Das neue Talk-Format "Locked-In" mit der Legendenrunde um Michael Stich, Sven Hannawald, Günther Jauch und Marcel Reif jetzt auf jetzt auf DAZN!

Hannawald erzählt von seinen Anfängen in der ehemaligen DDR, wo sich schon früh sein Drang zum Perfektionismus zeigte. Der 45-Jährige erklärt auch, wie er mit dem unglaublichen Hype umging - und er verrät, in welchen Momenten er wirklich Angst hatte.

Herr Hannawald, Sie waren Teil der ersten Talkrunde von Locked-In auf DAZN. Wie war's?

Sven Hannawald: Fragen Sie mal Herrn Jauch, wie es war. Der war zwischenzeitlich achtmal eingeloggt. Er hatte etwas Stress mit der Technik. (lacht) Es war großartig. Ich bin stolz, dass ich in so einer illustren Runde dabei sein durfte. Es hat Spaß gemacht.

Wir wollen Ihre legendäre Karriere noch etwas tiefer besprechen. Ihr Talent wurde ja früh erkannt. Damals hießen Sie noch Sven Pöhler.

Hannawald: Das stimmt. Ich war ein allseitiger Normerfüller, wie es so schön hieß.

Was ist das denn?

Hannawald: In der ehemaligen DDR gab es für Kinder alle möglichen Normen bei Sportfesten. Wie weit du zum Beispiel mit sieben Jahren springen solltest. Da wurden sämtliche Daten erfasst und bestimmt, wie es um das Talent bestellt ist. Ich habe diese Normen immer intuitiv locker erfüllt. Ich hatte zwar genetisch nicht die besten Voraussetzungen für einen Top-Skispringer, weil mir dafür die Schnellkraft fehlte, aber dafür hatte ich schon ganz früh das Talent und Gefühl für gewisse Dinge. Da war ich allen anderen voraus und konnte so meine Schwäche kompensieren. Das hat sich ganz früh gezeigt.

© imago images

Sven Hannawald: "Hannawald? Den brauchen wir nicht mehr!"

Ganz früh zeigte sich auch Ihr Ehrgeiz und Drang zum Perfektionismus.

Hannawald: Mein Vater hat mir erzählt, dass ich jedes Mal, wenn ich zu einer neuen Schanze gekommen bin, plötzlich weg war. Ich habe mir dann immer einen Offiziellen gesucht, der sich auskennt und ihn gefragt, wo denn hier der Schanzenrekord liegt. Das war aber keine Arroganz. Das war mein innerer Drang. Ich wollte am Weitesten springen von allen und nach dem Wettkampf sollte der Schanzenrekord mir gehören. Diese Einstellung beschreibt mich ganz gut. Hätte ich diese Einstellung nicht gehabt, hätte ich in der Jugend auch nicht solche Erfolge erzielen können. Ohne diesen Perfektionismus hätte ich viel früher aufgehört. Ich hatte Momente, in denen ich nicht mehr wollte, aber eine innere Stimme hat mich dann geleitet und zum Glück habe ich auch auf sie gehört. Ich wollte eines Tages die Tournee gewinnen, das war mein großer Traum.

Mit 17 sind Sie in den Schwarzwald gezogen, hießen dann Hannawald, als Ihre Eltern heirateten, aber nach der Wende lief es sportlich nicht mehr so gut. Was war das für eine Zeit?

Hannawald: Der Systemwechsel von Ost nach West war nicht einfach für mich. Im Internat in Klingenthal gab es nicht so viele Freiheiten. Da ist die Erzieherin so lange ins Zimmer gekommen und hat das Licht ausgemacht, bis es irgendwann auch wirklich aus war. In Furtwangen war es so, dass zwar um 20 Uhr auf dem Gang Ruhe sein musste, aber ob wir auf dem Zimmer bis tief in die Nacht die Puppen tanzen ließen oder nicht, hat niemanden interessiert. Ich wollte diese neue Welt erleben, alles aufsaugen - dadurch ging der Fokus auf den Sport verloren. Dazu kam, dass ich es im Männerbereich plötzlich mit Tournee-Siegern, Weltmeistern und Olympiasiegern zu tun bekam. Da ist es ja normal, dass die Zahl hinter deinem Namen auf der Anzeigetafel eine andere wird. Über die Jahre bin ich in ein trübes Fahrwasser hineingeraten.

1997 wollte man Sie quasi rausschmeißen.

Hannawald: Nach der Saison 1996/97 fand die jährliche Trainertagung statt. Dort wurde in jedem Jahr auch über die Kaderzusammenstellung diskutiert. Es hieß: "Hannawald? Den brauchen wir nicht mehr!" Ich hätte vielleicht noch ein Jahr einen Alibi-Platz bekommen, aber eigentlich wäre es das für mich gewesen, wenn mein Heim-Trainer Wolfgang Steiert sich nicht vehement für mich eingesetzt hätte. Als er von der Tagung zurückkam, hat er mich angerufen und wir haben uns zum Laufen verabredet. Als er mir erzählte, wie es aussieht, hat es Klick gemacht. Das war wie eine Initialzündung für mich. Ich bin aufgewacht und war wieder der kleine Junge aus dem Osten, der nach vorne kommen wollte und Vollgas gegeben hat.

© imago images

Sven Hannawald: "Ich saß als Kind auf dem Sofa und wollte diese Tournee gewinnen"

Wie alternativlos war es für Sie, dass es mit dem Skispringen klappen muss? Sie hatten ja eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker gemacht.

Hannawald: Ich habe nie an Alternativen gedacht, ich habe es ignoriert. Ich habe die Ausbildung über vier Jahre gemacht, aber ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Eigentlich wollte ich etwas mit Autos machen, aber das war damals nicht möglich. Es hätte auch schiefgehen können mit der Skisprung-Karriere, aber ich habe schon immer ein großes Vertrauen in eine höhere Macht gehabt, die mich leiten wird. Die mich auch durch schwierige Zeiten durchführt. Aktuell erleben wir alle eine sehr schwierige Zeit, aber wir werden da durchkommen. Dieses Urvertrauen habe ich. Es wäre doch auch furchtbar langweilig, wenn es im Leben nur Höhen geben würde. Und als Leistungssportler lernst du, dich durchzubeißen. Ich saß als Kind auf dem Sofa und wollte diese Tournee gewinnen. Dieses Bild und dieses Ziel haben mich immer angetrieben.

1998 holten Sie Silber bei der Skiflug-WM, bei den Olympischen Spielen gab es Silber mit der Mannschaft, ein Jahr später folgte WM-Silber, 2000 dann der WM-Titel beim Skifliegen. Wann war der Moment, als Sie für sich wussten, dass Sie jetzt tatsächlich zu den Großen gehören?

Hannawald: Mein erster Weltcup-Sieg 1998 in Bischofshofen war prägend. Da habe ich Kazuyoshi Funaki den Grand Slam kaupttgesprungen, da wusste ich, ich gehöre jetzt zu den Cracks. Aber ich habe auch schnell gemerkt, dass ich mir jeden Erfolg jeden Tag neu erarbeiten musste. Es gab ja im Wettkampf noch 49andere, die genau das gleiche Ziel hatten wie ich. Hinzu kam, dass ich meine ganze Karriere lang nie von Anfang bis Ende einer Saison dominant war. Um meinen Nachteil bei der Sprungkraft auszugleichen, musste ich an mein Gewicht rangehen. Je weniger, desto besser. Ich war immer an der Grenze. Das hat zwar geklappt, aber auch dafür gesorgt, dass sich mein Körper immer wieder Auszeiten nehmen musste, wenn ich platt war.

Obwohl Sie so auf Ihr Gewicht achteten, haben Sie damals das Backen als Hobby entdeckt. Wie kam es dazu?

Hannawald:Wenn man sich die ganze Zeit so am Limit bewegt, sendet der Körper Gelüste auf Süßes. Das bedeutet schnelle Energie für ihn, auch wenn das nicht gesund ist und nicht lange anhält.Ich habe deshalb immer lieber ein Stück Kuchen verdrückt als etwas Herzhaftes zu essen. Ich habe mir immer Muffins gemacht, eingefroren und dann in die Mikrowelle gesteckt. Das war sensationell.

Vor der legendären Saison 2001/2002 erlebten Sie auch noch schwierige Phasen. Wie schlimm war der Sommer 2000?

Hannawald: Der Sommer 2000 war richtig schlimm. Ich war zu dem Zeitpunkt getrieben von meinen ersten großen Erfolgen. Ich wollte auf keinen Fall eine Eintagsfliege sein. Ich habe es mir deshalb selbst verboten, Pausen zu machen und mal abzuschalten. Das ging gar nicht. Wenn die anderen faul in der Sonne liegen, ist das doch meine Chance, es anders zu machen und aufzuholen. Durch Pause machen gewinnst du ja die Tournee nicht. So war meine Denke. Das hat sich dann zu einer Art Teufelskreis entwickelt. Ganz entscheidend war dann das Frühjahr 2001 für mich. Da lief es so schlecht, dass ich nicht mal im Skifliegen was auf die Reihe bekommen habe. Wenn nicht mal da was geht, war das immer ein schlechtes Zeichen. Also habe ich die Saison vorzeitig abgebrochen, was im Nachhinein ein Segen war. Ich habe mich nur um meinen Körper gekümmert, ich habe sogar eine Aufbaukur gemacht. Danach habe ich gefühlt, wie ich wieder fest mit den Füßen auf dem Boden stehe. Das Zittern war vorbei. Die lange Pause tat mir so unglaublich gut, dass ich danach wie Herakles in der Sonne dastand. Ich habe die Veränderung richtig gespürt.

Was dazu führte, dass Sie sich in der Saison 2001/2002 Schritt für Schritt nach oben kämpften.

Hannawald: Mein gutes Gefühl ist stetig gewachsen. Zu Beginn der Saison landete ich mal auf Platz 15, dann war ich Zwölfter, dann kam ein Top-10-Resultat - und kurz vor Tournee-Start war ich in Engelberg dann Zweiter. Ich hatte viel Selbstvertrauen und eine angenehme Ruhe in mir, aber ich habe dennoch keine Sekunde an einen Tournee-Sieg gedacht. Ich war nie ein Träumer, der sich ausgerechnet hat, was ich erreichen könnte, wenn ich die Leistung aus dem Training zeige oder Ähnliches. Es gab Springer, die so gedacht haben - die haben nie etwas gewonnen. Und ich war ja auch einfach weit weg davon, Favorit auf den Gesamtsieg zu sein.

© imago images

Sven Hannawald und sein legendärer Satz: "Ich mach' mein Zeug"

Es gab ja Adam Malysz.

Hannawald: Richtig. Malysz war der totale Dominator, der hat uns alle in Grund und Boden gesprungen. Deshalb war ich auch so überrascht nach meinem Sieg in Oberstdorf. Von diesem Moment an ging die Reise langsam los. Ich war logischerweise nach dem Sieg der einzige Springer, der die Chance auf den Grand Slam hatte und RTL als neuer Tournee-Sender hat das Thema extrem befeuert, das kannten wir so gar nicht. Aber ich bin immer bei mir geblieben. Selbst nach meinem Sieg in Garmisch weiß ich noch, dass ich meinte: Es ist toll, dass ich als Deutscher die beiden Heim-Wettbewerbe gewinnen konnte, in Österreich dürfen gerne die Österreicher gewinnen. Das war mir egal.

Sie haben während dieser Tournee einen Spruch geprägt, der in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist. Wie kam es dazu?

Hannawald: (lacht) Ich mach' mein Zeug. Für mich war dieser Satz wichtig, weil ich mich damit immer wieder zurückholen konnte von der Euphorie, die von außen an mich herangekommen ist. So konnte ich mich wieder auf das Wesentliche besinnen. Ich wollte mich nicht anstecken lassen und Gefahr laufen, selbst mit dem Träumen anzufangen. Sobald du das machst, kannst du gleich zuhause bleiben.

Aber spätestens nach dem dritten Sieg in Innsbruck war es vorbei mit der inneren Ruhe, oder?

Hannawald: Absolut. In Innsbruck bin ich Schanzenrekord gesprungen und hatte am Ende mehr als 20 Punkte Vorsprung. Da konnte ich mir auch selbst nicht mehr ausreden, wie die Lage war. Ich hätte selbst bei einem Sturz noch die Tournee gewonnen. Der Gesamtsieg war gar nicht mehr das große Thema, es ging nur noch um den Grand Slam. Die Tage zwischen Innsbruck und Bischofshofen waren grausam. Ich konnte die ganzen Gedanken, die auf mich zukamen, nicht mehr ignorieren. Ich war froh um jede Minute, die irgendwie verplant war und die ich nicht auf dem Zimmer verbringen musste. Da war immer Theater angesagt in meinem Kopf. Die zwei Tage haben mich echt ruiniert. Ich habe zur Ablenkung Heinz-Erhardt-Filme angeschaut, um in eine andere Welt abzutauchen. (lacht)

© imago images

Sven Hannawald: "Ich habe mich gefühlt wie ein Gladiator im alten Rom"

Und wie war es am Wettkampftag selbst?

Hannawald: Ich war natürlich um 3 Uhr schon wach und am Morgen völlig gerädert. Ich hatte zwar auch eine große Vorfreude in mir, weil ich ja wusste, dass es mit dem Tournee-Sieg klappen sollte, aber gleichzeitig hatte ich diesen schweren Rucksack des Grand Slams auf den Schultern. Ich sehe mich noch vom Parkplatz durch die Fans zum Lift laufen. Als die Bilder auf der Video-Leinwand gezeigt wurden, ging ein Raunen durch die Zuschauer und Jubel brandete auf. Ich habe mich gefühlt wie ein Gladiator im alten Rom. Das war ein unglaublicher Moment, den ich nie vergessen werde. Das hat mich auch nochmal richtig angepeitscht. Irgendwie hat es am Ende knapp gereicht. Ich bin extrem dankbar, dass ich als Erster den Grand Slam holen durfte. Es war die 50. Tournee, ich gewinne den Grand Slam - dieses Drehbuch hätte ich mir nicht vorstellen können.

Welches Gefühl hat überwogen, als die Eins zum vierten Mal aufleuchtete?

Hannawald: Stolz. Ich habe direkt danach sofort an den kleinen Sven denken müssen, der den Kindheitstraum von einem Tournee-Sieg hatte und der ihn sich nach vielen Jahren jetzt tatsächlich erfüllt hat. Irgendwie hat sich in diesem Moment alles gelöst. Das war sehr bewegend für mich. Ich war aber auch tot. Ich hatte um 20 Uhr eine Schalte in die Tagesschau, da habe ich mich gefühlt, als ob ich über 100 Kilo wiegen würde. Da ging gar nichts mehr. Aber gleichzeitig habe ich auch so ein Lächeln der Freude in mir gespürt.

Der Hype, der um Ihre Person entstanden ist, war phasenweise verrückt. RTL hat Ihnen sogar einen Wäschekorb mit Post von Frauen präsentiert, die Sie gerne kennenlernen wollten. Wie sind Sie damit klargekommen?

Hannawald: Der Wäschekorb war witzig. Ich habe das aber ganz gelassen verfolgt. Ich fand es interessant, was sich RTL alles ausdenkt für mich. Für mich war es sehr gut, dass ich nicht direkt am Anfang meiner Karriere nach oben geschossen bin. Ich war in meiner Entwicklung weit genug, dass nie die Gefahr bestand, dass ich abhebe. Ich konnte das alles gut einordnen. Ich bin immer ich geblieben - diese Bodenständigkeit war mir auch wichtig.

Nach der Supersaison haben Sie noch viele weitere Erfolge gefeiert, bis die Saison 2003/04 die letzte werden sollte. Diagnose: Burnout. Wann haben Sie gespürt, dass etwas nicht stimmt?

Hannawald: Es ist schwer, einen genauen Zeitpunkt festzumachen, weil es ein schleichender Prozess war. Jeder verspürt mal eine große Müdigkeit. Aber als ich in den Urlaub geflogen bin und mich auf dem Rückflug genauso müde gefühlt habe wie auf dem Hinflug, habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass das nicht normal sein kann. Aber irgendwann ging es dann wieder. Einmal hat mich eine Verletzung drei Monate aufs Sofa verbannt, natürlich bist du danach wieder heiß aufs Skispringen. Aber es hat nie lange angehalten. Dazu kam, dass die heile Welt innerhalb des Teams zerbrach. Der Zusammenhalt im Team hatte uns immer ausgezeichnet. Klar, wir haben uns auch mal gezofft, aber insgesamt waren wir ein Herz und eine Seele. Als das durch den Streit um das Bundestrainer-Amt alles auseinandergebrochen ist, war es zu viel für mich. Ich hatte ja schon genügend Probleme mit mir selbst. Da war ich dann Freiwild.

Wie hat sich das gezeigt?

Hannawald : Ich hatte so eine komische Unruhe in mir. Ich kannte es, platt auf dem Zimmer zu liegen. Aber ich kannte es nicht, dass ich eigentlich platt bin, auf dem Zimmer liege, aber trotzdem einen Bewegungsdrang verspüre und mich gar nicht ausruhen kann. Als ich beim Weltcup in Park City als 47. den zweiten Durchgang verpasste, bin ich zu Wolfgang Steiert gegangen und habe ihm gesagt: "Wolfi, lass mich bitte nach Hause fliegen, ich hab' die Schnauze voll, ich dreh hier völlig durch!" Im Anschluss bin ich mit meiner damaligen Freundin in den Urlaub geflogen und dort zusammengebrochen. Ich habe von 300 auf null runtergeschaltet und die Quittung dafür bekommen. Ich hatte richtige Heulattacken.

Wie ging es weiter?

Hannawald: Es lag spätestens zu diesem Zeitpunkt auf der Hand, dass es etwas Psychisches sein musste. Also bin ich zum letzten Arzt, bei dem ich vorher noch nicht gewesen war - ich bin zu einem Facharzt für Psychosomatik gefahren. Er hat direkt die Burnout-Diagnose gestellt und mir gesagt, dass ich sofort in eine Klinik muss.

© imago images

Sven Hannawald: "Da hatte ich Angst"

War das ein Schock?

Hannawald:Niemand will gerne wochenlang in eine Klinik, aber für mich war es dennoch mehr eine Erleichterung. Ich hatte eineinhalb Jahre lang verschiedenste Ärzte konsultiert, um zu erfahren, was mit mir los ist.Wenigstens war es jetzt klar. Es hat mich befreit. Und ich wusste ja nicht, dass es das Ende meiner Karriere bedeuten würde. Ich wollte danach wieder Skispringer sein. Als ich dann feststellen musste, dass der Körper das nicht will und mir wieder eindeutige Signale sendete, war es leider vorbei. Es war hart für mich, es einzusehen und zu akzeptieren. Das hat länger gedauert. Ich habe mir auch viele Gedanken gemacht, ob ich etwas anders hätte machen können. Aber die Antwort lautet nein. Ich musste meinen Körper so schinden, ich musste meinen Körper ruinieren, um so erfolgreich zu werden. Sonst hätte ich die Tournee nie gewonnen. Es gab keine Alternative zu diesem Weg. Es war mein Weg. Deshalb bin ich auch froh darüber und glücklich, dass ich ganz am Ende meinem Körper gerecht geworden bin und die Konsequenz gezogen habe.

Inzwischen arbeiten Sie als TV-Experte bei Eurosport an der Seite von Matthias Bielek und halten Vorträge zur Stress- und Burnout-Prävention. Was machen Sie mit den Leuten?

Hannawald: Wenn es machbar ist, gehe ich gerne mal die Schanze mit ihnen rauf, weil sie dadurch auch eine Art Karriereleiter sehen. Generell geht es mir darum, das Bewusstsein dafür zu fördern, dass sie sich mehr zurücknehmen müssen, um ihren Akku aufzuladen. Wenn Mitarbeiter in einer Firma den ganzen Tag hart gearbeitet haben, müssen sie ruhigen Gewissens nach Hause gehen dürfen, ohne dass sie sich am Abend schlecht fühlen, wenn sie nicht die Mails checken. Diese Befreiung ist zwingend notwendig, damit die Leute am nächsten Tag wieder frisch zur Arbeit kommen. Das zu verändern, geht aber nicht von heute auf morgen.

Gerade wenn man zum Beispiel die Schanze in Innsbruck hochläuft und beim Runterschauen den Friedhof im Hintergrund sieht, wird einem mulmig. Hatten Sie in Ihrer Karriere mal Angst auf der Schanze?

Hannawald: Ja, ein paar Mal. An eine Situation erinnere ich mich auch noch. Das war in Kuopio in Finnland, da war es extrem böig - da hatte ich Angst. Wenn du das Gefühl hast, dass dein System nicht gut funktioniert und dann auch noch die Bedingungen schlecht sind, wird es gefährlich. Respekt hast du immer und wenn es zum Skifliegen geht, dann kriegst du auch jedes Mal ein bisschen das Flattern. Weil wir es nicht so oft haben. Da schläfst du die Nacht vorher auch mal nicht so gut. Aber sobald es wirklich zur Angst wird, ist es Zeit, von der Schanze zu gehen. Das habe ich dann auch gemacht, auch wenn es kein einfacher Schritt ist. Geht einer runter, bin ich einen Platz weiter vorne. So wird im Feld natürlich auch gedacht. Aber wenn die Angst wirklich da ist und du zum Passagier wirst, musst du reagieren. Ich vergleiche das immer mit einem Flugzeug. Es ist nicht schlimm, dass es mal wackelt, solange ich das Steuer im Griff habe. Aber wenn ich hinten drinsitze und das Flugzeug fliegt selbst, ist der Spaß vorbei.

Sven Hannawald: Seine größten Erfolge

Grand Slam Vierschanzentournee 2001/02 Olympiasieger 2002 (Team) 2 x Skiflug-Weltmeister 2 x Skisprung-Weltmeister (Team) 18 Weltcup-Siege Deutschlands Sportler des Jahres 2002