Gerrit Glomser schmunzelt und sagt: „Die ersten Fahrer kriegen das Kitzbüheler Horn hinauf nichts mit. Die sind wie in einem Tunnel und schauen maximal nach vorne, wie weit sie noch treten müssen. Die können keinen einzigen Buchstaben lesen, der da auf den Asphalt gepinselt ist.“ Die Anstrengung in diesem Anstieg ist enorm, die Fahrer sind auf Anschlag und fahren instinktiv. „Wenn es nicht rumpelt, sind sie auf dem Asphalt, wenn schon, dann auf dem Bankett oder in der Wiese.“

Der Salzburger kennt den Schlussanstieg der heurigen Landesrundfahrt ganz genau. Im Jahr 2003 gewann er im Trikot von „Saeco“ beim Alpenhaus und holte dann zum zweiten Mal den Sieg im Gesamtklassement.

Seit 20 Jahren ist das Horn fixer Bestandteil der Ö-Tour und auch heuer wird sich auf der sechsten Etappe alles hier entscheiden. Zehn Kilometer mit einer Steigung von 13 Prozent im Mittel entziehen den Fahrern die Kräfte. „Bisher war das Horn am Anfang der Rundfahrt oder eingebettet. Da haben die Fahrer noch Kraft. Heuer kommt es zum ersten Mal am Schluss“, sagt Glomser. „Die Fahrer sind am letzten Tag schon leer, aber unterm Strich werden sich die Besten wieder durchsetzen.“

Dabei sei der Anstieg „gar nicht so schlimm“, sagt Glomser. „Er ist perfekt für Fahrer, die im Steilen gut zurechtkommen.“ So wie für Victor de la Parte. Der Spanier ist mit der polnischen Equipe „CCC“ bei der Ö-Tour am Start und stellte am 10. Juli 2015 mit 28:20 Minuten den offiziellen Rekord auf – mit einem Durchschnittspuls von 171 Schlägen.

Gerrit Glomser nach seinem Sieg 2003
Gerrit Glomser nach seinem Sieg 2003 © AP

Von mehreren bösen Stürzen war das fünfte Teilstück von Bruck nach Kitzbühel über 162 Kilometer und 2619 Höhenmeter überschattet. 20 Kilometer vor dem Ziel krachte der Kasache Stepan Astafjew in ein Betreuerauto und erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma. Der ebenfalls dort gestürzte Niederländer Laurens ten Dam zog sich Schulter- und Beckenverletzungen zu. Sie wurden mit dem Auto ins Tal gebracht und dann ins Spital geflogen. Beim Italiener Giovanni Visconti, der neben anderen Teilnehmern 1500 Meter vor der Ziellinie zu Fall kam, besteht Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung. Die Versorgung der später gestürzten Fahrer verzögerte sich, weil die Rettungskräfte zunächst beim ersten Unfall gebunden waren. Den Tagessieg sicherte sich Jannik Steimle im Sprint des Feldes. Der Fahrer von Vorarlberg Santic triumphierte vor Jonas Koch (CCC).

Gestartet wird das heutige Teilstück in Kitzbühel (11 Uhr), doch bevor es auf das Horn geht, müssen noch 106 Kilometer „eingerollt“ werden. Das Trikot des Gesamtführenden trägt Ben Hermans (Israel Cycling Academy), und im Vorjahr legte der Belgier beim Alpenhaus mit dem Tagessieg den Grundstein zu seinem ersten Tour-Erfolg. „Die fünfte Etappe war zum Durchschnaufen“, sagt Hermans, „nun gibt es nur Vollgas für mich. Das Horn ist sicher nicht mein Lieblingsberg, aber ich werde alles geben.“

In Österreich wird sich „immer ein Alpinist durchsetzen“, sagt Glomser. Um den Sieg davonzutragen, darf man „keiner sein, der mitschwimmt. Man braucht Tempohärte und gute Lactatverträglichkeit“. Entscheidend ist in den Bergen ohnehin das Verhältnis von erbrachter Leistung (Watt) zum Körpergewicht (kg). „Egal, ob groß oder klein, heutzutage sind die Fahrer in der Lage, lange Zeit rund sieben Watt pro Kilo zu fahren.“

Obwohl Glomser auf dem Horn brilliert hat, übt er Kritik: „Der Fokus liegt jedes Jahr auf dem Horn und es entscheidet über den Sieg. Das ist doch ein bisschen langweilig. Gibt es denn nichts anderes?“