Die Inflation ist auf beiden Seiten des Atlantiks im Sinkflug und lässt damit die Aussichten auf Zinssenkungen im kommenden Jahr steigen. Seit Einsetzen des Inflationsschubs vor mehr als zwei Jahren war daran eigentlich nicht zu denken. Die EZB fährt nach einem Zinsstakkato von zehn Erhöhungen zwar weiter auf Sicht und signalisiert eine längere Pause.

In der US-Notenbank Fed kommt jedoch bereits eine Debatte über eine Zinswende nach unten im kommenden Jahr in Gang. So ließ Fed-Direktor Christopher Waller am Dienstag mit der Bemerkung aufhorchen, es gebe gut Argumente über eine Lockerung nachzudenken, wenn die Inflation noch eine Reihe von Monaten nachlasse.

„Wenn nach so stark steigenden Kursen von Aktien und Anleihen wie im November ein ranghoher Notenbanker wie Waller so klingt, wie er gestern klang, dann muss das mittlerweile als offizielle Linie innerhalb der US-Notenbank gelten“, meint Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst von CMC Markets. Nach Wallers Rede sähen sich die Anleger in ihrer Erwartung bestätigt, dass als nächster Schritt die Wende in der Geldpolitik eingeleitet werde.

Mantra der hohen Zinsen infrage gestellt

Allerdings hatte Fed-Direktorin Michelle Bowman auch öffentlich ihre Position bekräftigt, dass wohl noch eine Erhöhung nötig werde, um die Inflation zu zügeln. Doch vor der letzten Sitzung der Fed im laufenden Jahr Mitte Dezember glaubt kaum ein Investor daran, dass die US-Notenbank die Zinsschraube noch fester dreht. „Unser Basis-Szenario lautet, dass die Fed mit den Zinserhöhungen fertig ist“, so die Top-Ökonomen der Deutschen Bank in ihrem jüngst vorgelegten „World Outlook“.

Selbst das zuletzt von Notenbank-Chef Jerome Powell und anderen Fed-Oberen immer wieder vorgetragene Mantra, die Zinsen müssten im Kampf gegen die Inflation für längere Zeit hoch bleiben, wird nun bereits infrage gestellt: So äußerte sich der Chef des Fed-Bezirks Chicago, Austan Goolsbee, „definitiv“ besorgt darüber, dass die Zentralbank die Zinsen zu lange auf einem zu hohen Niveau halten könnte. Die Fed müsse sie senken, sobald die Inflation auf dem Weg zu zwei Prozent sei, um im Kampf gegen die Teuerung nicht über das Ziel hinauszuschießen.

US-Zinssenkung für 2024 prophezeit

Ein Inflationsmaß, das die US-Währungshüter besonders im Auge halten, bilden die persönlichen Ausgaben der Konsumenten. Dabei werden die schwankungsanfälligen Nahrungsmittel- und Energiekosten ausgeklammert. Dieser sogenannte PCE-Kernindex fiel im September auf eine Jahresteuerungsrate von 3,7 Prozent und soll nach Einschätzung der von Reuters befragten Experten im Oktober auf 3,5 Prozent zurückgehen.

Die Ökonomen von Deutsche Bank Research erwarten bei einer weiter abebbenden Teuerungswelle eine erste US-Zinssenkung um einen halben Prozentpunkt für Juni 2024. Dann dürfe ihrer Prognose zufolge der PCE-Kernindex deutlich unter die Drei-Prozent-Marke gesunken sein: Insgesamt wird es nach der Vorhersage der Top-Ökonomen Jim Reid und David Folkerts-Landau nächstes Jahr beim US-Leitzins um 175 Basispunkte nach unten gehen auf dann 3,6 Prozent. Derzeit halten Powell & Co den geldpolitischen Schlüsselsatz in einer Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent.

Das gierige Biest Inflation hat weiter Hunger

Bei der EZB will man von einer Diskussion über Zinssenkungen vorerst noch nichts wissen: Bundesbankchef Joachim Nagel, der gerne das Bild vom „gierigen Biest Inflation“ bemüht, warnte bereits wiederholt davor, voreilig den Sieg über die Teuerung zu verkünden. Es wäre verfrüht, die Zinssätze bald zu senken oder über solche Schritte auch nur zu spekulieren, sagte er erst am Dienstag.

Am Geldmarkt wird derzeit darauf gewettet, dass die Euro-Notenbank im April 2024 womöglich erstmals wieder die Zinszügel lockern wird. Die EZB hatte auf ihrer Oktober-Sitzung angesichts rückläufiger Inflationszahlen und zunehmender Rezessionssorgen eine Zinspause beschlossen. Auch für die anstehende letzte Zinssitzung in diesem Jahr am 14. Dezember gehen Experten davon aus, dass die EZB an den Zinssätzen nicht rütteln wird.

Inflationsziel 2 Prozent

Erst kürzlich hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde gesagt, mit den mittlerweile 4,0 Prozent beim maßgeblichen Einlagensatz, den Banken erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, sei ein sehr hohes Zinsniveau erreicht worden. Und dies werde, wenn es lange genug beibehalten werde, die EZB zurück zu ihrem Inflationsziel von 2,0 Prozent bringen. In den nächsten paar Quartalen sei keine Änderung zu erwarten.

Die Volkswirte der Deutschen Bank gehen davon aus, dass Lagarde & Co den Einlagensatz im zweiten Quartal 2024 auf 3,75 Prozent, ihn im dritten Quartal dann auf 3,25 Prozent und im Schlussquartal dann weiter auf 3,00 Prozent senken werden. Zuletzt lag die Inflation im Euroraum bei 2,9 Prozent – noch im Herbst 2022 hatte sie bei über zehn Prozent gelegen. Die frischen Daten für den Monat November will das EU-Statistikamt Eurostat am Donnerstag veröffentlichen: Von Reuters befragte Experten erwarten, dass sich der Sinkflug der Inflation mit einem Wert von nur noch 2,7 Prozent fortsetzt.