Der Kreis derer, die in die Katakomben des olympischen Schießzentrums von Deodoro vordringen dürfen, ist beschränkt: Athleten, Betreuer, Funktionäre. Doch wer aufgrund ahnungsloser Platzzuweiser auf seiner Suche nach einer WC-Anlage unverhofft dort landet, wo sich die Szene auf ihre Wettkämpfe vorbereitet, muss nicht gleich mit argwöhnischen Blicken rechnen: Unaufgeregt werden Gewehre und Pistolen gewartet, verstaut oder abtransportiert.

Die kleinkalibrige Munition ist weniger gefährlich als der Knall, den sie auslöst. Aber in Zeiten wie diesen durchfährt es den, der nicht daran gewöhnt ist. Die Vertreter der so harmlosen Zunft, die Sportschützen, müssen diese Assoziation zur Kenntnis nehmen: Terroranschläge werden mit Macheten und Rucksackbomben verübt, aber eben auch mit Geräten aus der Familie ihrer Sportutensilien.

Die mögen mit einer todbringenden Waffe bis auf die Optik wenig gemein haben, aber Sippenhaftung kommt dennoch zum Tragen. München, Orlando, das reicht als Argumentation, um neben dem Waffengesetz eine friedliche und auf Präzision getrimmte olympische Disziplin zu diskreditieren. Und erst am Sonntag fand ein Journalist eine auf ein Pressezentrum abgefeuerte Kugel. "Diese Diskussion hatten wir doch schon 1996", winkt Wolfram Waibel, damals zweifacher Olympia-Medaillengewinner mit dem Gewehr, ab. Auch damals hatte ein Anschlag die Gemüter beunruhigt, die gesellschaftliche Suche nach potenziellen Irrläufern beschränkte sich nicht mehr nur auf religiöse Hintergründe.

Wolfram Waibel holte zwei Olympia-Medaillen
Wolfram Waibel holte zwei Olympia-Medaillen © (c) Georges Schneider / APA / picturedesk.com (Georges Schneider)

Ein Dacapo, das es schon nach den Spielen 1896 gab, als von einer "paramilitärischen Sportart" ohne Berechtigung bei einem Friedensfest die Rede war. Oder 1900, als noch auf das Friedenssignal schlechthin gefeuert wurde: 300 Tauben, Sinnbild für Frieden und den Heiligen Geist, wurden damals unsanft vom Himmel geholt. Olympiasieger wurde ein Belgier, der 21 Mal traf. Erst vier Jahre später wurden Lebendziele durch solche aus Ton ersetzt.

Kinder und Schießen

Auch der zehnjährige Sohn des österreichischen Olympia-Trainers Waibel ist dem Schießsport verfallen. "Wenn Kinder unkonzentriert sind – am Schießstand folgen sie. Sportschützen sind ausgeglichener! Man lernt durch den Sport, sich zu konzentrieren, Ruhe zu bewahren. Da es sich um Waffen handelt, geht man von Beginn an besonders sorgsam mit ihnen um und ist um das Einhalten der Regeln bemüht", meint Vater Waibel. Schießen sei wie Schach. Mancher Kinderpsychiater warnt vor Pauschalurteilen: Eine seriöse Verbindung zwischen Amokläufen und dem Sportschießen könne nicht festgestellt werden.

Zudem sei der Besitz von Waffen, Munition und Knallpatronen Menschen unter 18 Jahren untersagt. Es ginge also um Konzentration, nichts anderes.
Das sieht nicht jeder so. "Der Schützenverein als Killerschmiede" hatte der "Spiegel" einmal getitelt, Querverweise hergestellt. Und eine Szene, die in Österreich gut 24.000 in 700 Vereinen erfasste Mitglieder hat, wurde in Misskredit gebracht. Die Amokläuferin im deutschen Lörrach (2010) war ehemalige Sportschützin. Ähnliches erhoben Ermittler in Winnenden (2009): Der Mörder von 15 Menschen habe "mindestens vier Mal im Schützenverein" trainiert – bis ein paar Tage vor der Wahnsinnstat. Oder 2001, als ein junger Sportschütze mit seiner Pistole ein Massaker in einem Erfurter Gymnasium anrichtete.

Argumenten wie diesen stehen die friedlichen Sportschützen bei Olympia wehrlos gegenüber, die amerikanische Medaillengewinnerin Kim Rhode ist von solchen Themen schon genervt: "Wenn so etwas wie in Orlando passiert, weiß ich schon, was als Nächstes kommt. Mein Telefon klingelt und ich muss immer die gleichen Fragen beantworten." Selbst die Reise zu Wettkämpfen gerät, wenn sie mit dem Flugzeug stattfindet, mitunter zum mehrstündigen Warte-Marathon.
"Wir müssen uns nicht neu erfinden", hält Waibel dennoch fest. Vielmehr müsse man die positiven Seiten des Sports erkennen, der genauso zur Völkerverständigung beitrage. Wer sich etwa das Leben im olympischen Dorf anschaut, würde ihm beipflichten: Nationen, die sich politisch nicht verstünden, würden am selben Tisch sitzen, gemeinsam essen. Auch die Schützen.