Graz hat eine Parallelwelt. Zumindest zum Teil. Die Wickenburggasse existiert zum Beispiel zwei Mal. Einmal in echt, einmal in digital.

Wenn die reale Welt zur Welt am Bildschirm wird, nennt man das digitaler Zwilling. Warum man das braucht? Zum Beispiel für Simulationen. Und das in einem ganz bestimmten Bereich: dem automatisierten Fahren. Sollten wir uns in Zukunft nur mehr zurücklehnen und uns auf das Fahrzeug verlassen können, dann muss dieses so einiges drauf haben. Deshalb braucht es digitale Straßen, auf denen es "üben" kann – ohne Millionen von umweltschädlichen Testkilometern fahren zu müssen.

Blinde Flecken und tote Winkel ausfüllen

Forscherinnen und Forscher von Joanneum Research erstellen solche Straßen oder genauer gesagt: Ganze digitale Karten, samt Ampeln, Mauern, Bäumen und Häusern. Einfach ist das nicht, vieles muss bedacht werden, wenn ein "guter" digitaler Zwilling entstehen soll. "Grundsätzlich soll ja ein automatisiertes Fahrzeug all das auch erkennen, was jetzt der Mensch erkennt, also Verkehrsschilder, Bodenmarkierungen, Leitschienen oder Hindernisse auf der Straße. Das sind die Aspekte, die dann auch in einer Simulationsumgebung gebraucht werden", erklärt Matthias Rüther. Er leitet seit Februar das Institut "Digital" des Joanneum Research.

Die Wickenburggasse in Graz in echt (li.) und in digital (re.)
Die Wickenburggasse in Graz in echt (li.) und in digital (re.) © Joanneum Research, Google Street View

Um blinde Flecken und tote Winkel in den digitalen Karten auszufüllen, haben Rüther und sein Team neue Methoden entwickelt und Infrastruktur in ihrem Labor aufgebaut. Förderer ist die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).

Konkret heißt das: Hat zuerst nur ein Auto samt Kamera eine reale Straße vermessen, kommen nun eine Drohne und eine Rucksackkamera hinzu. Sie sind mit Laserscannern ausgestattet. So kann man Daten auch von oben und vom Rücken eines Menschen aus sammeln. "Wir übertragen die Realität in eine zentimetergenaue Karte", so Rüther. Im Juni sollen alle neuen Geräte einsatzbereit sein.

Automatisiertes Fahren auf Straße und Schiene

Und in verschiedenen Projekten zum Zug kommen. Zum Beispiel im internationalen Projekt "Esrium". In dem berechnen Forscherinnen und Forscher, wie der Zustand von Straßen sein wird, um den Verkehr sicherer und effizienter zu machen. "Wir wollen eine Vorhersage treffen: Wann müssten Schäden repariert werden, um die Sicherheit und den generellen Spritverbrauch nicht zu beeinträchtigen?"

Auch Schienen werden digitalisiert
Auch Schienen werden digitalisiert © Joanneum Research

Auch Schienen werden Teil der digitalen Welt. Da will man mehr Züge in der gleichen Zeit über die Strecke bringen und herausfinden, wie die Strecke dafür beschaffen sein muss. Bis hinunter zur Pflanze wird hier alles vermessen. "Künstliche Intelligenz soll schädliche Pflanzen erkennen, damit die dann bekämpft werden können", erklärt Rüther.

Automatisiertes Fahren bald Standard?

Er rechnet damit, dass automatisiertes Fahren in Zukunft Gang und gäbe sein wird – und sein muss. "Um unser Mobilitätsbedürfnis mit Klimaschutz und einer Form der ökologischen Fortbewegung zu verheiraten." In zehn Jahren werde wahrscheinlich nicht alles vollautomatisiert sein, aber immer mehr Bereiche im Auto.

Dementsprechend groß ist der Bedarf an digitalen Zwillingen für die Simulationen. "Je mehr Fahrfunktionen in den Markt kommen, je mehr wirklich im Fahrzeug verbaut ist, desto mehr Absicherung wird natürlich benötigt, um diese Fahrfunktionen sicher zu machen."