Von außen betrachtet, lässt die Unscheinbarkeit der Lagerhalle ihren inneren Wert nicht im Geringsten erahnen. In Bayern – maximal die Dauer eines Sprinterzugs von der Grenze entfernt – steht die Schatzkammer, die manchem Hobbyfahrer ein Funkeln in die Augen zaubern würde, wie es bei Kindern das Glöckchen des Christkinds vermag: das technische Herz von Bora-hansgrohe. Beim Betreten wird klar, dass es sich um Radsport handeln muss. Eine polierte Siebträgermaschine aus der Mailänder Manufaktur wird von einem Mann bedient, der hellere Streifen Haut senkrecht vor seinen Ohren trägt – die "Tanline" vom Helmband.

Bestens alarmgesichert lagern Rennmaschinen und abertausend Ersatzteile vom Kettenblatt bis zum Schlauch in dem unauffälligen Bau. Zwischenwände aus OSB-Platten teilen die zwei Etagen in Gänge. In einigen hängen fein sortiert die Carbonmaschinen Lenker an Lenker. Einsatzfertig freilich. Jai Hindley, Patrick Konrad, Marco Haller … die kleinen Schilder auf Wand und Oberrohr – neben der Sattelstütze – geben die Namen des Profis preis. "Wir haben hier pro Fahrer zwei Zeitfahrer und drei bis vier Rennräder", erklärt Thomas Hörl. Er ist der Logistikchef in der Halle ohne Eingangsschild. "Zwei Räder haben die Fahrer noch für das Training zu Hause." Komplett ist eine Maschine dieser Klasse etwa 15.500 Euro wert, der Gesamtwert mit dem Einmaleins nicht annähernd fassbar. In zwei angrenzenden Gängen sind Laufräder diverser Felgenhöhen und "Scheiben" gerichtet.

Wie viele Teile es ungefähr sind, die hier lagern? Hörl zuckt mit den Achseln und lacht. Willkommen im Schlaraffenland der Radfetischisten. Ersatzteile höchsten technischen Standards vermitteln das Gefühl, ein Kleinkind im Süßigkeitenladen zu sein. Prototypen und Sonderanfertigungen sind Zeugen höchster Ingenieurkunst. In den Gängen befinden sich nicht nur Räder. Es stapelt sich, was ein Team braucht. Gewand, Trikots, Schuhe, Helme, Getränkepulver, Kühltaschen, Radkoffer sind ebenso in den Regalen zu erspähen wie das Material der Physiotherapeuten und Köche.

Ein Mechaniker aus Italien werkt unbeirrt an einem Rad. Ein Sturz in den Ardennen hat dem Rahmen ein ungewolltes Muster verpasst. Er wird später im ersten Stock bei den anderen Schadensfällen baumeln, ehe er zurück zum Hersteller nach Morgan Hill in Kalifornien geschickt wird. Auf dem Montageständer nebenan wird ein neues Rad für Alexander Vlasov aufgebaut, schon einen Tag nach dem Crash und Hunderte Kilometer entfernt.

Bei bis zu drei Rennen ist das Team gleichzeitig unterwegs, da ist Planung und Vorausschau alles. "Wir fahren ungefähr 260 Rennen pro Jahr", sagt Teamchef Ralph Denk. Neben 30 Berufsradfahrern stehen weitere 116 Personen auf der Lohnliste des Teams.

Ab Samstag geht es beim Giro um "La Maglia Rosa"

Logistisches Geschick ist gefragt, denn mit dem Giro d'Italia, der ersten Grand Tour des Jahres, naht ein sportliches Gemetzel über drei Wochen um Rosa. Drei bis vier Tage dauert es, bis alles für die italienische Landesrundfahrt sortiert und parat ist. Der Tross besteht samt acht Fahrern aus gut 35 Personen, die Fahrzeugflotte ist ansehnlich. Ein Bus, ein großer Service-Lkw, zwei Renndienstwagen, zwei kleine und ein etwas größerer Transporter, ein Kühlwagen und ein Küchentruck werden von 6. bis 28. Mai zwischen Fossacesia Marina und Rom unterwegs sein. Auf Paletten beim Eingangsbereich werden die Utensilien zurechtgelegt und dann in die Fahrzeuge geladen. Speziell für den Giro Gefertigtes wartet auch auf einen möglichen Einsatz. Rosa lackierte Helme, Brillen, Lenkerbänder, sogar Kleber für die Radcomputer finden sich im Meer der Teile und treten die Reise an. Sicher ist sicher. Schlüpft ein Fahrer in das Trikot des Gesamtführenden, soll das Gesamtbild passen.

Organisatorisch ist alles gerichtet, bald sind die Fahrer gefordert, und nach dem Sieg von Hindley im Vorjahr soll auch heuer ein Fahrer von Bora-hansgrohe das berühmte "Maglia Rosa" tragen. Einen eigens lackierten Rahmen hat Radhersteller "Specialized" mit im Gepäck. "Der wird dann in der Nacht schnell noch aufgebaut", ruft ein Mechaniker, "aber das macht man dann eigentlich recht gerne."