Herr Breisach, vor nicht allzu langer Zeit zeigten Sie sich besorgt über den Feinstaub, der sich in den Köpfen vieler Leute breit macht, primär meinten Sie die Politiker. Ist die Sorge geringer geworden?
BREISACH: Nein, im Gegenteil. Der Feinstaub komprimiert sich ja immer mehr.

Inwiefern?
BREISACH: Die Parteien verkümmern immer mehr zu Selbst-zweckvereinen. Allmählich müsste der Druck von unten kommen, von der Zivilbevölkerung. Offenbar müssen die Menschen wieder lernen, dass sie es sind, die die Macht haben, Veränderungen herbeizuführen.

Das erinnert fast an Aufrufe zum zivilen Ungehorsam.
BREISACH: Mag sein, aber es ist nicht so gemeint. Es geht um ein ziviles, zivilisiertes Umdenken.

Wie müsste dieses erfolgen?
BREISACH: Wir glauben in unserer vermeintlichen Insel oder Oase der Seligkeit noch immer daran, dass für uns die Probleme der Welt da draußen keine Rollen spielen. Alle Krisen, die ja immer ernster und bedrohlicher werden, werden sträflich missachtet, am meisten von den Politikern.

All das klingt sehr resignativ und passt überhaupt nicht zum Dynamiker Emil Breisach. Hat Ihr heutiger Geburtstag für Sie einen besonderen Stellenwert?
BREISACH: Nein. Für mich ist jeder Tag gleich. Ich bin froh, wenn ich gesund aufwache. Ich lebe nur in der Gegenwart, die Jahre zähle ich nicht.

Zum Leben im Jetzt gehört auch der Blick nach vorne. Wohin richtet er sich derzeit?
BREISACH: Ich denke momentan intensiv über Möglichkeiten nach, welche neuen Funktionen der Süden Österreichs in diesem neuen Europa haben sollte und müsste. Und da geht der Blick ganz klar in den Südosten, hin zu einem geistigen und kulturellen Austausch.

Das klingt ein wenig nach dem legendären Trigon-Bestreben?
BREISACH: Schon. Aber das ist größtenteils überholt. Die Grenzen sind offen. Die Wirtschaft hat das erkannt und ich frage mich, ob da nicht auch die heimische Kulturpolitik viel stärker reagieren sollte. Der Balkan ist, vor allem im Westen und Norden Europas, kulturell noch immer eine weitgehend unbekannte Zone, eine terra incognita. Hier könnten wir eine ganz maßgebliche Rolle übernehmen, zumal ja in der EU sonst offenkundig niemand daran denkt.

Sie haben, mehr als fünf Jahrzehnte lang, die steirische Kulturszene massiv mitgeprägt. Was war das schönste Erfolgserlebnis?
BREISACH: Es war der fast unglaubliche Glücksfall, immer wieder Menschen getroffen zu haben, die gleichen Sinnes sind. Und es ist die Tatsache, dass alle einstmals gegründeten Institutionen, weiterhin bestehen. Mit Höhen und Tiefen, in Wellenbewegungen, aber nur durch sie gibt es auch Weiterentwicklung.

Und Ihre größte Enttäuschung?
BREISACH: Es gab einige Enttäuschungen mit einzelnen Menschen, die ich zu verdrängen versuche. Sie belasten mich nicht mehr.

Sie erleben derzeit als Lyriker einen neuen, weiteren Frühling. Etliche Ihrer Gedichte wurden und werden vertont. Überrascht Sie das?
BREISACH: Auch hier spielten viele Zufälle eine große Rolle. Aber natürlich ist es ein großes, schönes Erlebnis, wenn Friedrich Cerha daraus gleich mehrere große Kompositionen daraus schafft.

Halten Sie sich für ein Kind des Zufalls, mittlerweile halt zufällig 85 Jahre alt?
BREISACH: Absolut. Ich habe mich mein ganzes Leben lang auf den Zufall verlassen. Man muss offen sein, immer, im richtigen Moment kommt auch das Richtige auf einen zu. Es kommt, man darf es nur nicht forcieren.

Ruhe finden Sie bei ihrem Hobby, der Vogelkunde? Warum ausgerechnet Ornithologie?
BREISACH: Ich habe eine starke Naturbeziehung. Mit zwei Gesprächspartnern - den Pflanzen und den Vögeln.

Was können sie uns lehren?
BREISACH: Ich lerne immer wieder viel. An den Vögeln liebe ich die immense Begabung, Reisen zu machen, Pflanzen sind eigentlich Bilder, die auch reden können, in einer eigenen Sprache. So finde ich einen Gegenpol zur oft katastrophalen Verbalisierung der Welt. Und die Möglichkeit, mich intensiv mit den Rätseln des Lebens zu befassen.

Wie würden Sie diese benennen?
BREISACH: Sie betreffen die Sinngebung von Geburt, Wachstum und Tod. Und sie betreffen die Bereitschaft, sich diesen Gesetzen anheim zu geben.

Auch durch Zufall, manchmal höheren?
BREISACH: Wer weiß das schon?