Herr Soros, viele Menschen sind der Überzeugung, dass gerade Spekulanten wie Sie die Finanz- und die Euro-Krise verursacht haben. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

GEORGE SOROS: Die Kritik verletzt mich, weil sie nicht stimmt. Das ist doch höchstens die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte des Fehlverhaltens muss man aufseiten der Regierungen suchen. Überdies sind Hedgefonds nur in einem bescheidenen Maße Teil des Finanzsystems. Die extrem negative Haltung der Regierungen gegenüber den Hedgefonds ist nichts anderes als die übliche Bestrafung des Boten. Dabei überbringt der nur die schlechten Nachrichten der Regierungen. Die Politiker lenken von ihrer eigenen Verantwortung ab. Spekulation kann sogar stabilisierend wirken, weil sie Schwächen im System aufdecken hilft.

Ist die gegenwärtige ökonomische und Finanzkrise nur der letzte Schritt Europas auf einem langen Weg nach unten?

SOROS: Für mich ist die EU das Ideal einer offenen Gesellschaft. Als ihr Anhänger bricht es mir das Herz, dass sie daran scheitert, ihrem ureigenen Anspruch gerecht zu werden. Schauen Sie doch in die Ukraine: Da riskieren Demonstranten ihr Leben für ein Europa, das für Rechtsstaatlichkeit, persönliche Freiheit und eine offene Gesellschaft steht. Doch in Wahrheit existiert dieses Europa gar nicht. Leider zeigen derzeit alle Weltmächte Hemmungen und besitzen weder das Interesse noch die Kraft, um sich den globalen Problemen zuzuwenden, weil sie zu sehr auf sich selbst konzentriert sind. Das gilt für die USA und auch für China, das zwar dabei ist, eine Großmacht zu werden, aber die damit verbundene Verantwortung nicht tragen will.

Wenn es nicht die Spekulanten gewesen sind, welche die Schuld tragen, wer löste die Euro-Krise Ihrer Meinung nach aus?

SOROS: Der Ursprung der Euro-Krise war die Aussage von Angela Merkel, dass jeder EU-Staat selbst haften werde. Allerdings ignorierten die Märkte Merkels Statement noch für rund ein Jahr. Sie verstanden die Bedeutung des Satzes einfach nicht. Erst als Griechenland mit seinem riesigen Defizit herausrückte, begriffen sie, dass ein Mitglied der Euro-Zone tatsächlich zahlungsunfähig werden könnte. Deshalb forderten die Märkte die enorm hohen Risikoprämien, wodurch die Euro-Krise akut wurde.

Wie kann man der EU in der Euro-Krise helfen?

SOROS: Deutschland, die ökonomisch und politisch dominierende Macht Europas, muss seine Dominanz akzeptieren und damit auch seine Verantwortung. Es muss ein wohlwollender und großzügiger Hegemon werden und sich um die kranken Mitglieder der EU kümmern. Stattdessen agiert Deutschland wie die europäische Version der Tea Party. Die Tea Party ist gegen alle Hilfsleistungen an Bedürftige, sofern hierfür Steuern erhoben werden müssen. Genauso ist es mit Deutschland - mit dem Unterschied, dass die Hilfsleistungen an eigenständige Nationen gehen sollen. Die Deutschen tun für andere zu wenig. Sie machen so viel, wie gerade notwendig ist, um den Euro zu erhalten. Das reicht aber nicht aus, um den Kontinent auf Wachstumskurs zu bringen.

Die Deutschen sehen in der Sparpolitik das richtige Rezept gegen die Krise. Ist diese Austeritätspolitik Ihrer Meinung nach der richtige Weg?

SOROS: Die Sparpolitik, die Deutschland Europa auferlegt hat, ist falsch. Sie hat Europa in eine Depression gestoßen - Deutschland ausgenommen. Die Euro-Krise in Griechenland oder Italien ist sogar mit der Großen Depression der 1930er-Jahre vergleichbar. Europa ist auf Grund gelaufen, und es steht eine lange Periode der Stagnation bevor. Ich befürworte Eurobonds und eine Bankenunion als Auswege aus der Krise.

Die Arbeitslosigkeit schnellt an der Peripherie der EU in allen Altersklassen hoch. Sollte man nicht vor allem die soziale Krise und das Problem der Arbeitslosigkeit bekämpfen, statt sich auf die finanziellen Aspekte zu konzentrieren?

SOROS: Der einzige Schritt, der etwas bewirken kann, ist der in Frankreich entwickelte Plan eines Euro-Zonen-Etats. Dieser soll aus vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts bestehen und durch Unternehmenssteuern finanziert werden, um EU-weit ein Arbeitslosenversicherungssystem zu finanzieren. Das beinhaltet selbstverständlich eine Transferleistung von Deutschland an Länder wie Spanien und Italien. Unter anderen Bedingungen könnte sich eine solche Transferleistung ja auch in die umgekehrte Richtung ergeben.

Malen Sie die Zukunft Europas nicht in allzu düsteren Farben? Zurzeit ist es doch ruhig auf den Märkten.

SOROS: Die Märkte haben sich in der Tat dank der entschlossenen Intervention von EZB-Chef Mario Draghi, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, beruhigt. Es wird jedoch ein Wettrennen zwischen den geforderten Reformen auf der einen Seite und der Bereitschaft der verschuldeten Staaten zur Zusammenarbeit auf der anderen Seite geben. Mit anderen Worten: Es könnte einen Aufstand in den verschuldeten Staaten geben, welcher die gesamte Europäische Union zerstören würde. Das ist keine Finanzkrise. Es ist eine politische Krise. Ich bin überzeugt, wenn sich die Politik nicht ändert, wird Deutschland tatsächlich gehasst werden und die EU wird in sich zusammenbrechen, verbittert und mit gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Würden Sie als Investor trotz der gegenwärtigen Probleme in Europa investieren?

SOROS: Im Moment hält mein Investment-Team Ausschau nach Gelegenheiten in Griechenland. Wir wollen kräftig in ganz Europa investieren und Geld verdienen, indem wir etwa Geld in Banken pumpen, die dringend Kapital benötigen. Man muss den privaten Sektor einbinden, sodass sich die Wirtschaft wirklich erholen kann, so wie die Amerikaner es mit dem Marshall-Plan gemacht haben.

Die Europäer haben mit viel Mühe einen Kompromiss zur Bankenunion gefunden, der eine ähnliche Krise wie im Jahr 2008 verhindern soll. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

SOROS: Ich setze mich gerne für bessere Regulierungen ein. Aber wenn sie nur den privaten Interessen dienen, dann schaden sie mehr, als sie nutzen. Das gilt für den Großteil der in Europa und den USA eingeführten Regulierungen. Die Bankenunion in der EU ist ein Schutz im Interesse der Banken. Es ist im Grunde eine Orwell'sche Wortschöpfung, dass man dieses Projekt ernsthaft als Bankenunion bezeichnet.

Wie bewerten Sie Chinas Finanzprobleme mit den faulen Krediten im Finanzsektor? Liegt hierin eine größere Gefahr für die globale Ökonomie?

SOROS: Dort spielt sich ein Drama ab. Die Binnennachfrage in China beträgt nur noch 34 Prozent des Bruttosozialprodukts, und es gibt ein ungesundes Anwachsen der Verschuldung. Chinas Führer waren nur am Wirtschaftswachstum interessiert, deshalb haben sie nichts gegen diese Schuldenexplosion unternommen. Die Situation in China ist viel wichtiger für den Rest der Welt als die Vorgänge in Europa.