Ort und Umstände haben beinahe etwas Magisches: Ein Mäzen, der am liebsten im Hintergrund bleiben will, eine rot-weiß-rote Forschungsstation im ewigen Eis Grönlands, ein heimeliger Platz am Fjord für Grazer Wissenschaftler und Studierende: Eben hat Uni-Rektor Peter Riedler das Schild „Sermilik Research Station by the University of Graz“ am Eingang angebracht. Was geschieht hier, was feiert die kleine Delegation aus Forschern und Journalisten an der kaum besiedelten Ostküste Grönlands?

Ein Überblick der Forschungsstation

Ein Mäzen ermöglichte die Polarforschung

Die entscheidende Schlüsselfigur für dieses Zwei-Millionen-Projekt ist Christian Palmers (81), der praktisch den österreichischen Forschern das Haus hingestellt hat. Seit Jahren ist der graduierte Psychologe bzw. Biologe aus der bekannten Palmers-Dynastie ein begeisterter Freund der Arktis. Auf vielen Reisen erkundete er die kalten Regionen der Welt und fragte sich: Gibt es eine Polarforschung in Österreich? Kann man sie unterstützen?

Sein Partner wurde der Grazer Meteorologe und Klimaforscher Wolfgang Schöner, der Vorsitzendes des Österreichischen Netzwerks APRI der Polarforschung ist. Seit 2016 ging man auf die Suche nach einer Möglichkeit, nachhaltig die rot-weiß-rote Polarforschung zu befördern. Österreich hat hier eine gewisse Tradition: Eben wird der 150. Jahrestag der Payer-Weyprecht-Expedition gefeiert, Österreichs bedeutendster Beitrag zur Erforschung der Welt. Die Expedition – auch damals privat finanziert – führte damals zur Entdeckung des Franz-Josef-Landes.

© Günter Pichler

Palmers und Schöner gingen auf die Suche: Die bestehende Sermilik-Station am gleichnamigen Fjord in Grönland bot sich an: Es ist eine der ältesten Stationen in Grönland (seit 1970) und es liegen daher lange Messreihen vor. Die Uni Kopenhagen, die sie errichtet hatte, hat ihren Schwerpunkt nach Westgrönland verlegt, Graz könnte die Station wiederbeleben. Träger des Projektes ist die Universität Graz mit ihrem Klimaforschungs-Schwerpunkt. Ein in dieser Dimension für Österreich und Graz einzigartiger Glücksfall des Mäzenatentums in den Naturwissenschaften.

Projektleiter Wolfgang Schöner im Gespräch

Verwirklichung war nicht einfach

Doch trotz der Unterstützung von 1,6 Millionen Euro von Christian Palmers, war es für Rektor Peter Riedler und sein Team nicht einfach, den Bau zu verwirklichen: Zu verhandeln war mit Dänemark, der Uni Kopenhagen und den grönländischen Behörden. „Man kann hier kein Land kaufen, man bekommt es zugewiesen“, erzählt Schöner. Die drei Hütten, die von der bisherigen Station, wirken idyllisch am Fjord-Ufer. „Aber die erste Station, die man hier gebaut hat, wurde gleich darauf Opfer einer Lawine“, erzählt der Forscher.

Unirektor Peter Riedler im Gespräch

Fallwinde bis zu 250 Stundenkilometer

Aushalten muss das Haus auch die heftigen Fallwinde („Piteraqs“) von bis zu 250 Stundenkilometern, die vom Inlandeis herabströmen. Eine Herausforderung, denn die Station ist – völlig unüblich in Grönland – zweistöckig gebaut.

Sie hat das Ambiente einer Berghütte in den hohen Alpen. 25 Forscher können in Räumen mit je vier Betten übernachten und arbeiten. Sie ist eine Selbstversorgerhütte, es gibt keinen ständigen Stationsleiter dort. Verwaltet und betrieben wird sie von Graz aus. Interessierte Forscher können sich anmelden, erhalten Unterlagen und Kontakte zu den wichtigsten Einrichtungen im Dorf Tasiilaq, das rund 45 Minuten mit dem Boot entfernt erreichbar ist.

Nicht einfach ist die Versorgung mit Trinkwasser, Spülwasser (aus dem Meer) und Energie – über eine PV-Anlage bzw. zur Reserve und im Winter ein Generator. Man habe ganz im Sinn eines der großen Ziele der Uni alles nachhaltig ausgelegt, betont Uni-Rektor Riedler.

Im Fokus der Wissenschaft steht das Thema Klimawandel. Was bedeutet dies für diese Region, welche Auswirkungen hat die Veränderung des immensen Eisschildes das auf die großen Wettersysteme (Islandtief). Die Sermilik-Station ist prädestiniert dafür, denn quasi im Hinterhof, entfernt, liegt der am längsten untersuchte Gletscher Ostgrönlands, der Mittivakkat-Gletscher, der Inlands-Eispanzer ist leicht erreichbar.
Neue Methoden werden diesen Datenschatz etwa mit Drohnen-Einsatz und neuen Messgeräten ergänzen. Interessiert ist man an der Dynamik im Gletscher, an Zu- und Abnahme der Eismengen. Geplant sind Forschungen im Bereich der Sedimentablagerungen, der Biologie, des Meeresplanktons und des Methan-Austausches zwischen Meer und Atmosphäre.

Drohnenflug über den Hann-Gletscher

Die Bevölkerung einbinden

Die Station soll möglichst vielen Zwecken dienen: „Es können Forscher, die eine Idee haben, hier herkommen und sie einmal ausprobieren“. Tatsächlich ist die Station relativ leicht via Island erreichbar.

Schöner ist wichtig, die Bevölkerung einzubinden. „Die Leute müssen verstehen, warum wir das tun und warum wir herkommen.“ Der kleinen Gemeinde brennt vor allem unter den Nägeln, wie der Klimawandel diese verheerenden Piteraqs beeinflussen wird. Man hofft auch auf Aufträge der Österreicher – sind doch die Verhältnisse ärmlich und die Arbeitslosigkeit extrem hoch. Auch deshalb waren die Österreicher in der Vorwoche zu Besuch: Kontakte werden geknüpft, die verbleibenden Bauaufträge wurden besprochen.

Wolfgang Schöner über den Hann-Gletscher

Nicht nur die wirtschaftliche Situation ist schlimm: Die Suizidrate unter den westgrönländischen Tunumiit ist extrem hoch, es herrscht in vielen Familien Gewalt und Alkohol, beinahe 50 Prozent der Kinder werden ihren Eltern abgenommen! Tatsächlich hängt ganz Grönland – an sich weitgehend autonom – an den massiven Geldspritzen aus Dänemark und der EU.

Apropos Europa: Die Station ist Teil eines Netzwerkes von Stationen. Die EU fördert, dass der Forscheraustausch bei diesen Stationen und Forschungsschiffen unkompliziert möglich wird. Die Station soll (fast) das ganze Jahr für die Forschung offenstehen.

Denn es ist es eine faszinierende, noch immer fast völlig unberührte Landschaft: Studenten des Masterstudiums werden dies bei Praktika und Sommerschulen erleben können. Die angehenden Wissenschaftler können sogar idyllisch auf einer Terrasse mit Fjordblick lernen, diskutieren und die Gegend genießen.

Doch so heimelig die neue Forschungsstation, die nächsten Jahr erstmals bespielt werden soll, auch sein wird: Die urtümliche Landschaft von eisigem Meer, treibenden Eisbergen, heftigen Stürmen, unwirtlichem Landflächen und riesigen Gletscherabfällen ist nach wie vor gefährlich: Jedesmal, wenn man die Station verlasst, muss wegen der Eisbärengefahr eine Waffe mitgeführt werden.