Als ich um 22:00 Uhr auf das Gelände der Rot-Kreuz-Dienststelle in der Münzgrabenstraße einbiege, wirkt die Umgebung recht menschenleer. Kein Blaulicht blendet mein Auge, kein Sirenengesang weit und breit. Und als ich noch leicht verloren am Parkplatz stehe und überlege, wo sich die erwartete Rettungswagen-Flotte versteckt haben könnte, biegt neben mir ein Fahrzeug um die Ecke. Das unscheinbare Garagentor öffnet sich und siehe da, da ist sie, die erhoffte Sanitäts-Armada, mit der die Grazer des Nachts optimal versorgt werden. Das gleißend helle Licht der Neonröhren spiegelt sich in den unzähligen Regenpfützen am Boden wider. Ein Anblick, der selbst Henry Dunant Tränen des Stolzes in die Augen getrieben hätte.

Während um 10 Uhr abends die meisten Grazer schon Feierabend machen, beginnt für die Ehrenamtlichen in der Münzgrabenstraße der Dienst von Neuem.
Während um 10 Uhr abends die meisten Grazer schon Feierabend machen, beginnt für die Ehrenamtlichen in der Münzgrabenstraße der Dienst von Neuem. © Michael Schäfl

Die größte Rettungsstelle Österreichs und Mitteleuropas, munkelt man

Kurze Zeit später schließt sich das Garagentor wieder, die Dunkelheit des Parkplatzes hat mich wieder. Und schon sehe ich rot. Denn Georg Flatscher, seines Zeichens Offizier vom Dienst, steht in voller Montur vor mir, begrüßt mich und geleitet mich in die heiligen Hallen der größten Rettungsstelle Österreichs. Täglich sind hier bis zu 35 Autos, im Fachjargon RTW, für Normalsterbliche einfach Rettungswagen, genannt, im Dienst. "Die Mindestbesetzung nachts beträgt zehn Autos, mit jeweils drei Rettungssanitätern und zwei Jumbos mit je vier Mann", berichtet Georg Flatscher stolz. "Wenn an den Universitäten die prüfungsfreie Zeit beginnt, kann es auch schon mal vorkommen, dass wir 14 bis 15 RTW in der Nacht im Einsatz haben." Neben dem gleichen Gewand vereint die Diensthabenden noch etwas: Sie alle haben nur das Wohlergehen der Grazer im Sinn. Aus Liebe zum Menschen eben.

Georg Flatscher, Offizier vom Dienst, sorgt mit seinen Mannschaften für die optimale sanitätstechnische Abdeckung Graz´.
Georg Flatscher, Offizier vom Dienst, sorgt mit seinen Mannschaften für die optimale sanitätstechnische Abdeckung Graz´. © Michael Schäfl

Die weinrote Gesichtsfarbe, passend zur Uniform

"Ich kann mich noch gut an einen ganz besonderen Einsatz erinnern. Damals brachten wir eine ältere, gebrechliche Dame nachhause. Dort wartete bereits ihre Verwandtschaft auf sie und nahm sie freudig in Empfang. Als ich die Dame ins Bett legen wollte, drückte sie mir plötzlich einen dicken Kuss auf die Wange. Ich habe mich unglaublich geschreckt, die Verwandtschaft brach in schallendes Gelächter aus und die Frau strahlte über das ganze Gesicht", erzählt Helmut Weber und lacht. Ein bisschen scheint es ihm die Schamesröte von damals noch ins Gesicht zu treiben. Mit 43 Jahren Dienstjahren ist er der Älteste, der noch Nachtdienst in der Dienstagnacht-Gruppe macht.

Helmut Weber, Dienstältester im Grazer Nachtdienst, plaudert aus dem Nähkästchen, oder besser, aus dem Verbandskoffer.
Helmut Weber, Dienstältester im Grazer Nachtdienst, plaudert aus dem Nähkästchen, oder besser, aus dem Verbandskoffer. © Michael Schäfl

"Nach dem Erst-Hilfe Kurs blieb ich kleben."

"Meine Frau sagte damals zu mir 'Mach doch mal etwas Freiwilliges, was auch Sinn macht!' Gesagt, getan. Ich meldete mich zu einem Erste-Hilfe-Kurs an und blieb nach den aufbauenden Kursen hängen. Ich arbeitete damals, mit 25,  bei der Grazer Post- und Telegrafengesellschaft. Als ich dann mit 60 in Pension ging, konnte ich mich meinem liebsten Hobby noch intensiver widmen. Dem Telefonieren bin ich quasi treu geblieben", erinnert sich Helmut Weber. Durchaus beachtlich ist auch, dass er nach all den Jahren noch immer keine Lenkberechtigung für den RTW besitzt: "Ich fühle mich bei den Patienten hinten im Wagen viel wohler. Dort ist mein Platz im Rettungswagen."

"Ich brenne für alles, das mich interessiert"

Matthias Kaindl, seines Zeichens Ausbildungsreferent der Dienstagnacht-Gruppe, ist heute schon seit 17 Uhr im Dienst. Doch von Müdigkeit keine Spur. Dafür sorgt die beste und treueste Freundin eines jeden fleißigen Rettungssanitäters, die Kaffeemaschine. "Ich begann, so wie die meisten, als Zivildiener. Wartete sogar extra ein Jahr zu, weil ich unbedingt zum Roten Kreuz Graz wollte und die Warteliste doch beachtlich lange war", plaudert er los. "Zuhause bin ich eher faul, doch hier würde mich wohl keiner als faul bezeichnen. Eher das andere Extrem. Ich brenne für alles, was mich interessiert." Mich lässt der Verdacht nicht los, ob er sich da nicht bei der falschen Einsatzorganisation befindet?

Partnerlook schweißt zusammen

Matthias Kaindl weiter: "Hier findet man eine zweite Familie. Zwischen den vielen von Grund auf unterschiedlichen Leuten findet reger Austausch statt. Irgendjemand ist immer da. Unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Vorgeschichten und unterschiedlichen Berufen." Egal welcher Beruf, im Roten Kreuz fanden alle ihre Berufung.

Ein Fluchtweg ist bei Problemen nicht vonnöten. Denn irgendjemand ist immer da. Matthias Kaindl und Johanna Höpflinger im Lehrgespräch.
Ein Fluchtweg ist bei Problemen nicht vonnöten. Denn irgendjemand ist immer da. Matthias Kaindl und Johanna Höpflinger im Lehrgespräch. © Michael Schäfl

Nach dem Unfall einfach im Krankenwagen geblieben, so circa

Johanna Höpflinger erzählt, wie sie damals zum Roten Kreuz Graz kam:  "Ich hatte im Juli 2015 einen Mopedunfall mit einem LKW. Selbstverständlich war auch die Rettung rasch vor Ort und so lag ich kurze Zeit später schon im RTW. War es vom Schock oder von den guten Gesprächen mit den Rettungssanitätern, ich weiß es nicht, auf alle Fälle war ich schwer beeindruckt vom Sanitäter-Dasein. Ich war noch mit Krücken unterwegs, da meldete ich mich schon beim Roten Kreuz Graz. Und nun bin ich da. Ohne Krücken"

Mit etlichen guten Geschichten und einigen Fotos im Gepäck mache ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg nachhause. Bei jeder Kurve auf der regennassen Straße mit der Hoffnung , dass die Bekanntschaften mit dem Roten Kreuz für heute ein Ende gefunden haben.