Vor fast exakt zehn Jahren riss ein junger Oberösterreicher im Trikot von Gourmetfein Wels in Gratwein-Straßengel die Arme in die Höhe und jubelte über seinen ersten Staatsmeistertitel. Sein Sieg am 24. Juni 2012 war eine handfeste Überraschung und sein Name seinerzeit nur eingefleischten Radsportfans ein Begriff. Heute ist Lukas Pöstlberger einer von Österreichs Besten. "Das war damals eher ungeplant, das ist passiert", erinnert sich der 30-jährige Berufsradfahrer, "wir waren zu zweit in der Spitzengruppe vertreten und haben unsere zahlenmäßige Überlegenheit ausgespielt." Mit seinem Angriff schnappte er damals auch Sky-Profi Bernhard Eisel den Sieg weg – das Trikot des Staatsmeisters blieb dem Weststeirer immer verwehrt. Pöstlberger: "Das hat mich in meiner Karriere sehr weitergebracht und ich habe viel gelernt. Aber auch mein zweiter Titel 2018 in Wien war etwas ganz Spezielles und es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man ein Jahr mit diesem Trikot Rennen fahren darf."

Am Sonntag wird wohl das gesamte Feld auf jede Bewegung achten, die Pöstlberger und seine Teamkollegen von Bora-Hansgrohe machen. Nicht weniger als fünf Fahrer der World-Tour-Equipe haben genannt. "Das erklärte Ziel ist das Trikot und das ist auch logisch. Wir wollen das Trikot bei der Tour de France präsentieren", sagt Pöstlberger, "wenn sich die Möglichkeit ergibt, sollte es einer sein, der in der darauffolgenden Woche auch bei der Tour fahren wird." Die Tour beginnt am 1. Juli in Kopenhagen und aktuell steht mit den Bergfahrern Patrick Konrad, Felix Großschartner, dem Sprinter Marco Haller sowie Pöstlberger ein rot-weiß-rotes Quartett auf Boras Longlist. "Das ist die größte Bühne und auch die beste Werbung für den heimischen Radsport."

Eine Staatsmeisterschaft könne man freilich nie vorhersagen, die Ambitionen sind – wie bei allen anderen Teams – aber groß und Bora ist mit Bergfahrern, einem Puncheur und einem Sprinter sehr gut aufgestellt. "Eigentlich könnten wir relaxed starten, aber trotzdem sind wir alle ein bisschen nervös. Es geht um das Trikot, aber es ist kein Wunschkonzert."

Doch Pöstlberger verspricht: "Wir werden angreifen und schauen, dass wir gewinnen – deswegen fahren wir hin. Aufgestellt sind wir sehr gut, wir sind auf alle Variablen perfekt vorbereitet. Aber es würde uns sicher in die Karten spielen, wenn es ein schnelles Rennen wird."

Was in seinen Beinen steckt, zeigte Pöstlberger auch 2017 mit seiner Fahrt ins "Maglia Rosa" beim Auftakt des Giro d’Italia. Vor wenigen Wochen hat der Australier Jai Hindley für Bora die italienische Landesrundfahrt gewonnen. "Was das Team beim Giro gezeigt hat, war ein Wahnsinn. Das ist für unsere Mannschaft der größte Erfolg", sagt der Oberösterreicher, "um eine Grand Tour zu gewinnen, braucht es ganz viel Disziplin und eine genaue Vorbereitung. Und dann muss beim Rennen auch noch alles funktionieren."

Auch wenn er nicht im Aufgebot für die Apenninen-Halbinsel war, "so ein Erfolg reißt mit und gibt einem selbst auch einen Motivationsschub. Die Radsportbühne wird immer größer und breiter, aber auch immer härter umkämpft und nicht einfacher."