Noch soll die Tinte unter den Verträgen nicht völlig trocken sein, aber wenn sie es ist, wird in Österreich ein neues Kapitel Industriegeschichte aufgeschlagen. Die OMV und der staatliche Öl- und Gaskonzern aus Abu Dhabi, Adnoc, wollen ihre Petrochemie-Töchter Borealis und Borouge zusammenführen. In Österreich soll ein gemeinsames Unternehmen entstehen, das 30 Milliarden Dollar Marktwert haben soll. Damit wäre es Österreichs größter Konzern.

Gespräche darüber gab es seit vielen Monaten unter höchster Geheimhaltung zwischen Adnoc, OMV, der staatlichen Beteiligungsholding Öbag und dem Finanzministerium. Erklärtes Ziel von Adnoc ist es, einen weltweit führenden Chemiekonzern aufzubauen. Das Zusammengehen soll in Kürze besiegelt werden, heißt es aus Insiderkreisen.

Treffen Al Jaber und Brunner

Die Republik Österreich als Haupteigentümer der OMV stand den Plänen grundsätzlich immer offen gegenüber. Vor allem, damit Adnoc seine globalen Expansionspläne nicht an Österreich vorbei verfolgt und ein Konkurrenzkonflikt entsteht. Die OMV hatte allerdings ihre neue Konzernstrategie darauf aufgebaut, dass die Chemiesparte mit Borealis den langfristigen Umbau der OMV in einen CO2-neutralen Konzern trägt. Je nachdem, wie viel Einfluss die OMV jetzt bekommt, wären die Transformationsziele theoretisch jetzt in größerem Maßstab möglich. Vorangetrieben wurde der Deal allerdings klar von Adnoc.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) war erst vor Kurzem im Rahmen der Klimaverhandlungen der COP28 in Dubai mit Adnoc-Chef Sultan Al Jaber zusammengetroffen, um Gespräche zu führen. Al Jaber hat durch seine nicht unumstrittene Rolle als Gastgeber der Klimakonferenz inzwischen sehr hohe internationale Bekanntheit erlangt. Wird der in Dubai formulierte Kompromiss der Weltgemeinschaft ernst genommen, muss es binnen weniger Jahre zu massivsten Nutzungsänderungen fossiler Rohstoffe wie Öl und Gas kommen.

Seit langen Jahren verbunden

Borealis und Adnoc sind seit vielen Jahren über gegenseitige Beteiligungen und das Gemeinschaftsunternehmen Borouge in Abu Dhabi verbunden. Die Abu Dhabis sind nach der Republik Österreich der zweitgrößte Aktionär der OMV – und zwar mit 24,9 Prozent. Als vor fast exakt einem Jahr Mubadala, der Staatsfonds Abu Dhabis, bekannt gab, diese Anteile an Adnoc zu verkaufen, wurde klar, dass die Emirate mehr von Österreich wollten. Um die Borealis soll es schon früher immer wieder hinter den Kulissen ein heftiges „G‘riss“ gegeben haben. Der heutige OMV-Chef Alfred Stern war zuvor einige Jahre Borealis-Chef und zeichnete maßgeblich mitverantwortlich für ihren Erfolg.

Die global aufgestellte Borealis mit Forschungszentren in Linz sowie im schwedischen Stenungsund und finnischen Porvoo ist spezialisiert auf die Herstellung zahlreicher Kunststoff-Basisstoffe und Chemikalien aus Polyolefinen. Die eigens börsennotierte Gesellschaft mit Sitz in Wien verfügt über 9200 Patente und hat sich inzwischen auch zu einem bedeutenden Player in der Kunststoff-Kreislaufwirtschaft entwickelt. Oft war die Borealis eine wesentliche Säule des OMV-Gewinns. Zuletzt erwirtschaftete Borealis mit weltweit 6000 Mitarbeitern 2,1 Milliarden Euro Nettogewinn.

OMV muss Milliarden zahlen

Beim Ringen um die Beteiligungsverhältnisse hatte es immer geheißen, dass Borealis und Adnoc auf Augenhöhe bleiben sollen, was Anteilsgleichheit bedeuten würde. Das hatten sowohl Öbag-Chefin Edith Hlawati als auch OMV-Chef Alfred Stern mehrfach betont. Die wichtigste Frage ist allerdings jene nach faktischen der Steuerungshoheit.

Die Borealis soll mehr als zehn Milliarden Euro wert sein, Borouge etwa das Doppelte, die OMV hält bisher 75 Prozent der Anteile an Borealis, Adnoc 25 Prozent. Die Anteilsgleichheit dürfte die OMV einen Milliardenbetrag kosten. Borouge war vor einem Jahr eigens an die Börse gebracht worden, was dafür spricht, das Borealis dann dort „angehängt“ wird.

Weltweite Nummer 6

Die Borealis-Anteile waren Anfang 2020 unter dem damaligen OMV-Chef Rainer Seele auf 75 Prozent aufgestockt worden. Die OMV zahlte dafür rund drei Milliarden Euro. Das Joint Venture Borouge – ein riesiger Industriekomplex für Petrochemie-Produkte in Abu Dhabi – war bereits in den vergangenen halten Jahren massiv ausgebaut worden. Borouge gehört zu 54 Prozent Adnoc und zu 36 Prozent Borealis.

Der Name des neuen Unternehmens ist bisher nicht bekannt. Es soll auf dem weltweiten Markt für Kunststoff- und Chemieprodukte auf Polyolefin-Basis die Nummer sechs am Weltmarkt sein. Adnocs Pläne sind aber weit ehrgeiziger: Al Jaber verhandelt auch um die Übernahme des deutschen Kunststoff-Konzerns Covestro sowie um Wintershall, die Öl- und Gastochter des deutschen Chemiekonzerns BASF.