Wie hoch ist die Belastung in den Notaufnahmen derzeit?
Philipp Kreuzer: Wir sind mit mehreren Problemen konfrontiert: ein starker Anstieg bei den Patienten, eine Infektionswelle mit drei verschiedenen Infektionskrankheiten und ein massiver Mangel an Pflegekräften, der uns zu Bettensperren gezwungen hat. Im Universitätsklinikum haben wir durchschnittlich 120 Patienten am Tag, mit Spitzen von bis zu 170 in 24 Stunden. Unsere Räumlichkeiten sind aber maximal für 100 Patienten ausgelegt.
Gerhard Postl: Die Lage bei uns im LKH West ist gleich. Wir hatten jetzt am Wochenende 110 Patienten – aber für uns sind 80, 90 Patienten schon das Limit. Alle organisatorischen Möglichkeiten haben wir großteils schon ausgereizt: Also, dass die Häuser sich gegenseitig abstimmen und helfen. Wir haben auch schon Patienten nach Vorau geschickt. Es kann also sein, dass ein Patient nicht in dem Spital bleibt, in dem er die Ambulanz aufgesucht hat, nachdem er aufgenommen wurde. Wir bekommen auch täglich ein Bettenkontingent von den Spitälern der Elisabethinen und der Barmherzigen Brüder zur Verfügung gestellt. Doch die haben derzeit den gleichen Druck und können uns dadurch oft nur eingeschränkt unterstützen.
Kreuzer: Die Bettenkonferenz, die wir mit allen umliegenden Spitälern jeden Tag um 9 Uhr machen, ist einer der Riesenpunkte, warum das System bis dato noch irgendwie funktioniert hat. Insbesondere das Klinikum und das LKH West konferieren mehrmals täglich miteinander, damit wir uns situationsangepasst gegenseitig aushelfen können.

Der Betriebsratschef der Kages hat ein zentrales Bettenmanagement gefordert.
Kreuzer: Ein derartiges System gibt es für Notfallpatienten noch nicht. Das ist definitiv eine gute Idee.


Wie viele Patienten kommen zu ihnen in die Notfallambulanz, obwohl sie auch vom Hausarzt behandelt werden könnten?
Kreuzer: Im Durchschnitt sind das etwa um die 20 Prozent. Jeder Patient sieht sich als Notfall – auch wenn er keiner ist. Es ist für viele deshalb schwer zu verstehen, wenn man ihnen auf Faktenbasis medizinisch erklären muss, dass sie eigentlich zum Hausarzt gehen könnten.
Postl: Wir arbeiten nach dem sogenannten Manchester-Triage-System zur Ersteinschätzung. Das hilft uns dabei, zu entscheiden, welche Patienten rascher Hilfe benötigen als andere. Dadurch können wir sehr schnell die akuten Patienten selektieren und behandeln. Die weniger akuten Patienten werden dadurch nachgereiht und haben derzeit mit Wartezeiten von bis zu acht Stunden zu rechnen.
Kreuzer: Wenn diese Wellen an Patienten kommen, dann brauchst du irgendeine Form der Ersteinschätzung, mit der du selektionieren kannst.

Das Unverständnis von Patienten für stundenlange Wartezeiten ist wohl dennoch nachvollziehbar.
Kreuzer: Natürlich, wenn ein betagter Patient sechs Stunden auf einer harten Liege warten muss, ist das für einen älteren Menschen unzumutbar. Aber aktuell sehen wir oft leider keine andere Möglichkeit.

Wie stark trifft die aktuelle Belastung das Spitalspersonal?
Postl: Wenn man auf die erste Covid-Welle zurückschaut: Niemand wusste, was da auf uns zukommt. Aber wir haben es überstanden und am Ende bleibt ein gewisser Stolz. So wird auch diese Situation zum Durchstehen sein.
Kreuzer: Eine Krise hat das Team immer zusammengeschweißt. Wir wissen, dass es von heute auf morgen keine Lösung geben wird. Langfristig wird man das System aber anders gestalten müssen. Also im konkreten Fall stark belastete Stationen wie die Notfallambulanzen in Zukunft personell extrem aufstocken müssen. Zudem braucht es ein erfahrenes Team. Das Ziel muss es also sein, jede Pflegekraft und jeden Arzt so lange wie möglich zu binden. Diese Krise bietet insofern eine Chance, zu reevaluieren und zu reflektieren.

Wie lange, denken Sie, wird diese Welle noch anhalten?
Postl: Wenn wir Glück haben, wird diese erste Welle nach Weihnachten abflauen. Aber wir werden eine zweite kriegen, die zwar schwächer sein, aber wohl bis zum Ende der Semesterferien dauern wird. Danach dürfte sich die Situation wieder etwas entspannen..

Notaufnahme am LKH II Graz West
Notaufnahme am LKH II Graz West
© Juergen Fuchs

Ist Corona noch ein Thema?
Postl: Ja, und es wird ein Thema bleiben. Es hat natürlich niemand diese Menge an Infektionserkrankungen kommen sehen und damit die Isoliermöglichkeiten, die du dafür in den Spitälern schaffen musst. Inzwischen gibt es auch schon Patienten mit einer Mischung von Influenza und Corona. Die solltest du dann auch noch extra isolieren. Das alles ist natürlich eine weitere zusätzliche Belastung.
Kreuzer: Mittlerweile ist es so, dass wir bei der Bettenkoordination die Influenza A von der Influenza B vom RS-Virus und von Covid trennen müssen.
Postl: Gerade in der derzeitigen Situation wäre es wichtig, dass sich mehr Menschen gegen die Influenza impfen lassen – auch jetzt für die zweite Welle. Die Coronakrise hatte hier leider teils einen negativen Effekt: Viele, die skeptisch gegenüber der Coronaimpfung waren, oder manche, die Corona trotz der Impfung hatten, denken nun, dass keine Impfung etwas bringt – egal gegen welche Krankheit.

Gibt es etwas, dass Sie trotz aller Probleme optimistisch stimmt?
Kreuzer: Wir hatten schon viele Krisen. Die Wellen gehen vorbei. Was für mich seit Corona eine große Verbesserung ist, ist die Koordination und Kommunikation mit Spitälern in der ganzen Steiermark. Allein zu wissen, dass 100 Kilometer weiter die gleichen Probleme bestehen, schafft eine Form der Solidarität.