Es ist eine dramatische Bestandsaufnahme, die die Herrenrunde zieht. Die Bauwirtschaft sei auch durch die langjährige Nullzinspolitik auf einem sehr hohen Niveau geflogen, jetzt stehen aber ordentliche Turbulenzen ins Haus: "Es wird ein gewisses Erdbeben geben, da werden sich manche Leute die Augen reiben", sagt Detlef Heck, Professor am Institut für Bauwirtschaft der TU Graz, im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung der Wirtschaftskammer Graz am Dienstagabend.

Die Vertreter der Baubranche am Podium nicken zustimmend und unterlegen die düstere Einschätzung mit eigenen Zahlen. "Der Wohnbau hat eine dramatische Reduktion vor sich", sagt Peter Schaller von der Porr. Hans Schaffer von der gemeinnützigen ÖWG rechnet vor: "Wir haben normalerweise 1100 Wohnungen laufend im Bau, jetzt sind wir bei 700." Nachsatz: "Tendenz stark fallend." Und Gerald Gollenz, WKO-Obmann der Immobilientreuhänder, blickt ebenfalls wenig optimistisch in die Zukunft: "Heuer werden österreichweit rund 47.000 Wohnungen fertiggestellt, kommendes Jahr maximal 40.000, 2025 überhaupt nur mehr 15.000." Für Graz wären das dann nur mehr ein paar 100 Wohnungen im Jahr.

"Die Bauwirtschaft ist wie ein großer Dampfer"

Schon angesichts dieser Zahlen reiben sich zahlreiche im Publikum die Augen. Vor allem: Wie passt das alles zum Eindruck vieler, dass in Gemeinden vermeintlich letzte Grünflächen verbaut würden und die Baukräne das Bild vieler Städte dominieren? "Die Bauwirtschaft ist wie ein großer Dampfer", sagt Schaller vom Bauriesen Porr. Soll heißen: Der Dampfer war lange mit voller Kraft voraus unterwegs und ist auch jetzt, wo schon länger nicht mehr nachgeheizt werden kann, recht flott unterwegs – aber: Er verliert zunehmend an Fahrt und wird immer langsamer. Und wenn er einmal steht, dauert es, bis er wieder in Schwung kommt.

Einwürfe, dass eine Verschnaufpause angesichts eines überhitzten Marktes ohnehin kein Fehler sei, relativiert TU-Professor Heck. "An der Bauwirtschaft hängen zehn Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes." Ein Einbruch treffe viele, von den Arbeitern an den Baustellen über die Architekten und Bauingenieure bis hin zu  Ziviltechnikern und Produzenten. "Das ist auch ein soziales Thema", so Heck.

Die Arbeitslosenzahlen in der Baubranche steigen bereits

Am Arbeitsmarkt ist das Abschwächen der Baukonjunktur bereits angekommen. Im steirischen Bau gab es Anfang April um 3300 Arbeitslose mehr als im Vorjahr, das ist ein Plus von fast zehn Prozent.

Die Branchenvertreter fürchten auch unmittelbare Auswirkungen auf die Wohnungspreise, etwa am Beispiel Graz: Laut Prognosen wird das Bevölkerungswachstum in der Stadt anhalten, plus 31.000 Bewohner bis 2050. Auch Graz-Umgebung wird weiter wachsen mit plus 26.000. Wenn gleichzeitig der Wohnbau einbricht, steigen im Gegenzug die Wohnungspreise. "Wenn wir leistbares Wohnen jetzt nicht bauen, haben wir in wenigen Jahren eine ähnliche Situation wie in Deutschland", fürchtet ÖWG-Chef Schaffer. Sprich: Die Wohnungspreise würden explodieren.

"Institutionelle Investoren investieren kaum noch in Graz"

Über die Gründe für die "dramatische Entwicklung" ist man sich einig: Die Finanzierung ist genauso teurerer geworden wie die Baukosten. "Auch die Grundstücke sind durch die lange Zeit niedrigen Zinsen sehr hoch, da gibt es jetzt eine Seitwärtsbewegung", so Schaffer. Was die Vergabe von Krediten betrifft, berichtet die Branche von einem Rückgang von 70 Prozent – das trifft Privatpersonen genauso wie große Bauträger. "Institutionelle Investoren investieren kaum noch in Graz", weiß Porr-Mann Schaller.

Ob das ein Schaden ist, stellt zumindest TU-Professor Heck infrage: Den in der Branche so beliebten wie bei Stadtplanern gefürchteten Anlegerwohnungen trauert er nicht nach. Viele dieser Kleinstwohnungen "stehen leer".

Positiver Ausklang: "Die Sanierung des Bestandes wird eine riesen Aufgabe"

Dafür, dass der Diskussionsabend nicht völlig mit einem negativen Ausblick zu Ende ging, sorgte Schaller von Porr. Ja, der Wohnungsmarkt habe eine "dramatische Reduktion vor sich, aber das Positive: Die Sanierung des Bestandes wird eine riesen Aufgabe. Da muss man als Bauwirtschaft auch flexibel sein".