Als  die Nacht ihren dunklen Mantel über Graz legt, leuchtet das Hauptgebäude der Karl-Franzens-Universität im Scheinwerferlicht auf. Der Nachthimmel rundum so finster, wie für manche der Ausblick in die kommende Prüfungsphase. Majestätisch und in ihrer ganzen Pracht thront die Bildungsanstalt am Universitätsplatz und blickt auf die wenigen aus den Bibliotheken stolpernden und umherirrenden Gestalten hinab. Zu diesen zähle ich in der heutigen Nacht ausnahmsweise nicht, mein Ziel ist ein anderes: Ich begleite den Nachtwächter.

Küss die Hand, Herr Kerkermeister

Am Haupteingang der Uni wartet er bereits auf mich. Markus Nöst alias "Der Kerkermeister" arbeitet bereits seit zehn Jahren als Nachtwächter für die Sicherheitsfirma. "Eigentlich wollte ich diesen Job damals ja nur für drei Monate machen. In der Winterpause gibt es für einen gelernten Dachdecker eben wenig zu tun. Schlussendlich gefiel es mir hier so gut, dass ich quasi kleben blieb", erinnert er sich.

Markus Nöst und Michael Schäfl im lockeren Gespräch. Doch bei diesen Arbeitszeiten kann einem das Lachen schnell im Hals stecken bleiben.
Markus Nöst und Michael Schäfl im lockeren Gespräch. Doch bei diesen Arbeitszeiten kann einem das Lachen schnell im Hals stecken bleiben. © (c) Uni Graz/Schweiger (Karl-Franzens-Universitaet Graz)

Montag bis Freitag zwischen 22 und 6 Uhr geht er mit zwei Kollegen seinen Weg durch die Hallen der zweitältesten Universität Österreichs. Wochenends übernehmen zwei andere Kollegen. Wie üblich beginnt die Runde vor der Hauptuni. Von dort geht es weiter in die Gerichtsmedizin und zum Heizhaus. Im Anschluss werden die Mathematiker in ihrem Gebäude besucht und dann wird den "Twin Towers" der Uni Graz ein Besuch abgestattet. Über die Attemsgasse zum Meerscheinschlössl endet unsere heutige Runde beim St. Anna Kinderspital.

An sogenannten "Checkpoints" muss Markus Nöst bestätigen, dass er das Gebäude besichtigt hat. So hat sein Arbeitgeber und die Uni Graz stets Einsicht, an welchem Streckenpunkt er sich gerade befindet.
An sogenannten "Checkpoints" muss Markus Nöst bestätigen, dass er das Gebäude besichtigt hat. So hat sein Arbeitgeber und die Uni Graz stets Einsicht, an welchem Streckenpunkt er sich gerade befindet. © (c) Uni Graz/Schweiger (Karl-Franzens-Universitaet Graz)

Kein Kaffee, ab und an einen Energydrink und Mittagessen um 19 Uhr

Bei einem derart ungewöhnlichen Arbeitsrhythmus fällt es selbstverständlich schwer, dem Privatleben genügend Raum zu geben. Für Markus Nöst allerdings kein Problem: "Ich lege mich, sobald ich heimkomme, sofort ins Bett, schlafe dann bis Mittag durch, koche im Anschluss für meine Familie und habe nachmittags meine Freizeit. Was für die einen das Mittagessen, ist für mich das Frühstück. Anfangs war es hart, das ist klar, aber sobald sich der Rhythmus eingependelt und der Körper daran gewöhnt hat, geht alles wie von selbst."

Der Ausblick vom Dach des "Philoturms", neben dem Chemieturm einer der "Twin Tower" der Uni Graz, belohnt das lange Aufbleiben mehr als genug.
Der Ausblick vom Dach des "Philoturms", neben dem Chemieturm einer der "Twin Tower" der Uni Graz, belohnt das lange Aufbleiben mehr als genug. © (c) Uni Graz/Schweiger (Karl-Franzens-Universitaet Graz)

Ohne Posaune in die Posaune

Im größten Hörsaal der Uni Graz, auch "Heizhaus" genannt, bleibt eine kurze Verschnaufpause. Denn eigentlich hat Markus Nöst im Dienst keine Zeit für Trödeleien: "Ich habe absolutes Liftverbot. In jedem Stockwerk muss jede Tür und jeder Raum kontrolliert werden. Ich gehe alles zu Fuß, selbst zum Wall. Und um 5 Uhr dann der zweite Durchgang, was erst zugesperrt wurde, muss nun wieder aufgesperrt werden." Dennoch bleibt glücklicherweise kurz Zeit, um mich hinzusetzen und eine der vielen Geschichten des Nachtwächters zu dokumentieren: "Einmal erhielt ich um 2:30 Uhr einen Anruf. Eine Studentin war am Apparat, sie habe die Telefonnummer von der Vermittlung und wolle fragen, ob ich ihre Posaune gefunden habe. Sie war leicht betrunken und ohne ihr Instrument aufgebrochen. Jetzt habe sie scheinbar das fehlende Instrument bemerkt. Verständlich, so eine kleine Posaune lässt man ja schnell wo liegen."

Geschichtenstunde im Heizhaus.
Geschichtenstunde im Heizhaus. © (c) Uni Graz/Schweiger (Karl-Franzens-Universitaet Graz)

6000 Stufen und eine Weihnachtsmann-Mütze

Während Markus Nöst zielstrebig und mit einem Orientierungssinn wie Google Maps durch die Gebäude huscht, dabei die einzelnen Checkpoints mit seinem Gerät einliest, erzählt er: "Einmal ging ich diesen Rundgang als Zweiter mit, dann hatte ich ihn bereits im Kopf abgespeichert. Bei manchen Häusern weiß ich sogar die Treppenanzahl, in der Attemsgasse 25, im Institut für Anglistik und Amerikanistik sind es beispielsweise 96. Aber insgesamt lege ich jede Nacht so um die 6000 Stufen zurück."

Vom ganzen Trubel und den Menschenmeeren unter Tags bleiben oft nur einsame Trinkflaschen und Kaffeebecher übrig.
Vom ganzen Trubel und den Menschenmeeren unter Tags bleiben oft nur einsame Trinkflaschen und Kaffeebecher übrig. © (c) Uni Graz/Schweiger (Karl-Franzens-Universitaet Graz)

Abgesehen von der körperlichen Anstrengung kennt der Dienstplan als Nachtwächter selbst an Feiertagen keine Gnade, doch Markus Nöst nimmt es mit Humor: "Manchmal verstoße ich zu Weihnachten gegen die Bekleidungsvorschrift. Da trage ich dann eine rote Zipfelmütze. Die Putzfrauen, die Studenten und Professoren, die ich in ihren Büros spätnachts noch antreffe, freut's."

"Bis der Nachtwächter euch scheidet"

Gerne erinnert sich der Sicherheitsmann an sein lustigstes Erlebnis im Dienst zurück: "Damals hörte ich nachts im Meerscheinschlössl noch Musik und Leute reden. Ich dachte mir dabei nichts, denn immerhin kann man diese Räumlichkeiten auch als Veranstaltungs-Location mieten. Dennoch wagte ich einen Blick. Ich sperrte die Hintertüre auf, nahm den Vorhang zu Seite und plötzlich stand ich da. Mitten zwischen den frischgetrauten Brautleuten. Ich habe ihr Hochzeitsfoto gecrasht!" Er lacht und meint weiter:" Immerhin habe ich das Foto dann auch bekommen, es hängt jetzt bei mir an der Wand."

Gegen Mitternacht verabschiede ich mich von Markus Nöst, um nicht Gefahr zu gehen, eine Hochzeit zu stören, und weil mich schön langsam die Müdigkeit übermannt. Zum Abschluss stelle ich fest: Ich werde mich am Ende eines Tages nie wieder darüber aufregen, zu lange an der Uni gewesen zu sein.