Saftige grüne, rote und blaue Trauben, volle Rebstöcke und zahlreiche fleißige Hände am Ernten. In der Luft liegt ein süßlicher Geruch von Fruchtzucker, Weinberge, wohin das Auge blickt. An der Steirischen Weinstraße herrscht im goldenen Herbst Hochbetrieb. Die Winzerinnen und Winzer ernten derzeit die Früchte der Arbeit des Jahres.

Einer von ihnen ist Martin Tinnauer. Mit seiner Familie betreibt der 44-Jährige in der dritten Generation ein Weingut und eine Buschenschank am Labitschberg bei Gamlitz. Begonnen hat sein Großvater mit einer kleinen Fläche von 3000 Quadratmeter, damals in Kombination mit Rinder- und Schweinehaltung. Vater Johann konzentrierte sich ab 1965 rein auf den Wein und baute später auf die heutigen fünf Hektar Anbaufläche aus. Heute kann der Betrieb mit fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie rund zehn saisonalen Erntehelfern die Familie ernähren – wenngleich es harter Arbeit das ganze Jahr über braucht. "Viel Freizeit bleibt nicht", gibt Claudia Tinnauer – Martins Ehefrau – zu, die Gastgeberin und das Gesicht der Buschenschank ist.

Video: Martin Tinnauer über seinen Alltag als Winzer

300–400 Kilogramm pro Person und Tag

Im September und Oktober sind die Tage der steirischen Winzerinnen und Winzer zunehmend länger. "Bereits in der Früh fahren mein Vater und ich zu den Weinrieden und entscheiden, was wir am jeweiligen Tag ernten wollen", erklärt Martin Tinnauer, der als Weinbau- und Kellermeister mit geschultem Auge auf die Trauben blickt. Je nach Sorte bleiben die Trauben unterschiedlich lange am Rebstock, um einen anderen Reifegrad zu erzielen. Dann werden die Helfenden eingeschult. Sie zwicken die Früchte ab und selektieren, was in den Kübel kommt und was nicht. "Jede Person muss mindestens 300–400 Kilogramm pro Tag ernten", lautet die Vorgabe von Martin Tinnauer. Die geschnittenen Trauben werden mittels Kleintraktor Richtung Presshaus gebracht. Dort durchlaufen die Früchte verschiedene Stationen.

Martin Tinnauer beim Bedienen der Weinpresse
Martin Tinnauer beim Bedienen der Weinpresse © Hanschitz

Auf dem sogenannten Rüttelpult werden kleine Käfer und Säfte, die nicht in Ordnung sind, rausgerüttelt. Im Rebler werden anschließend die Trauben vom Stielgerüst getrennt, sodass die Maische aus Kernen, Haut und Fruchtfleisch übrig bleibt. In der Weinpresse wird die Maische schonend ausgedrückt, der trübe Traubensaft fließt in den Keller. Nach Filtrationen wandert der Traubensaft in den Gärbehälter – aus Edelstahl oder Holz, je nach Ausbauart des Weines – und wird dort durch umgewandelten Fruchtzucker zum alkoholischen Getränk. "Das ist für uns die schönste Phase", sagt Tinnauer schmunzelnd. "Von dort an sind wir nur mehr Beifahrer und überprüfen täglich den Gärverlauf in Form von Verkosten."

Senior Johann Tinnauer steht noch täglich im Weingarten: "Das ist keine Arbeit, das ist Leidenschaft"
Senior Johann Tinnauer steht noch täglich im Weingarten: "Das ist keine Arbeit, das ist Leidenschaft" © Eder

Weinbauer Martin Tinnauer im Interview

Im  Videointerview spricht der Winzer unter anderem über Unwetterereignisse, klimatische Veränderungen, die internationalen Topplatzierungen der steirischen Winzer bei Wettbewerben, neue Rebsorten und die Zukunft des steirischen Weines.

Für eine Flasche Wein werden im Schnitt zwischen 1 und 1,5 Kilogramm Weintrauben benötigt. "Heuer ist es etwas mehr, da die Haut dicker ist, sprich, man gewinnt aus einem Kilogramm weniger Saft", sagt Tinnauer. Die Quantität wird somit heuer niedriger sein als in den Vorjahren, nicht jedoch die Qualität. "Die Trauben sind sehr fruchtig. Der Alkoholgehalt wird niedriger sein, daher werden es schöne, leichte Weine", kann der Experte bereits jetzt abschätzen.

Will einmal in die Fußstapfen der älteren Generation treten: Franz-Johann
Will einmal in die Fußstapfen der älteren Generation treten: Franz-Johann © Eder

Die Unwetterkapriolen des Sommers haben auf seinem Weingut keine Schäden hinterlassen, klimatische Veränderungen merke er jedoch sehr wohl. "Wir ernten früher als anno dazumal, haben aber durch mehr Sonnenstunden auch die Möglichkeit, dichte, voluminöse und gehaltvolle Weine zu machen." Einen flächendeckenden Umschwung auf Rotwein in der Steiermark sieht Tinnauer aber nicht. Mit den pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwi), die ohne Pflanzenschutzmittel auskommen – wie Muscaris und Souvignier gris – sind zu den Traditionsweißweinen wie Sauvignon blanc, gelber Muskateller, Grau- und Weißburgunder bereits neue Produkte auf den Markt gekommen, die sich jedoch erst einen Namen machen müssen.

Ob Traubensaft oder Wein: Das Verkosten ist die Lieblingsaufgabe von allen
Ob Traubensaft oder Wein: Das Verkosten ist die Lieblingsaufgabe von allen © Hanschitz

Wein – eine Lebensphilosophie

Nach getaner Arbeit treffen sich die Winzerkollegen rund um die steirische Weinstraße regelmäßig bei einem Glas Wein, um sich auszutauschen. "Das sind die Momente, wo man wieder weiß, wofür man es macht." Für Tinnauer steht fest: "Wein zu produzieren ist eine Jahresaufgabe, aber Weinbauer zu sein eine Lebensphilosophie."