Wie groß ist die Vorfreude auf vier Monate in Hotelbetten und in der Kälte?
Andreas Felder:
In Hotelbetten schlafen wir das ganze Jahr, das ist nicht der große Unterschied. Frischer wird es tatsächlich werden. Aber wir freuen uns auf den Weltcup und jetzt schauen wir, dass wir gut reinrutschen. Wir sind jedenfalls gut vorbereitet und haben uns im Sommer bemüht an den Sachen zu arbeiten, die nicht funktioniert haben.

Was muss denn in den nächsten vier Monaten passieren, dass Sie sagen: Passt!
Felder:
Das ist im Vorfeld immer schwer zu sagen. Es gibt mit dem Gesamtweltcup, der Skiflug-WM und der Vierschanzentournee drei große Ziele. Da streben wir einen unter den ersten Drei an.

Jeweils?
Felder:
Skispringen ist kein Wunschkonzert, aber das sind die Ziele, die sind klar gesteckt. Wobei: Das sind die Ziele, die man sich jedes Jahr steckt. In der heutigen Zeit zählt auch im Weltcup nur mehr das Stockerl, da muss man schauen, dass man einen drauf bringt.

Gibt es auch eine Zielsetzung, was Weltcupsiege betrifft?
Felder:
Das ist im Sport nicht planbar. Man kann sich zum Ziel setzen, dass was man sich angeeignet hat, auch umzusetzen. Wenn am Ende der Saison jeder sagen kann, dass er sein Potenzial abgerufen hat, dann hat man eine gute Saison gehabt. Die entscheidende Frage ist: Wie viele Springer habe ich im Team, die das Potenzial haben, ein Weltcupspringen zu gewinnen. Es gibt Jahre, da wird man mit einem zweiten Platz nicht zufrieden sein, und ab und zu ist man zufrieden, wenn einer auf dem Stockerl ist.

Wie viele Springer im Team haben denn das Potenzial, ein Weltcupspringen zu gewinnen?
Felder:
Bis jetzt haben wir einen, von dem wir wissen, dass er um den Sieg mitspringen kann. Wir haben im Hintergrund mit Jan Hörl, Philipp Aschenwald und Daniel Huber aber ein paar junge Leute aufgebaut. Die sind alle auf dem Weg nach oben und haben das meiste noch vor sich, was den Weltcup betrifft.

Stefan Kraft
Stefan Kraft © GEPA pictures

Also wird es keine One-Man-Show von Stefan Kraft, wie in den vergangenen Jahren?
Felder:
Ich hoffe es nicht. Er überzeugt jetzt schon über Jahre hinweg. Wir müssen schauen, dass wir andere näher an ihn heranbringen, das ist das große Ziel.

Kann es wieder passieren, dass einer wie Ryoyu Kobayashi ohne Weltcupsieg in die Saison geht und dann dominiert?
Felder:
Es gibt immer wieder so Phänomene, das ein Junger daherkommt und dann durchmarschiert.

Sehen Sie aktuell jemanden, von dem Sie sagen würden, der kann heuer explodieren?
Felder:
Eher nicht. Es sind schon ein paar ganz Junge dabei, wie der Slowene Timi Zajc, die irrsinniges Potenzial haben. Aber im Sommer wäre mir nicht aufgefallen, das ein Newcomer komplett aufzeigt. Es haben aber einige Nationen junge Springer, die motiviert sind, frech sind und den Weg nach oben suchen.

Den suchte auch Gregor Schlierenzauer als Junger. Was trauen Sie ihm heuer zu?
Felder:
In erster Linie hoffe ich, dass er die Stabilität, die er in den letzten Trainings gezeigt hat, auch im Wettkampf umsetzen kann. Er hat sehr gut gearbeitet, hat wieder Selbstvertrauen getankt. Ich habe von ihm in letzter Zeit sehr viele gute Sprünge gesehen. Das Ziel von Gregor und Werner Schuster war, aus ihm einen stabilen Top-Zehn-Springer zu machen. Aus der Ausgangssituation kann sehr viel passieren, da kannst du schnell wieder auf dem Stockerl sein.

© APA/EXPA/JFK

Werner Schuster meinte im Standard: "Bei Gregor musste man entrümpeln. Die Materialfrage wurde zurückgeschraubt, der Mensch in den Mittelpunkt gestellt." Erklären Sie mir das.
Felder:
Der Gregor ist ein hochtalentierter Athlet, der es gewohnt, dass er alles, was er anpackt, relativ leicht umsetzt. Wenn es dann ein bissl hapert irgendwo, hat er in den letzten Jahren oft über das Material versucht, kleine Adaptierungen vorzunehmen, in der Hoffnung, dass es aufgeht und er den letzten Kick kriegt. Da hat er sich ein paar Mal ein bissl verzettelt. Mit Werner Schuster hat er jetzt einen Vertrauensmann gefunden, der ihn in der Spur hält und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Er sagt: Mach du deine Sachen, damit du das stabil rüberbringst. Mit dem Material kann man dann immer noch adaptieren, aber nicht mit dem Material Probleme lösen.

Wie hat Gregor Schlierenzauer das denn gemacht, als er alles gewonnen hat?
Felder:
Ich nehme schon an, dass er da auch getüftelt hat. Das macht ja jeder. Aber als Junger sucht man das nicht. Da hat man so eine Freude am Springen und denkt nicht lange nach, was man tut. Wenn du in ein gewisses Alter kommst und die ersten Krisen daherkommen, fängt man an, es zu übertreiben.

Wie ist denn die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Schlierenzauers Trainer Werner Schuster?
Felder:
Es gibt mit Robert Treitinger, der Schlierenzauer noch aus Schülerzeiten kennt, einen klaren Vertrauensmann im ÖSV. Werner Schuster ist für Gregor da, berät ihn und fährt mit ihm auf unterschiedliche Schanzen um zu trainieren. Wir sind eigentlich ständig in Kontakt.

Im Weltcup ist Schuster aber nicht dabei?
Felder:
Nein! Er hat gesagt, dann hätte er gleich bei den Deutschen bleiben können. Es ist aber auch nicht notwendig. Wichtig ist, dass Gregor es schafft, seine Form stabil über den Winter zu bringen und dass er sich von Wettkampf zu Wettkampf mehr zutraut.

Wie wichtig ist dafür ein erfolgreiches Springen in Wisla?
Felder:
Es ist immer beruhigend, wenn man gut anfängt. Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen: Es gibt eine Handvoll Springer, die von Anfang an gut dabei sind und andere, die wachsen erst hinein. Wichtig ist, dass wir den Kopf nicht verlieren, wenn es in Wisla nicht läuft. Freilich ist es feiner, wenn man von Anfang an gut dabei ist. Das ist für das Selbstvertrauen gut. Aber wie im Fußball: Wenn du 0:1 hinten bist, ist es schwieriger, aber unmöglich ist es nicht, das Match noch zu gewinnen.

Skispringer erklären Erfolge gerne mit dem Flow. Was hat es mit dem Flow auf sich?
Felder:
Das ist ganz schwer zu erklären, das fühlst du einfach. Das hat jeder Mensch in vielen Situationen. Es gibt Tage, an denen alles schwerfällt und nichts gelingt und solche, an denen alles leicht von der Hand geht. Beim Skispringen ist es so, dass man auf einmal nicht mehr nachdenken muss, sondern einfach macht. Und das fehlerfrei. Auf dieses Gefühl kann man sich dann einfach verlassen. Dieses Gefühl hat man aber selten über das ganze Jahr. Da gibt es Ausnahmen, wie Kobayashi im Vorjahr oder Prevc vor zwei Jahren. Und Gregor hatte auch Jahre, in denen er durchgehend im Flow war.