Im Lauf des Lebens haben Hakenschläge einen fixen Startplatz. Die Kunst ist es, auch unvorhersehbare Hürden gekonnt zu überwinden, kosten sie auch noch so viel Kraft. In diesem Marathon des Lebens wurde Walter Hofer im April des Vorjahres – mitten im Leben stehend und sportlich auf viele Läufe hin trainierend – jäh aus der Bahn gedrängt. Ja, bis an den Start zurückgeworfen, der gleichsam den Schlusspunkt hätte markieren können.

Plötzlich gehorchten die Beine nicht mehr

„Plötzlich haben beim Laufen die Beine nicht mehr das gemacht, was ich wollte“, erzählt der Südsteirer. Nach der ersten Magnetresonanz in Graz wird ein Bandscheibenvorfall vermutet. Dann blickt er auf den Kalender seines Telefons, wo er jeden Hakenschlag des Schicksals mit Datum versehen hat. Der 2. Mai ist so ein Tag. „Da bin ich selbst mit dem Auto ins LKH Feldbach gefahren, weil es nicht besser wurde in den Beinen.“

Dass er nicht mehr selbst heimfahren und sein Auto für den Rest des Jahres nicht mehr steuern würde, „niemals hätte ich daran gedacht. Ich war zuvor nie im Spital, war in 31 Jahren als Bürokaufmann keine Woche krank.“

Der Bewegungsspielraum von Walter Hofer wird schnell kleiner, sodass der 11. Mai wieder ein Datum ist, das er notiert hat. „Von da an konnte ich nicht mehr gehen.“ Drei Wochen vorher hat er noch für den Welschlauf trainiert.

Im Krankenhaus wird der Südsteirer auf Herz und Nieren – und vor allem am Rückenmark – untersucht. Doch es bleiben anfangs nur Fragezeichen. Oder wie er sagt: „Es war wie im freien Fall.“ Einziger Fallschirm: die Stütze durch die Familie, durch seine Frau, seine zu diesem Zeitpunkt schwangere Tochter.

Doch je weiter und unerbittlicher sich die Lähmung nach oben arbeitet, desto mehr verliert Hofer die Kontrolle über seinen Körper. „Das schließt auch Blase und Darm mit ein.“

Verschiedene Stadien der Lähmung bedeuten verschiedene Stadien des Schmerzes. Anfängliche Krampfsymptome gehen über in ein Gefühl, „als ob mich ein Drahtseil jeden Tag ein Stück weiter oben abschnürt“. Die später festgestellte Schwellung im Rückenmark beschreibt Walter Hofer so, „als ob mir jemand eine Eisenstange jeden Tag weiter die Wirbelsäule hinauf schiebt.“ Dennoch will er sich nicht mit der Frage „Wie arm bin ich?“ aufhalten, sondern mit: „Was kann ich selbst tun, damit es besser wird?“

Am 30. Mai wird Walter Hofer in die Intensivstation am LKH-Uniklinik Graz überstellt, zu diesem Zeitpunkt kann er keinen Kugelschreiber mehr halten. Sogar das Sprechen und Bewegen des Unterkiefers fällt zusehends schwerer. „Aber ich habe gesehen, dass die Ärzte alles in ihrer Macht Stehende tun.“

Es dauert bis zum 29. Juni, bis Radiologen nach unzähligen MR-Untersuchungen „eine strukturelle Veränderung im Rückenmark“ entdecken. Es stellt sich heraus, dass eine harmlos verlaufene Coronainfektion im Februar dazu geführt hat, dass „das Immunsystem seine Kräfte gegen den eigenen Körper gerichtet hat, was zur Entzündung des Rückenmarks geführt hat“, erklärt Neurologin Daniela Wyss: „Wir betreten da Neuland, auf der ganzen Welt gibt es nur wenige beschriebene Fälle, so etwas haben wir in der Art und Intensität noch nicht gesehen.“

Die Neurologin begleitet Walter Hofer seit dem 3. August (wieder so ein Datum!) auf der Reha-Klinik der AUVA in Tobelbad, wo sich Hofer in den Lauf des Lebens zurückkämpft. „Mit Blutwäsche, Cortison- und Immunglobulin-Therapie ist es an der Uniklinik im Juli gelungen, das Voranschreiten der Lähmung zu stoppen“, sagt Wyss.

Doch der Weg zurück ist alles andere als ein Spaziergang. „Am Anfang der Reha ist die Pflegebetreuung wie auf einer Intensivstation, da geht es darum, Basisfunktionen wie Atmung oder Darm am Laufen zu halten“, erklärt Johann Allmer, Pflegestationsleiter in Tobelbad.

Es dauert bis zum 21. November, bis Walter Hofer einen Etappensieg notiert. „Da bin ich erstmals, von vier Therapeuten gestützt, aufrecht gestanden.“ Ein erhebendes Gefühl, wieder mit der Welt auf Augenhöhe.
Und es mag ein kleiner Schritt gewesen sein, der sich für den in der Zwischenzeit Großvater gewordenen Südsteirer als größter Schritt vorwärts erweist. Im Heimaturlaub, am 23. Dezember, beschließt er, sich allein vom Rollstuhl zu erheben und den ersten Schritt auf Krücken zu gehen. „Ich wollte nicht mehr, dass ich immer die Stiege hochgetragen werden muss“, erzählt er voller Stolz, während er gut ein Monat später flott mit Krücken durch die Reha-Klinik geht. „Die letzte Seite meines Buches ist noch nicht geschrieben.“

Es gibt ein Datum, das Walter Hofer noch nicht aus dem Kalender gestrichen hat. Am 9. Juli ist der Großglockner Berglauf. Hier am Start zu stehen, wäre das schönste Ziel.