Sein Geburtsjahr und vor allem sein Geburtsort markieren mehr österreichische Geschichte, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Auch wenn in Gerard Sonnenscheins Geburtsurkunde 1945 und Casablanca steht.

Sohn eines Juden. Als Sohn eines vor der Schreckensherrschaft der Nazis geflüchteten Juden aus Graz und einer nach Marokko gelangten französischsprachigen Jüdin spiegelt Sonnenscheins Familiengeschichte das Schicksal seines Volkes im 20. Jahrhundert wieder. Doch der Vater will wieder zurück ins heimatliche Graz. 1950 erfolgt die Übersiedlung. "Meine Mutter und ich haben das nicht verstanden. Ich konnte kein Wort Deutsch, habe nur Französisch und Spanisch gesprochen", erinnert sich Sonnenschein.

Sprachbarriere. Für das Kind ist in den 1950er-Jahren zunächst nicht nur die Sprachbarriere eine schwere Hürde, sondern auch Erlebnisse, die es sprachlos machen. "Eines Tages kam Vater nach Hause und war völlig aufgelöst. In einer Drogerie fand er Seifen mit der Aufschrift RIF, für ,Rein Jüdisches Fett'. Wir waren geschockt", erzählt Sonnenschein. Darauf hin habe die Israelitische Kultusgemeinde die Lagerbestände aufgekauft, damit sie nicht in Umlauf kommen. Rassistische Pöbeleien prallen an dem selbstbewussten Jungen aber bald ab. Sonnenschein will selber mit seinem offen zur Schau gestellten Judentum provozieren. Dazu reicht in den 1960er-Jahren mitunter schon der aufgenähte Davidstern an seinem Fußballtrikot.

Klima der Verständigung. "Mittlerweile ist das Klima in Graz gut wie nirgends auf der Welt. Es gründet auf die Verständigung, die Alfred Stingl begann und Siegfried Nagl weiter fortsetzt", lobt Sonnenschein, der sich auch als Autor betätigt hat: "Nebbich City" heißt die Sammlung "lustiger Geschichten", erzählt in bester jüdischer Tradition voll abgründigem Humor.

Kultusrat. Seit 1970 ist er im Kultusrat der Israelitischen Gemeinde vertreten, im Dezember 2000 folgt Sonnenschein Kurt Brühl als deren Präsident nach. Rund 130 Mitglieder umfasst die Gemeinde. Die Eröffnung der neuen Synagoge im Jahr 2000 habe einen Wandel gebracht. "Es war klar, dass wir uns öffnen mussten, damit wir nicht weiter als Exoten behandelt werden", meint Sonnenschein.

Breites Kulturprogramm. Das Haus sei nun für alle offen, täglich kommen Menschen, um die Synagoge zu besichtigen. Ein breites Kulturprogramm werde geboten. Als guter Kenner der jüdischen Geschichte will er daher vermitteln, dass "Jüdischsein nichts mit Rasse oder Abstammung zu tun hat, sondern mit dem Glauben". Der interreligiöse Dialog mit Katholiken, Protestanten und Moslems sei der Weg, um die Anerkennung der Menschen und des Glaubens zu finden. Das kommt auch am heutigen Gedenktag zum Ausdruck.