Ihr Schützling Dominic Thiem ist derzeit den „Austrian Pro Series“ zum ersten Mal nach der Corona-Pause im Einsatz. Was fehlt, ist sein Trainer. Warum?
NICOLAS MASSU: Corona hat leider was dagegen. Mitte März wurde das Turnier in Indian Wells abgesagt. Während Dominic zurück nach Wien flog, ging es für mich heim nach Chile, seitdem bin ich hier in Santiago. Es gibt derzeit keine Möglichkeiten, nach Europa zu fliegen. Ich checke die Situation jeden Tag, aber es heißt, weiter zu warten. Sobald es möglich ist, werde ich nach Europa fliegen.

Wie ist die Situation in Chile?
MASSU: Chile selbst hatte zu Beginn weniger Probleme mit dem Virus, zuletzt wurde es schlimmer. Ich bin aber kein Experte. Wir müssen hier jeden Tag aufs Neue schauen, was passiert. Wir können nur hoffen, dass es bald wieder bergauf geht.

Wie sieht Ihr Alltag derzeit zu Hause aus?
MASSU: Aktuell haben wir wieder eine angeordnete Quarantäne. Heute soll entschieden werden, ob die erneut verlängert wird. Ich verbringe viel Zeit am Computer, schaue Tennisspiele. Ich liebe es mir Tennisvideos anzusehen, andere Spieler, aber auch, als ich damals noch gespielt habe. Dazu habe ich mir ein kleines Fitnessstudio eingerichtet, Netflix gehört auch zum Standardprogramm. Und ich versuche, so oft wie möglich mit meinen Freunden aus aller Welt zu sprechen. Ich hab gleich mitbekommen, dass es in Europa, vor allem in Italien und Spanien, sehr, sehr schlimm war und das hat mich richtig traurig gemacht zu hören. Und der Kontakt zu Dominic?
MASSU: Natürlich halte ich auch Kontakt zu Dominic und seinem Vater Wolfgang. Ich bin neugierig, wie seine ersten Spiele verlaufen, wie er sich anstellt. Ich verfolge natürlich alles, was er tut.

Wie oft hören sie sich?
MASSU: Immer, wenn es notwendig ist. Heutzutage macht die Technik alles möglich. Das war komplett anders, als ich mit Tennis begann. Jetzt drückst du einen Knopf und los geht’s – egal, wo er auf der Welt ist. Die Kommunikation mit ihm ist top. Es ist extrem wichtig, seine Arbeit zu verfolgen. Aber momentan geht es 90 Prozent aller Trainer-Spieler-Gemeinschaften so wie uns. Aber wenn die Kommunikation stimmt, spielt die Entfernung keine Rolle.

Was macht Dominic Thiem so besonders?
MASSU: Er ist ein unglaublicher Tennisspielermit enorm viel Talent. Er ist ein wahnsinniger Arbeiter auf dem Platz, hat Energie ohne Ende und zudem einen top Charakter. Wir harmonierten von Beginn an, auf und abseits des Platzes. Das ist enorm wichtig. Wir begegnen uns mit großem, gegenseitigem Respekt, auch das ist ein wesentlicher Faktor, der die Arbeit erleichtert. Und auch in der jetzigen schwierigen Corona-Phase ist er immer positiv gestimmt, gut gelaunt, schaut nach vorne. Da gibt es kein Jammern.Was trauen Sie Ihm noch zu?
MASSU: Dominic versucht jeden Tag aufs Neue, sich weiterzuentwickeln, sein Tennis zu verbessern. An kleinen Feinheiten zu arbeiten, die es ausmachen. Genau diese mustergültige Einstellung brauchst du, um Ziele zu erreichen. Aktuell ist er die Nummer drei der Welt, lediglich zwei Superstars sind vor ihm. Das zeigt, was er schon für hervorragende Arbeit geleistet hat. Er ist seit fünf Jahren durchgehend in den Top Zehn, das zeigt seine Konstanz. Er ist einer der besten Spieler der Welt, der eine sensationelle Intensität in den Tag legt. Er ist erst 26 Jahre alt und dennoch bereits sehr erfahren. Ihr kommuniziert in englischer Sprache, oder?
MASSU: Ja, genau. Deutsch ist für mich in kurzer Zeit sehr schwer zu erlernen, spanisch wäre da für ihn sicherlich leichter (lacht).

Inwiefern wird Corona den Tennissport verändern?
MASSU: Gute Frage. Derzeit schwirrt Ungewissheit herum, niemand weiß, was passiert. Im Juni soll es zumindest Gewissheit geben, wie es im Herbst mit Turnieren aussieht. Viele Spieler, mit denen ich gesprochen habe, rechnen mit einem Comeback im September, andere erst mit Anfang 2021. Ich denke, dass die nächsten Wochen entscheidend sein werden, ob wir 2020 überhaupt noch spielen.

Können sie sich Turniere ohne Zuschauer vorstellen?
MASSU: Schwierige Frage, weil es von so vielen Faktoren abhängt, ob überhaupt Turniere stattfinden. Es kommt darauf an, wie groß das Turnier ist, in welcher Stadt es über die Bühne geht, wie lange es dauert – und es geht auch um Sponsoren. Vor allem stellt sich die Frage, wie man reagiert, wenn etwa 40 Prozent der Spieler wegen Reisebeschränkungen nicht aus ihren Ländern hinaus könnten. Wie reagiert man da? Es müssen alle Spieler, also wirklich alle, die Möglichkeit haben, an den Turnieren teilzunehmen. Ich will solch große und folgenschwere Entscheidungen nicht treffen müssen. Das ist hart, richtig hart.