Sie waren Spitalsarzt und sind heute Berater und Gesundheitsökonom. Am Mittwoch referieren Sie bei der Landtags-Enquete zur Chirurgie-Reform. Sie kennen die Auseinandersetzung um die Schließung der Chirurgien Bad Aussee und Mürzzuschlag. Wer hat aus Ihrer Sicht recht?
ERNEST PICHLBAUER: Im Sinne von Kages versus Standorte?

Ja.
PICHLBAUER: Die Kages.

Aus welchem Grund?
PICHLBLAUER: Chirurgien, die eine bestimmte Größenordnung nicht erreichen, haben ein Qualitätsproblem, das belegen internationale Studien. Selbst kleine Eingriffe sind nicht so "leicht", dass man sie mit geringer Übung regelmäßig komplikationsarm machen kann. Daher ist es notwendig, Zentralisierungen durchzuführen. Und wenn man ein Einzugsgebiet hat, das nicht mehr ausreicht, um wenigstens 20 Betten zu füllen - die optimale Größe für eine Chirurgie liegt um die 50 Betten -, dann muss man sich etwas überlegen. Aus Qualitätsgründen gibt es da keinen Pardon, das werde ich in meinem Vortrag auch darstellen.

Die Relevanz der Fallzahlen wird von den Befürwortern der Voll-Chirurgie in Frage gestellt. Gibt es da objektive Fakten oder steht Meinung gegen Meinung?
PICHLBAUER: Es gibt eine Korrelation zwischen der Qualität und der Menge. Das ist unbestritten. Die Schwierigkeit ist, dass es keine Studien gibt, die punktgenau sagen, die optimale Qualität bei der Gallenblase ist erreicht mit, sagen wir, 23 Eingriffen pro Jahr. Solche Studien kann man nicht machen, weil andere Einflussfaktoren dazukommen. Aber dürfen wir, nur weil wir es nicht mit einer exakten Zahl definieren können, den Zusammenhang außer Acht lassen? Nein. Da folge ich schon aus Vorsichtsgründen dem internationalen Trend.

Jetzt gibt es Leute, die sagen, diese niedrigen Fallzahlen seien geradezu gefährlich. Würden Sie so weit gehen, zu sagen, dass die politischen Kräfte, die für die Aufrechterhaltung eintreten, fahrlässig handeln?
PICHLBAUER: Das Wort "fahrlässig" ist ein hartes Wort, aber ich würde jedenfalls sagen, dass sie nicht zu den Vorsichtigen gehören.

Wie erklären Sie das dort, wo die Rettung bei widrigen Verhältnissen eineinhalb Stunden zum nächsten Krankenhaus fährt?
PICHLBAUER: Es gibt da die Versorgungsforschung. Die versucht alles so nah am Wohnort wie möglich zu machen, solange man die Qualität aufrecht erhalten kann. Die Spitzenmedizin gibt es nur in den zentralen Häusern. Und Sie können nicht hinter jedem Busch ein Spital haben, das wäre natürlich der Wunsch. Da muss man Kompromisse schließen. Aber wenn man durch die schlechte Qualität mehr Menschen schadet als man nutzt, dann muss man sagen: Nein.

Gibt's Analysen, aus denen ein Indikator für eine solche Gefahr ablesbar ist?
PICHLBAUER: Die Mengen-Qualitäts-Beziehung ist ganz klar, und zwar auch bei den kleinen Eingriffen. Die Komplikationsraten sind dort höher, wo die Mengen geringer sind. Bei zu großen Mengen kippt das natürlich wieder. Das sind Indizien, keine Beweise, aber darf ich es riskieren, solange zuzuwarten, bis ich den Beweis habe? Natürlich passiert wenig, weil ja auch wenig Patienten da sind. Aber wenn man sich das in großen Mengen anschaut, dann passiert richtig viel.

Sie haben vor Jahren einmal gesagt, dass die aktiven Machtkomplexe die alten Strukturen mit Zähnen und Klauen verteidigen. Wie kann man das denn durchbrechen?
PICHLBAUER: Vielleicht tut sich jetzt etwas. Ansonsten geht es nur über den Weg der Patientenverunsicherung, was ich eigentlich nicht will - über die Veröffentlichung von Komplikationsraten. Oder über die Kosten: In Deutschland sind 150 Krankenhäuser von der Bildfläche verschwunden, als das Geld knapp wurde. Ich habe Angst, dass man so lange mit Reformen wartet, bis es richtig hart wird und weh tut.