Jetzt wissen wir, warum Tannhäuser dem Sex-Paradies entfliehen will: Er hat genug vom knöchelhohen Grundwasserspiegel in der unterirdischen Liebesgrotte der Venus und möchte endlich wieder trockenen Boden unter die nassen Füße bekommen. Das suggeriert zumindest Philipp Himmelmanns Inszenierung von Richard Wagners "Tannhäuser", die beim Saisonauftakt der Grazer Oper heftige Missfallenskundgebungen erntete.

Ernüchterndes Ambiente. Als hässliches Einheitsdekor hat Elisabeth Pedross eine die Bühne umrahmende Zuschauertribüne mit Plastikschalensitzen entworfen. Kein Wunder, dass Tannhäuser in dieser ernüchternden Venusfalle die Lust und die Inspiration abhanden gekommen sind, obwohl sich Venus verführerisch in einem Berg aus zerknülltem Papier räkelt. Durfte er bei der Premiere dieser Inszenierung im Jänner des Vorjahres in Hannover noch die halbnackten Körper der Sirenen bekritzeln, so muss er sich jetzt in Graz mit der Liebesgöttin allein begnügen und seine ihn nicht zufrieden stellenden dichterischen Eingebungen ganz profan zu Papier bringen.

Gegenwart. Philipp Himmelmann geht es offenbar darum, nicht einmal mehr den Gegensatz zwischen sinnlicher und reiner Liebe zu thematisieren. Er rückt vielmehr den Konflikt des Künstlers mit der Gesellschaft und ihrem Sittenkodex in den Vordergrund. Das Geschehen siedelt er in der Gegenwart an. Die Jagdgesellschaft des Landgrafen Hermann hat Petra Bongard als Golfrunde ausstaffiert, zu deren Vergnügungen es auch gehört, in mittelalterliche Kostüme zu schlüpfen, um einen Starmania-Bewerb als karnevalesken Sängerkrieg zu inszenieren, dessen skurrile Protagonisten Monty Pythons "Rittern der Kokosnuss" ähneln. Die Sympathie des Regisseurs gilt eindeutig dem Künstler und nicht der bigotten Gesellschaft, die zum Einzug der Gäste auf die Wartburg einer jungen Frau ein Schild mit der Aufschrift "Ich habe Lust empfunden" um den Hals hängt, sie bespuckt und auspeitscht.

Begnadigung. Sehr weit geht der Regisseur beim Ringen um eine heutige Bildsprache im dritten Akt. Elisabeth nimmt von einer Madonnenstatue Mantel, Kopftuch und Strahlenkranz und fährt als Heilige in den Himmel. Und Tannhäusers Begnadigung feiern Nonnen in weißen Kutten mit knallroten Herzen in religiöser Ekstase mit La-Ola-Wellen. Ironisch überspitzter Kitsch oder der Versuch blasphemischer Provokation? Bleibt Himmelmann weit unter der Qualität seiner Grazer "Wozzeck"-Inszenierung, so erreicht die musikalische Realisierung erfreulich hohes Niveau. Dirk Kaftan führt die Grazer Philharmoniker zu geschmeidig-konstrastreichem Spiel, Bernhard Schneider gelingt ein beeindruckender Einstand als neuer Chorchef.

Hochkarätiges Ensemble. Mit tenoralem Metall, jugendlich-hellem Timbre und enormen, erst in der Romerzählung mobilisierten Kraftreserven führt John Treleaven als Titelheld ein hochkarätiges Ensemble an. Ricarda Merbeth, in Bayreuth die Elisabeth vom Dienst, vereint reines Timbre mit lyrischer Wärme. Sinnlichen Glanz verströmt Christiane Libor als Venus. Ashley Holland rückt den Wolfram weg vom Klischee des puren Schöngesangs, markig tönt Albert Pesendorfer als Landgraf.