Auf die Frage hin, wie sehr sich auch seine Branche gerade wandelt, muss Christian Jungwirth lachen. Weil er nichts anderes gewohnt ist und aufgehört hat, mitzuzählen, wie viele Umbrüche es eigentlich waren. „Angefangen beim Wechsel vom Analogen zum Digitalen bis zur Etablierung der Smartphones, als plötzlich jeder eine hochwertige Kamera in der Hosentasche hatte.“ Jungwirth ist einer der renommiertesten Fotografen des Landes. Im Sucher hat er auf den ersten Blick vorwiegend Persönlichkeiten für spektakuläre Porträts – auf den zweiten aber auch die Frage, was seinen Beruf ausmacht. Und eine Gesellschaft. Also landet der 63-Jährige bei Herz und Hirn.

Der Grazer ist Autodidakt, er bringt sich das Fotografieren selbst bei. Der fast klassische Weg (“So mit 14 Jahren ist die Leidenschaft gekommen, da hab ich mich mit so Knipszeugs ausgetobt“) ist auch ein steiniger, nach der Matura startet er „meinen zweiten Bildungsweg, quasi als Gast in der Berufschule“. Aber er bleibt dran, arbeitet für Zeitungen und Werbeagenturen, fotografiert für Wahlkampagnen auch in Deutschland und spezialisiert sich auf „Personalityshootings“. Bei der Frage, was seine Schnappschüsse aussagen sollen, orientiert er sich auch an seinem Kollegen Oliviero Toscani, der vor allem mit Benetton-Kampagnen für Aufsehen sorgte: Wenn sich Toscani Fotos vorlegen lasse und diese bespricht, lehne er 99 Prozent davon ab. „Weil sie in seinen Augen nichtssagend sind. Und Massenware.“

Jungwirth, der mit Kollegen die öffentliche Dauerausstellung „Menschenbilder“ auf die Beine stellte, erlebte auch den Wandel beim Gewerbe, die Liberalisierung, das Fallen von bürokratischen Hürden. Und in der Folge das steigende Interesse an diesem Beruf. „Du hast heute vier Mal so viele Fotogafen in der Steiermark als noch vor ein paar Jahren. Das Problem ist aber, dass nur die wenigsten allein davon leben können. Der Kuchen wird einfach nicht größer.“

Größer wird indes die Wahrscheinlichkeit, dass Künstliche Intelligenz (KI) schon bald etliche Arbeitsmodelle verändert. Bei jenen Branchen allerdings, die mit Aufnahmen aller Art zu haben, kommt eine gesellschaftliche Tragweite hinzu: Können wir bald nicht mehr glauben, was wir auf Fotos sehen? „Ich nutze die KI nicht proaktiv und bewusst, aber bei jedem Bearbeitungsprogramm spielt die im Hintergrund mit, so ehrlich muss man sein. Aber KI geht ja weiter: Ich hab vor Jahren spaßhalber einmal eine Handy-App ausprobiert, die Fotos quasi zum Leben erweckt. Dafür hab ich Gesichter von Plakaten verwendet, noch dazu leicht vergilbte. Und plötzlich fangen diese Gesichter zum Reden und Singen an. Da wird es dir echt ganz anders.“

Wie also damit umgehen? Jungwirth: „Wie bei der Arbeit geht es letztlich um Herz und Hirn. Ich muss mich also fragen: Wie groß ist die Chance, dass das, was ich sehe, auch real ist?“. Der 63-Jährige fühlt sich halbwegs gewappnet für den nächsten Wandel, der mit Sicherheit kommt.