Partner, die sich gegenseitig leben lassen.Braucht es Freihandelszonen?
Gutmann: Nein, überhaupt nicht. Hände weg von dem! Was da derzeit politisch gemacht wird: Ich kann mir nur auf den Kopf greifen und warnen. Da sich etwas kurzfristig und scheinbar zu erkaufen – das wird uns in der gesamten EU sehr schnell auf den Schädel fallen.

Sollen wir aus der EU austreten?
Gutmann: Nein, ganz im Gegenteil: viel stärker mitgestalten – und endlich einmal stolz vorneweg gehen. Stattdessen jammern wir nur alles runter. Wir sind die Rahmschlecker der EU, die Magermilch wollen wir den anderen als Rahm zweiter Klasse verkaufen. Das geht nicht. Man kann aus einem System nicht nur herausholen, es funktioniert nur, wenn man auch etwas beiträgt.

Aber Österreich ist doch ein Nettozahler in der EU.
Gutmann: Ja, aber selbst wenn wir Nettozahler sind: Die Milliardenlöcher im Staatshaushalt kommen eh nicht wegen der EU, sondern aufgrund völlig überalterter Strukturen.

Haben Sie eigentlich schon einmal ans Auswandern gedacht?
Gutmann: Ja.

Wohin?
Gutmann: Gar nicht weit weg. Wir haben eine sehr erfolgreiche Firma in Südmähren in Tschechien. Ich habe mich wirklich schon ein paar Mal – wenn auch nicht in der letzten Zeit – gefragt, was mich eigentlich noch hier hält. Ich baue da Infrastruktur auf, zahle mich krumm und deppert und werde nur beschimpft. Aber wenn ich einmal etwas von so einem kleinen Lokalkaiser brauche, höre ich nur: „Ich mach’ für dich nichts, weil ich für die anderen auch nichts mache, egal wie viel Kommunalsteuer ihr mir zahlt.“ Wenn man so etwas hört, glaubt man wirklich, man ist der letzte Trottel. Aber ehrlich zahlt am längsten.

Warum sind Sie dann noch hier?
Gutmann: Wenn ich weggehen würde, würde ich meine Hauptwurzel verlassen. Nein – damit würde ich ja all meinen Grundwerten und meinen Leuten im Waldviertel untreu werden. Ich würde das nie tun.

Apropos Grundwerte: Sie wirtschaften nach den Grundsätzen der Gemeinwohlökonomie.
Gutmann: Für mich ist Gemeinwohl nichts anderes als die messbare Nachhaltigkeit – im Unterschied zu den ganzen tollen Hochglanz-Nachhaltigkeitsberichten der großen Unternehmen, wo eh nichts drinnen steht.

Es gibt durchaus Kritik an diesem Konzept.
Gutmann: Das sind alles Dogmatiker, die sich nicht vorstellen können, dass das wirklich funktioniert, weil sie nie in diese Richtung gedacht haben.

Würde das Modell der viel beschworenen sozialen Marktwirtschaft nicht reichen?
Gutmann: Wenn sie wirklich so gelebt werden würde, wie sie ursprünglich erdacht worden ist, dann schon. Es geht ja immer nur ums Miteinander, ums Teilen und die gegenseitige Wertschätzung. Mir waren die Börsenpreise für unsere Rohstoffe immer egal. Dieses System funktioniert ja nicht, weil alles nur spekulations- und spielgetrieben ist.

Ihr Gegenmodell?
Gutmann: Ich zahle ordentliche, reale Preise, von denen die Bauern locker leben können, weil sie damit auch in ihre Höfe investieren können. Damit investieren sie auch für mich, weil wer ordentliche Betriebsmittel hat, liefert auch ordentliche Qualität. Wir sind Cashflow-finanziert. Das hätte man uns nie zugetraut. Ich habe immer das, was wir verdient haben, sofort wieder investiert. Damit gibt es eine ständige Veränderung und Entwicklung. Und Unabhängigkeit.

Aber ein Teil Ihrer Lieferanten bezieht EU-Förderungen?
Gutmann: Ja, die spielen das ganze Klavier rauf und runter. Aber ich sage immer, sie müssen auch dann von ihren Kräutern leben können, wenn es die Förderungen einmal nicht mehr gibt – weil leisten können wir uns dieses System schon lange nicht mehr. Jeder unserer Partner soll daher nicht nur das Gefühl, sondern auch die Gewissheit haben, dass er ohne die Förderungen genauso auskommt. Mein Credo ist, fair miteinander umzugehen, damit es uns beide auch langfristig noch gibt. Ich komme mir ein bisserl wie der kleine Asterix im Waldviertel vor, der ein kleines Bollwerk gegen ein großes System verteidigt.

Wie ist dieser Asterix als Chef?
Gutmann: Das müssen Sie meine Mitarbeiter fragen.
Ich möchte eine Selbsteinschätzung hören.
Gutmann: Ich bin einer, der Leistung einfordert. Es gibt bei uns – wie in der Landwirtschaft – Zeiten, in denen sehr intensiv gearbeitet werden muss. Es gibt aber auch Zeiten, in denen es ruhiger ist und sich die Mitarbeiter die Freizeit wieder zurückholen können. Und ich habe großes Vertrauen in meine Mitarbeiter. Ich will so zu meinen Leuten sein, wie ich möchte, dass sie zu mir sind.

Was machen Sie in zehn Jahren?
Gutmann: Ich werde meine Wurzeln nicht verraten, also nichts anderes machen. Ich werde die gleichen Geschichten wie heute erzählen. Nur ein bisserl weiser.

INTERVIEW: KLAUS HÖFLER