In Deutschland ist die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr, während sie in Österreich im Moment drastisch zunimmt. Woran liegt das?

Christian Glocker: Grundsätzlich verläuft in Deutschland  einfach die Konjunktur besser. In den letzten Jahren ist Deutschland eigentlich immer etwas hinter Österreich gelegen, aber im letzten Jahr gab es diesbezüglich einen massiven Umschwung. Und der ging einher mit einer Reduktion der Arbeitslosigkeit. Ich möchte aber auch den österreichischen Arbeitsmarkt nicht unnötig schlecht reden - auch hier steigt die Beschäftigung. Was allerdings in Österreich stagniert, und das seit Jahren, sind die Arbeitsvolumina. Eigentlich die entscheidende Größe.

In Deutschland steigen also die Arbeitsstunden pro Kopf.

Glocker: Ja. Zudem zieht eben in vielen europäischen Ländern die Konjunktur an, in Österreich aber überhaupt nicht. Seit Dezember sind einige wichtige Vorlaufindikatoren sogar wieder zurückgegangen.

Deutschland erreichte 2014 ein Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent, während Österreich gerade einmal um 0,4 Prozent zulegen konnte. Wie ist der Unterschied zu erklären?

Glocker: Der Investitionszyklus verläuft in Deutschland eigentlich sehr ähnlich wie in Österreich. Die Investitionen können es also nicht erklären. Umso entscheidender ist dafür der Konsum der privaten Haushalte, der in Deutschland wesentlich dynamischer ist. Das ist zum Teil auf eine günstigere Entwicklung der Reallöhne zurückzuführen, aber wohl auch auf ein viel, viel besseres Verbraucherklima.

Wie kann man das Konsumklima im Land verbessern?

Glocker: Es gibt dazu verschiedene Theorien, es könnte etwa auch der öffentliche Sektor eine Rolle spielen. Wobei das schwierig einzuschätzen ist. Ich denke schon, dass die Reallöhne entscheidend sind. Einen großen Unterschied zwischen Österreich und Deutschland sieht man aktuell auch in der Inflationsdynamik, die in Österreich sehr stark zulasten der Verbraucher geht - in Deutschland aber überhaupt nicht. In Österreich treiben Mieten und administrierte Preise die Inflation. Also etwa Gebühren, die der öffentliche Sektor vorgibt. Das drückt direkt auf den Konsum.

Die öffentliche Hand investiert also zu wenig, wie es oft heißt, und erhöht die Preise zu stark?

Glocker: Nein, die Investitionen sind ja ok, die öffentliche Hand investiert weiterhin.

Brauchen wir in Österreich also nur höhere Lohnabschlüsse, um den Konsum wieder zu stärken?

Glocker: Höhere nominale Lohnabschlüsse würden den Konsum natürlich stärken. Aber auf der anderen Seite haben Sie dann wieder Stress bei den Exporten, weil sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Österreichs verschlechtern könnte. Man muss sich also die Frage stellen: Was ist wichtiger. Lebhafter Konsum, oder günstige Exporte?

Was ist wichtiger?

Glocker: Das ist sehr schwierig zu beantworten und muss die Wirtschaftspolitik für sich entscheiden. Wenn Sie sich die Anteile von Konsum und Exporten - relativ zum BIP - anschauen, sehen Sie, dass die beiden Größen im Moment ziemlich gleich groß sind.

Wie passt das zusammen, dass Deutschland ein sehr gutes Konsumklima hat und trotzdem Exportrekorde vermeldet?

Glocker: Deutschland hat immer noch einen einen großen Bonus dank der Lohnmoderationen vor der Krise. Es gab vor der Krise sehr moderate Lohnabschlüsse - was zur Folge hatte, dass die Lohnstückkosten, ein wichtiger Indikator für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit, sich in einer sehr günstigen Position befunden haben. Das feuert die Exporte nach wie vor an.

Wie gefährlich ist der Exportweltmeister für die restlichen Euro-Länder? Die EU-Kommission stuft ein  Leistungsbilanz-Plus von dauerhaft mehr als sechs Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt als stabilitätsgefährdend ein. Deutschland überflügelt den Wert seit Jahren.

Glocker: Diese Zahl dürfen Sie nicht ernst nehmen. Es gibt kein Modell und keine Studie, die diese sechs Prozent als anstrebenswert errechnet. Das ist eine Hausnummer.

Sie sehen also keine Gefahr in der Exportstärke Deutschlands?

Glocker: Die Exportstärke ist in gewisser Weise ja auch sehr gut für andere Länder. Deutschland hat in Bezug auf seine Güter ja eine sehr lange Produktionskette, wo etwa auch Österreich dranhängt. Viele Exporte Österreichs laufen über Deutschland - das Land profitiert also sogar von der hohen Exportquote Deutschlands.

Deutschland schreibt das dritte Jahr in Folge schwarze Zahlen. Warum kommt Österreich nicht aus der Verlustzone?

Glocker: Die günstigere Konjunktur hat Deutschland diesbezüglich einfach stark geholfen. Und in gewisser Weise auch eine etwas stärkere, fiskalpolitische Disziplin. Hin zu den Regeln, auf die man sich geeinigt hat. Aber Österreich ist in einer schwierigen Situation. Sieht man sich die aktuellen Prognosen an, sollte man wohl eher nicht konsolidieren. Günstiger wäre es, also auf eine bessere Konjunktur zu warten und dann massiv zu konsolidieren. 

INTERVIEW: MARKUS ZOTTLER