Worin besteht der Unterschied zwischen dem Kren in „Bellys“-Imbissbude am Hauptplatz und mir? Der Kren ist frisch, ich nicht. Und hiermit: Herzlich willkommen zum dritten Bericht von „Graz bei Nacht“. Heute geht's um die Wurst, denn ich verbringe meine Nacht mit dem Würstelstand im Zentrum von Graz. Zur Stärkung und um mich auf die bevorstehenden Stunden vorzubereiten, esse ich vorab noch zwei Debrecziner mit Senf und Kren. Dann kann's losgehen. 

Vorbereitung ist Alles

Kurz nach der Vorstellrunde beginnt der Trubel bereits, die ersten Kunden warten schon ungeduldig. So voll wie die Theke des Imbisstandes bereits zu Beginn ist, so leer sind die Mägen der Davorstehenden. Meine erste Aktivität als neugeborener Würstelgriller: Flaschen nachschlichten, denn was passt besser zu einem kleinen Nachtimbiss als ein kühles, erfrischendes Hopfengetränk - oder doch besser eine Frucade?

Das Team: Edvin Korat und Melani Natanda, Besitzerin Isabella Daum mit Michael Schäfl und Daniel Retschitzegger
Das Team: Edvin Korat und Melani Natanda, Besitzerin Isabella Daum mit Michael Schäfl und Daniel Retschitzegger © Daniel Retschitzegger

Doch die Arbeit am Würstelstand beginnt nicht erst, wenn sich die Jalousien öffnen, sondern schon viel früher. Salat, Tomaten, Zwiebel wollen geschnitten, Saucen vorbereitet und Würstel eingelagert werden. „Die ganze Vorbereitung übernimmt ein ehemaliger albanischer Flüchtling für mich. Ohne der Familie Orhan würde die ganze Vorbereitung nicht so gut funktionieren“, so Isabella Lucia Daum, Inhaberin von „Bellys“.

Die Frau hinterm/im Würstelstand

Isabellas Mutter Ernestine Daum und ihr Vater Miguel Mendez gründeten den Nachtwürstelstand im Jahr 1973. Der Vater studierte an der TU Graz und reiste viel herum. Bei seinen Reisen traf er überall auf Nachtstände und ebendiese brachten ihn auf die entscheidende Idee: Das müsste man auch in Graz machen! Nach der Trennung der Eltern machte Isabellas Mutter mit fünf kleinen Kindern alleine weiter. Isabella berichtet: „Als mein kleiner Bruder Miguel an Leukämie erkrankte und leider auch bald darauf 1978 starb, schwebte ein riesiges Fragezeichen über dem Würstelstand.“

Wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo das Bundesheer

Im Oktober 1978 sahen zwei Präsenzdiener Isabellas Mutter weinend im Würstelstand und beschlossen kurzerhand, ihr unter die Arme zu greifen. Sie übernahmen freiwillig die Abendschichten und so konnte Ernestine Daum regelmäßig ihren kranken Sohn, der im Koma lag, auf der Intensivstation besuchen. Als sich sein Zustand mehr und mehr verschlechterte, wurden die jungen Soldaten von ihrem Kommandanten für die Nacht freigestellt, um der alleinerziehenden, berufstätigen Mutter noch weiter helfen zu können. Das ist Nachtschicht in Graz.

Bellys-Mitarbeiter in Action.
Bellys-Mitarbeiter in Action. © Daniel Retschitzegger

„Ich übernahm den Stand dann 1991 von meiner Mutter. Als Vegetarierin zum damaligen Zeitpunkt schwer vorstellbar. Von der Arbeit am Würstelstand hält meine Mutter selbst mit 83 Jahren nichts ab, darum hilft sie immer sonntags aus.“, erinnert sich Isabella Daum.

Lang lebe die Industrialisierung!

Doch Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen, bleibt kaum. Denn im Minutentakt liefern die „Kohldampf-Transporte“ der Grazer Linien  hungernde Kunden an. Und diese gilt es zu versorgen. Darum wurde ich kurzerhand vom „Flaschen-Nachschlichter“ zum „Tomaten-Schneider“ befördert. Isabella lacht: „Eigentlich wollte ich dich ja Zwiebel schneiden lassen, aber dafür haben wir leider eine Maschine.“

In Gedanken bedanke ich mich innigst bei der Maschine, denn die ganze Zeit Zwiebel zu schneiden wäre für mich im wahrsten Sinne des Wortes ein „Wurst-Käs-Szenario“. Irgendwie kurios.

Eine Lehrstunde der Chefin blieb auch nicht aus.
Eine Lehrstunde der Chefin blieb auch nicht aus. © Daniel Retschitzegger

Der Tresen wird zum Bett

Wenn man tagtäglich bis spät in die Nacht  unzählige hungrige Mäuler zu versorgen hat, verwundert es kaum, dass man da schon die ein oder andere kuriose Geschichte zu erzählen hat. So gehören zum Beispiel betrunkene Gäste schon so zum Geschäft wie Curry zur Wurst. "Häufig schlafen bei uns auch Leute während der Bestellung ein. Die werden dann aufgeweckt und dann gibt´s für sie ein Betthupferl", erzählt Isabella.

Der Würstelstand als interkultureller Treffpunkt

Dass sich am inoffiziellen österreichischen Kulturgut Würstelstand hungrige Mäuler verschiedenster Länder tummeln, überrascht wenig. Doch Isabella Daum ist es ein Anliegen, die Diversität noch weiter zu stärken: „Ich beschäftige viele Menschen unterschiedlichster Herkunft. Kulturelle und soziale Durchmischung ist mir ein sehr großes Anliegen.

Selbst um 01:00 Uhr nimmt der Andrang kein Ende.
Selbst um 01:00 Uhr nimmt der Andrang kein Ende. © Daniel Retschitzegger

Menschen aus allen möglichen Ecken der Welt sind bei mir herzlichst willkommen“ Und ebendiese Menge an Menschen, nicht nur vor dem sondern auch im Stand, sorgt auch allmählich dafür, dass die Temperatur im Wagen rasch ansteigt. Ich bekomme Mitleid mit den Würstchen am Grill

Die Schicht geht zu Ende

Während es die Hungrigen, wie die Motten zum Licht, zum Würstelstand zieht, geht meine Zeit vor Ort zu Ende. Glücklich, aber fertig verlasse ich den Imbissstand von Isabella „Belly“Daum. Die schönen Erinnerungen werden mich wohl ebensolange begleiten, wie der Grillgeruch meine Kleidung. Doch kein Grund, um traurig zu sein, denn bekanntlich hat alles ein Ende, nur die Wurst hat …!