Der Morgen bricht über dem 2455 Meter hohen griechischen Berg Parnassos an, als Alexandros Ioannis - kurz "AJ" - Ginnis die Schnallen an den Skischuhen zuklickt. Vor seinen Füßen erstreckt sich die Piste, dahinter das Meer, das nach einem intensiven April-Trainingstag nachmittags zum Schwimmen auf ihn wartet. Diese zwei Welten scheinen sich auf den ersten Blick so fern zu sein, doch im Leben des griechischen Skirennläufers sind sie vor allem eines: Heimat.

Dort unten am Meer, im kleinen griechischen Küstenort Vouliagmeni nahe Athen, gibt es für die 4000 Einwohner viele Träume, aber nur wenig Job-Möglichkeiten. Viele haben mit Wasser, aber keiner von ihnen mit Schnee zu tun. Und so staunten die Leute nicht schlecht, als Ginnis im Kindesalter mit einem Traum daherkam, den so noch keiner hier hatte: Ski-Profi werden.

"Ganz ehrlich: Es war verrückt!", lacht der 28-jährige Grieche, der Anfang Februar als Weltcup-Zweiter des Slaloms von Chamonix die große Sensation war. Mit seinem Vater, der eine kleine Skischule und einen Shop im einige Stunden entfernten Skigebiet Parnassos betrieb, fuhr Ginnis schon als kleines Kind jedes Wochenende, jede freie Minute zum Skifahren. "Mein Vater hat den Sport geliebt. Ich habe meine ganze Freizeit dort verbracht. Meine Freunde haben sich gedacht, ich bin nicht ganz sauber. Aber heute verstehen sie es."

Doch der Weg vom griechischen Skigebiet auf das Weltcup-Podest ist weit. Sehr, sehr weit. Der große Moment, in dem sich für den WM-Geheimtipp alles ändern sollte, war mit zwölf Jahren. "Mein Vater hatte die Chance, einen Shop in Kaprun zu eröffnen. Meine Eltern wollten, dass ich mitgehe, eine neue Sprache und Kultur kennenlerne", sagt Ginnis.

Der Papa schreibt ihn für Skifahren und Basketball in den Vereinen ein, Letzteres lässt der 1,80 Meter große Athlet schnell wieder sein. Er fängt lieber an, Ski zu fahren. Anfangs zum Spaß. Dann schnell. Und immer schneller. Jux-Bewerbe, Landescup, FIS-Rennen. Es geht steil bergauf. Weil seine Freunde kein Englisch sprechen, lernt er in Windeseile fließend Deutsch zu sprechen. "Ich war sehr traurig am Anfang in Kaprun. Es hat mich ja keiner verstanden", sagt Ginnis.

Seinen Ehrgeiz beim Lernen bringt er auch auf die Ski, die ihm ein Studium am US-College ermöglichen sollten. Und so ging der US-griechische Doppelstaatsbürger (Ginnis Mutter wurde in New York geboren) mit 15 Jahren nach Vermont, erst auf die Highschool, dann auf das College. Er entwickelte sich zum Vorzeige-Schüler, aber sportlich zum Problemkind: Immer wieder warfen ihn Verletzungen zurück. Heute zählt er sechs Knie-Operationen auf, drei davon wegen eines Kreuzbandrisses, zwei wegen des Meniskus.

Zu viel für den US-Skiverband, der dem Junioren-WM-Dritten von 2015 (Slalom) im Jahr 2020 die Rute ins Fenster stellte. "Sie haben gesagt, ich kann mitfahren, muss aber selber zahlen", erinnert sich Ginnis. "Ich wollte schon immer für Griechenland fahren, das ist meine Heimat. Wenn ich schon zahlen muss, dann fahre ich als Grieche."

Da der nationale Verband aber kaum existent ist, telefoniert sich Ginnis durch, um Sponsoren zu finden. Und wird bei Clif fündig. "Die Mutter von Gründer Gary Erickson ist Griechin. Ich habe ihn angerufen, ihm das erklärt und er hat gesagt: Okay, lass uns das machen."

Ginnis ruft alte College-Freunde an, einer arbeitet in den USA, einer in Kanada, und stellt sie im Privat-Team als Trainer ein. Ein elfter Platz im Flachau-Slalom 2021 gibt ihm recht, doch ausgerechnet vor der Olympia-Premiere kommt die nächste Knie-Verletzung - der nächste Traum platzt. "Ich wusste nicht, ob ich da noch weitermachen will. Aber meine Mutter war die wichtigste Person für mich: Hätte sie gesagt, such dir einen Job, dann hätte ich aufgehört. Aber sie hat immer an mich geglaubt."

Ginnis verfolgt Peking als NBC-Co-Kommentator und weiß: Er will hierher zurück. "Mein Ziel ist es, bei Olympia 2026 als Medaillenkandidat zu starten." Das war er beim WM-Slalom eigentlich nicht, dennoch fuhr er aufs Podest. Ein Ski-Märchen, das die Leute bewegt. Oder? "Alle loben mich immer, dass ich so beharrlich bin und meine Ziele verfolge. Ich sage dann immer, ich bin einfach nur dämlich!", sagt Ginnis. Und lacht.