10 Kilometer. 16 Hindernisse. 32 Grad und kein Wölkchen am Himmel. Der Grazathlon an diesem 13. Juni 2015 wird hart – noch dazu, wo ich die Nacht davor in zu hohen, zu unbequemen Schuhen auf unserem Mitarbeiter-Sommerfest verbracht habe – und das auch deutlich zu lange. Immerhin habe ich auf jeglichen Alkohol verzichtet – wenigstens eine Dummheit, die ich nicht begangen habe. Doch meine Füße schmerzen an diesem Morgen ziemlich, noch bevor ich überhaupt einen Schritt gegangen, geschweige denn gelaufen bin.

Der Start ist zum Glück erst mit 17:30 Uhr anberaumt und so bleibt noch genug Zeit, um vormittags die Füße hochzulagern, mittags eine Riesenportion Vollkorn-Dinkelspaghetti zu verdrücken und mich dann der Frage aller Fragen zu widmen: Was soll ich bloß anziehen? Im Vorjahr, als ich mich zum ersten Mal am Grazathlon versucht habe, habe ich ein T-Shirt mit längeren Ärmeln getragen, mir Mullbinden um die Knie gewickelt und lange Hosen darübergezogen – all das, um mich vor drohenden Verletzungen zu schützen. Doch letztes Jahr ist das Thermometer auch nicht auf über 30 Grad geklettert. Besser ein paar Schürfwunden und eingezogene Späle als ein Kreislaufkollaps, entscheide ich, und greife schlussendlich zu einer kurzen Hose und einem Träger-Shirt. Nur die Handschuhe, die sich im Vorjahr als sehr wertvoll erwiesen haben, sind ein Muss. (Es sei gleich erwähnt, dass die Kleiderwahl sich später als goldrichtig herausstellt).

Um 16:45 Uhr spaziere ich langsam in den Augartenpark, um meine zwei Mädels zu treffen, die die härteste Sightseeingtour Österreichs, als die der Grazathlon auch bezeichnet wird, ebenfalls absolvieren möchten. Natürlich stehen als erstes die obligatorischen Vorher-Fotos für Facebook am Programm, auf denen die Gesichtsfarben und Frisuren noch halbwegs ansehnlich sind - deutlich vorteilhafter als auf den Nachher-Fotos, gerade beim Grazathlon. (An dieser Stelle sei meinem Freund Erich, der wie immer als Fotograf fungieren „darf“, einmal ein großer Dank für seine Geduld ausgesprochen – immerhin ist es mit einem Foto bei uns Mädels nie getan, sondern im Schnitt stellt uns immer erst Foto Nummer 17 zufrieden.)

Das Vorher-Foto: Hochmotiviert
Das Vorher-Foto: Hochmotiviert © Bettina Schmidt
Die Zuschauer machen es sich im Park bequem
Die Zuschauer machen es sich im Park bequem © Erich Schicker

Um Punkt 17:30 Uhr fällt der Startschuss unter lautem Jubel und tosendem Applaus, und die schnellsten und stärksten Läufer eröffnen den Grazathlon. Noch mehr als die gestählten Körper mit Sixpacks bewundere ich jene Teilnehmer, die sich der Hitze trotzend ins Schlumpf- oder Superhelden-Kostüm gezwängt haben.

Die ersten Teilnehmer sind bereits gestartet - noch sind wir nur Zuseher.
Die ersten Teilnehmer sind bereits gestartet - noch sind wir nur Zuseher. © Erich Schicker

Je nach Startnummer gibt es in Summe 28 Startblöcke mit gestaffelten Startzeiten. An die Zeitvorgaben halten sich in der Praxis jedoch die wenigsten, und so kommen wir Mädels erst viel später als geplant an die Reihe – lange, nachdem der schnellste Teilnehmer, Michael Kügerl, in einer Zeit von unglaublichen 41 Minuten und 54 Sekunden bereits wieder ins Ziel gekommen ist. "Es war heiß und anstrengend", sagt er im Sieger-Interview. Bevor es endlich für uns losgeht, wünsche ich den beiden anderen Mädels viel Glück - ich habe vor, den Grazathlon alleine zu bestreiten, denn die beiden anderen möchten ihn sehr gemütlich angehen. Aus sehr unterschiedlichen Gründen: Julia, weil sie quasi kein einziges Mal dafür trainiert hat und darüber hinaus den Vorabend noch länger - und flüssiger - am Mitarbeiterfest verbracht hat, als ich; Ines, weil sie sich für den nächsten Tag schonen muss – an dem sie sich erstmals an den Schöckl Duathlon wagen möchte (Hut ab!).

So laufe ich also alleine los und überwinde die ersten Hindernisse ohne Probleme.

Mein Lieblingshindernis ist - und bleibt für den restlichen Lauf - ganz klar die Wasserrutsche: Bei diesen Temperaturen bietet sie eine herrliche Erfrischung. Auf Hindernis Nummer 4 freue ich mich hingegen weniger: Es besteht aus den allseits gefürchteten Gatschcontainern. „Augen zu und durch“ steht auf einem Schild über den Containern geschrieben, darunter „Abfall Service AG“. Mhmm, das klingt ja überaus verlockend.

Hindernis Nr. 4:
Hindernis Nr. 4: "Hupf in Gatsch". Mahlzeit! © Bettina Schmidt

Mit einem braunen Teint – sozusagen vom Gatsch geküsst –, den Schuhen voller kleiner Steine und in gatschnasser Kleidung geht es weiter zum Hauptplatz, ich gebe ordentlich Gas. Umsonst, wie sich dort herausstellt: Beim Hindernis Nummer 6, „Volles Rohr“, bestehend aus Betonröhren, über die man teils durchkriechen, teils drüberklettern soll, gibt es einen riesigen Stau. Von wegen „volles Rohr geben“ – Geduld üben ist angesagt. Nach einigen Minuten Wartezeit wird klar: Das Ziel, meine Vorjahreszeit zu unterbieten, werde ich nicht erreichen. Ich versuche, diesen Gedanken locker zu nehmen, denn: Wenn man beim Grazathlon auf Zeit laufen möchte, muss man sich wirklich um einen sehr frühen Start bemühen. Ansonsten hängt viel vom Zufall ab. Aber Bestzeiten sollten beim Grazathlon ohnehin nicht das primäre Ziel sein – sondern vielmehr der gemeinsame Spaß. Teilnehmen ist wichtiger als siegen!

Moderator Gonzo versucht daher auch, uns Wartende mit Scherzen bei Laune zu halten. Mit einem halben Ohr höre ich, dass er eine Braut in spe, die gerade mit ihrer Polterrunde unterwegs ist, interviewt. "Kein Sex vor der Ehe", sagt sie gerade, "zumindest nicht mit dem künftigen Ehemann - mit anderen Männern schon". Es wird gelacht. Von den Wartezeiten lassen wir uns die Laune nicht verderben.

Nachdem ich mich strategisch falsch angestellt habe (nämlich bei der vordersten Röhre, bei der die Wartezeiten um viele Minuten länger sind als bei der hintersten) überwinde ich, als ich endlich an der Reihe bin, das Hindernis zumindest strategisch richtig: nämlich ganz außen. Generell gilt bei den meisten Hindernissen: Am Rand sind sie deutlich leichter zu meistern, da es neben den Hindernissen oft Metall-Absperrungen gibt, auf denen man sich beim Klettern gut abstützen kann.

Richtig froh bin ich dann, als ich endlich den Schloßberg erklimmen darf. Kollege Georg, ein angehender Iron Man, hat mir im Vorfeld geraten, den Schloßberg „zur Regeneration“ zu nutzen – was bei mir einen Lachanfall zur Folge gehabt hat. Gemeint hat er, dass ich den Schloßberg hinaufgehen statt hinauflaufen soll, da man beim Laufen nicht viel schneller ist als beim Gehen, aber viel mehr Kräfte verbraucht. An diesen Rat halte ich mich nur zu gerne – von Regeneration kann dennoch keine Rede sein. Beim Uhrturm angelangt, sehe ich wohl schon ziemlich bemitleidenswert aus, denn zwei hilfsbereite Spaziergänger bieten mir ihre Wasserflaschen an. Doch der Uhrturm ist erst die halbe Miete bzw. Strecke – frohlocken darf man erst beim Anblick des Löwen ganz oben am Berg.

Die nächste nennenswerte Herausforderung nach dem Schloßberg ist das Hindernis Nummer 10, „Die perfekte Welle“ am Tummelplatz, eine Halfpipe, die man hinauflaufen soll – und die mich beim letzten Mal an den Rand der Verzweiflung getrieben hat. Doch anders als im Vorjahr wage ich mich heuer erst gar nicht an den aussichtlosen Versuch, das Hindernis alleine zu überwinden – sondern ergreife die helfenden Hände oben auf der Halfpipe und lasse mich wie einen Mehlsack hochziehen. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass geschätzte 96% aller anderen Teilnehmer dieselbe Strategie anwenden, denn wenn man nicht extrem groß und mit einer extremen Oberarmmuskulatur ausgestattet ist, hat man alleine kaum eine Chance.

Hindernis Nr. 10: Die Schlümpfe helfen einander über
Hindernis Nr. 10: Die Schlümpfe helfen einander über "die perfekte Welle" © (c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Michael Riedler)

Nach diesem Hindernis ist bereits mehr als die Hälfte des Grazathlons geschafft, und geschafft bin auch ich – zumal es nach dem Tummelpatz wieder bergauf geht, die Burggasse hinauf zum Stadtpark. Die Strecke führt vorbei am Promenaden Café und dem Parkhouse, wo die Leute ihre zufriedenen Gesichter in die Abendsonne halten, ihre mit Flip Flops „beschuhten“ Beine ausstrecken und eiskalten Aperolspritzer genießen. Beneide ich sie um ihren faulen Nachmittag? Nein! Ganz ehrlich und ohne jede Ironie: Ich bin stolz, mich schwitzend, gatschig und hechelnd an ihnen vorbeischleppen zu dürfen, denn in der Sonne Aperolspritzer zu trinken ist keine besondere Herausforderung – der ich mich im übrigen heuer wohl noch ein paar Mal stellen werde –, doch der Grazathlon ist das sehr wohl, und er findet nur einmal im Jahr statt. Wie auch die Marathonläuferin Kathrine Switzer sagt: "Das Leben ist zum Mitmachen da, nicht zum Zuschauen."

Wenngleich jetzt der fadere Teil der Strecke bevorsteht: Denn während auf den ersten Kilometern immer viele Teilnehmer und Zuseher um mich herum gewesen sind, bin ich jetzt meist alleine. Ich singe mir zur Motivation jene Lieder vor, die mir beim Laufen normalerweise meine iPhone-Kopfhörer ins Ohr dudeln und bin richtig erfreut, als endlich Hindernis Nummer 12, „4 gewinnt“ in Sicht ist. Freundliche Promotion Mädels bieten uns vorm Hindernis Knäckebrot an – nett gemeint, aber unsere ausgetrockneten Kehlen lechzen vielmehr nach Wasser.

Beim Hindernis „4 gewinnt“ ist besonders viel Teamwork gefragt. Nur wenige können die vier hohen Holzwände ganz alleine überklettern - die meisten nutzen nicht nur die Absperrungen am Rand als Stütze, sondern machen sich gegenseitig die Räuberleiter. Bei diesem Hindernis wird, wie auch schon bei der „perfekten Welle“, in besonderem Ausmaß das spürbar, was den Grazathlon so besonders macht: der Teamgeist. Für die meisten geht es beim Grazathlon nicht darum, als Einzelkämpfer eine neue Bestzeit aufzustellen, sondern darum, gemeinsam durchzukommen, sich gegenseitig zu helfen, dabei Spaß zu haben. Miteinander statt gegeneinander.

Hindernis Nr. 12:
Hindernis Nr. 12: "4 gewinnt" © (c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Michael Riedler)

Nach „4 gewinnt“ geht es dann auch schon zurück Richtung Augartenpark, in dem uns jubelnde Zuschauer erwarten und anfeuern. Die letzte wirkliche Herausforderung stellt für mich das „Monkeyland“ dar: Hier muss man sich – affengleich - in drei Metern Höhe an einer Stahl-Konstruktion entlanghanteln – und das über eine Stecke von acht Metern Länge. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es eine ziemlich fiese Änderung: Unter den Stangen befindet sich nun ebenfalls ein riesiger Gatschcontainer. Aus dem Vorjahr habe ich in Erinnerung, dass es deutlich leichter ist, sich außen an den geraden Stangen entlangzuhanteln, und nicht an den inneren, diagonalen Stangen. Nach sechs Metern merke ich jedoch, dass meine Kräfte schwinden und ich immer langsamer werde, und ich entschließe mich für den Sprung in den warmen Gatsch, um Zeit zu sparen.

Hindernis Nr. 14: Monkeyland
Hindernis Nr. 14: Monkeyland © (c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Harald Steiner)

Danach kommt eigentlich schon fast der Endspurt: Noch wenige Meter und zwei Hindernisse sind zu überwinden, bis ich nach einer Stunde und 33 Minuten schließlich im Zielbereich ankomme: Vor Dreck strotzend – aber auch vor Stolz und Freude. „Beat the city“, lautet der Slogan vom Grazathlon. Und ja, ich habe die Stadt besiegt. Bestimmt nicht zum letzten Mal. Ich freue mich auf den Grazathlon 2016. Nach dem Lauf ist vor dem Lauf.

Der wohlverdiente Abschluss dieses Tages
Der wohlverdiente Abschluss dieses Tages © Erich Schicker

Das Kleine.TV-Team der Kleinen Zeitung hat die Highlights des Grazathlons auch in einem Video zusammengefasst: