Bernd, wie tief sind denn die Schrammen, die der Radsport von den Schlagzeilen der letzten Wochen und Monate abbekommen hat?
BERNHARD EISEL (formuliert eine Antwort geistig vor): Auf alle Fälle tief. Aber so richtig lässt sich das noch nicht abschätzen. Es war war bisher nur die Spitze, da kommt noch etwas.

Können Sie dieses Etwas konkreter erklären?
EISEL: Es wird bereits in naher Zukunft gravierende Einschnitte geben. Viele Sponsoren werden aussteigen. Sehr viele.

Wird es vor der Tour de France wieder den befürchteten "Kracher" machen?
EISEL: Leicht möglich. Prudhomme (Christian Prudhomme, neuer Generaldirektor der Tour, Anm.) träumt von einer dopingfreien Tour. Und er ist wild entschlossen, das auch durchzuziehen. Es fragt sich nur, ob alle mitziehen werden.

Dopingfreie Tour? Sagt sich so einfach. Aber glauben Sie allen Ernstes daran?
EISEL: Ich hoffe zumindest noch immer. Denkbar ist es.

Das glauben wir nicht. Schwarze Schafe wird es doch immer geben, oder?
EISEL:(überlegt lange): Vielleicht habt ihr recht. Ich vergleiche das mit dem Steuerzahlen. Von 1000 Leuten zahlen 900. 100 zahlen nicht. Und von den 100 erwischen sie 20. Es gibt halt immer welche, die glauben, sie sind schlauer. In Wahrheit sind's diejenigen, die nicht sehr viel im Hirn haben.

Wie weit ist der Rückstand der Dopingjäger?
EISEL: Nicht mehr sehr weit. Die UCI (Rad-Weltverband, Anm.) weiß inzwischen alles, was gespielt wird. Früher war das ein Fuchs und Hase-Spiel. Und früher war der Hase schneller. Aber jetzt ist der Fuchs ziemlich schnell geworden.

Sie meinen, das Kontrollsystem hat keine Lücken mehr?
EISEL: Kaum. Es ist beinahe lückenlos. Dass wir dabei wie Kriminelle behandelt werden, ist eine andere Geschichte. Als Radprofi lebst du heute wie ein Verbrecher, der Freigang hat. Ein Leben mit Fußschellen. Aber ich habe mich damit abgefunden. Denn mich werden sie ohnehin nie gedopt erwischen.

Hat man heute eigentlich noch Vertrauen in seine Gegner?
EISEL: Ich werde für niemanden die Hand ins Feuer legen. Aber das tue ich grundsätzlich für keinen Menschen, egal ob er Sportler ist oder nicht. Außerdem habe ich aufgehört, an andere zu denken. Damit machst du dich doch auf Dauer kaputt.

Wie ist die Stimmung bei T-Mobile? Die letzten Geständnisse haben fast ausschließlich auf Euer Team abgezielt.
EISEL: Aber uns Fahrer betrifft es nicht. Von damals ist ja keiner mehr dabei. Wir haben uns nur gefragt, warum wir das alles ausbaden müssen, wenn das Team zusperren sollte. Außerdem haben wir bei T-Mobile inzwischen intern ein derart kompromissloses Kontrollsystem aufgezogen, wir müssen uns garantiert nichts mehr vorwerfen.

Gedopt wird überall, aber auf keine Sportart zeigt man so mit dem Finger, wie auf den Radsport. Haben Sie dafür persönlich eine Erklärung?
EISEL: Im Radsport gibt es keinen Zusammenhalt. Wir haben keine Lobby. Und bei uns wird alles sofort publik gemacht und breitgetreten. Du nimmst ein Asthmamittel und wirst in den Medien zerfleddert. Wenn ich Asthma habe, habe ich Asthma und bin deshalb nicht gedopt.

Okay, reden wir jetzt auch vom Radfahren . . .
EISEL: . . . kein Problem. Wie gesagt, mit der ganzen Dopinggeschichte muss ich leben.

Der große Traum von einem Etappensieg bei der Tour de France, wie realistisch ist das denn heuer?
EISEL: Natürlich ist es noch immer mein Ziel. Aber Mark Cavendish ist derzeit in unserem Team der klar schnellere Mann, daran komme ich nicht vorbei. Mein primäres Ziel war es, zur Tour zu kommen - denn davon lebst du das ganze Jahr.

Peter Luttenberger hat immer gesagt, der Giro d'Italia sei für die Itakker, die Tour für die ganze Welt. Ist es wirklich so?
EISEL: Ja, genau so ist es. Und deshalb gebe ich die Hoffnung, dort eine Etappe zu gewinnen, nicht auf, so lange ich Rad fahre.