Zwei Gedenksteine sind den schmerzlichsten Tragödien in der 110-jährigen Geschichte der Tour de France gewidmet. 1,5 Kilometer vor dem Gipfel des mythischen Mont Ventoux, dieses kahlen Teufelsberges in der Provence, erinnert eine Granittafel an Tom Simpson. Der stets humorvolle Engländer, der 1962 als erster Brite das Gelbe Trikot getragen hatte, war an dieser Stelle in der sengenden Hitze des 13. Juli 1967 ohnmächtig vom Rad gefallen. Herzmassagen von Doktor Dumas, Mund-zu-Mund-Beatmung eines Zuschauers, Rettungshubschrauber, Notambulanz, die Reanimation durch den Spezialisten Doktor Soubeyrand im Krankenhaus Sainte-Marthe in Avignon blieben vergeblich. Um 17.40 Uhr wurde der Tod Tom Simpsons festgestellt.

Vier Kilometer unterhalb des Pyrenäen-Passes Col de Portet d'Aspet steht das "Monument Casartelli". In dieser Kurve waren sieben Fahrer in rasender Abfahrt gestürzt. Der Italiener Fabio Casartelli, Olympiasieger 1992 in Barcelona, war mit dem Kopf gegen einen Begrenzungsstein geprallt, 34 Kilometer nach dem Start der 15. Etappe am 18. Juli 1995, um 11.50 Uhr. Ein schreckliches Bild: Gekrümmt lag Casartelli auf der Straße. Doktor Porte hielt den Kopf, in dem kein Leben mehr war. Rinnsale von Blut färbten den Asphalt rot. Anderntags wurde die Etappenfahrt zum schweigenden Trauerzug. Nach 237 Kilometern gab es in Pau keinen Etappensieger. Zwei Tage später gewann Lance Armstrong die Etappe in Limoges, richtete sich vor dem Ziel auf, blickte gen Himmel, deutete mit beiden Zeigefingern nach oben und widmete seinen Sieg dem toten Mannschaftskameraden und Freund.

Casartellis Gedenkstein erinnert auch an die tödlichen Gefahren, an all die lebensbedrohenden Stürze der Tour. Wie an den fast fatalen Unfall Roger Rivieres. Der große französische Favorit 1960 stürzte auf der Abfahrt vom Col du Perjuret dreißig Meter in einen Abgrund und blieb reglos liegen. Riviere kam mit dem Leben davon, erlitt aber eine schwere Wirbelsäulenverletzung.

Das Denkmal am Mont Ventoux ist auch ein Mahnmal. Nicht der grausame Berg, nicht die fürchterliche Hitze haben das erste Todesopfer der Tour gefordert. Tom Simpson hat in der Sonnenglut mit seinem Leben für den Missbrauch von Drogen bezahlt. Zu jener Zeit galt Doping noch als eine Art Kavaliersdelikt. Der Journalist Hans Blickensdörfer schrieb: "Tour und Doping scheinen wie siamesische Zwillinge miteinander gehen zu müssen." Doping und seine Skandale gehörten seit der Geburt zur Tour wie ihre Epen und Dramen. "Ich habe nichts dagegen, dass ein Fahrer sich künstlich stimuliert, wenn es anders nicht mehr geht", hatte Tour-Gründer Henri Desgrange einst gemeint.

Erst als die Justiz eingriff, wurden Dopingvergehen wie Verbrechen verfolgt. 1998 stand die Tour still. Die Affäre "Festina" eskalierte zum größten Skandal der Radsportgeschichte innerhalb eines Rennens. Auf dem Weg zum Start in Dublin hatte der Zoll an der französisch-belgischen Grenze im Wagen des Pflegers Willi Voet eine ganze Ladung gesetzlich verbotener, leistungssteigernder Substanzen beschlagnahmt, hauptsächlich EPO. Nach Verhaftungen, Verhören und Geständnissen wurde die komplette Equipe mit dem heulenden Nationalhelden Richard Virenque vor dem Zeitfahren in Correze am 18. Juli von der Tour ausgeschlossen.

Razzien der Polizei, die Flucht einer Handvoll Mannschaften, Durchsuchungen, Festnahmen, Verhöre und jeden Tag neue ungeheuerliche Enthüllungen machten das größte Radrennen der Welt zur Kriminalgroteske, die in einem spektakulären Prozess gipfelte. Die Rennfahrer protestierten mit Sitzstreiks gegen die rüden Polizeiaktionen. Zweimal stand die 85. Tour de France kurz vor dem Abbruch. Doch Tour-Chef Jean-Marie Leblanc gelang es jedes Mal mit viel Diplomatie, ein um die Hälfte geschrumpftes Peloton doch noch nach Paris zu bringen. Jan Ullrich verlor gegen Marco Pantani, einen EPO-Bannerträger - das Beste, was dem deutschen Vorjahressieger - so die Deutung - am Ende dieser Skandal-Tour passieren konnte.

Dann kam Krebsbesieger Lance Armstrong und führte die Tour als Supermann ins 21. Jahrhundert. Erst das Spektakel, siebenmal Sieger, dann der Skandal: Der größte Radsportler aller Zeiten wurde auch als der größte Betrüger und Lügner entlarvt.