Ein Lapsus, eine kleine Panne hat vielen Athleten schon mehrmals einen sicher geglaubten Sieg geraubt. Und zuvor deren Nerven. Auf der 16, einem Par 3 des Muirfield-Village-Kurses, beim Memorial Tournament in Dublin (US-Bundesstaat Ohio) lochte Jon Rahm aus undankbarer Position zum Birdie ein. „Das war wahrscheinlich der beste Chip meiner Karriere“, so der Sieger im Anschluss an seine 75er-Finalrunde. Die Freude währte jedoch nur kurz: Beim Ansprechen bewegte sich Rahms Ball leicht. Die logische Konsequenz? Zwei Strafschläge, aus dem Birdie wurde ein Bogey.

Doch der 25-jährige Baske, dem Nerven aus Stahl nachgesagt werden, zeigte nicht den Hauch einer Regung. „Leider musste es bei einem so großartigen Schlag passieren“, sagte der Golfer des Jahres auf der European Tour des vergangenen Jahres. Seinen Vorsprung gab Rahm, trotz der eher schwachen Schlussrunde, allerdings nicht mehr aus der Hand. Er gewann das Turnier vor Ryan Palmer, und der Spanier löste mit diesem Erfolg Rory McIlroy als Golfprimus ab. Rahm sorgte damit für ein rundes Bild seiner bis dato makellosen Karriere.

Als erster Iberer seit Golfikone Severiano Ballesteros hat Rahm nun die Spitze der Weltrangliste erobert. Sein Landsmann führte dieses Ranking zwischen 1986 und 1989 für insgesamt 61 Wochen an. Als erster Golfer an der Spitze der Weltrangliste, die 1986 eingeführt worden ist, ging Bernhard Langer in die Geschichte ein. Rekordhalter ist übrigens US-Superstar Tiger Woods, der nicht weniger als 683 Wochen auf Platz eins gereiht worden ist.

Ohne Englisch-Kenntnisse in die USA

Damit erfüllte sich ein Traum: „Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll“, so ein emotionaler Sieger. „Das war mein Ziel, seit ich 13 Jahre alt war. Seve ist ein sehr besonderer Spieler für uns alle, und der Zweite nach ihm zu sein, ist eine wahre Ehre.“ Der Spanier mit Schweizer Vorfahren schlug seinen unvergleichlichen Weg über das College-Golf ein. Als Teenager übersiedelte er in die USA, gänzlich ohne Englisch-Kenntnisse, begann unter der Schirmherrschaft der Arizona State University Turniere zu gewinnen.

Innerhalb kürzester Zeit avancierte er zum Profi und ist der weltweit erst dritte Spieler (nach McIlroy und Jordan Spieth), der sowohl bei Amateuren wie Profis die Spitzenposition der Weltrangliste bekleiden konnte. Aus seiner Vita stechen die beiden Siege bei den Dubai World Championships 2017 und 2019 hervor, dem Abschluss-Turnier der European Tour. Die breite internationale Golfbühne nahm jedoch spätestens 2016 von ihm Notiz – als er beim Ryder Cup in Frankreich am Schlusstag keinen Geringeren als Tiger Woods in die Knie gezwungen hatte.

Xbox als Belohnung

All diese Erfolge ändern nichts an der Bescheidenheit des Spaniers. Sein Karrierepreisgeld ist mittlerweile auf opulente 18,1 Millionen US-Dollar angewachsen. Allein 2020 wurden bereits 3,68 Millionen Dollar auf sein Konto gespült. Doch Geld sah Rahm nie als Antrieb – wie viele andere große Sportler. Nach einem Turniersieg 2019 etwa gönnte er sich lediglich eine Xbox-Spielekonsole.

Für ihn sei es einzig und allein wichtig, „dass sich meine Familie nie mehr um solche Probleme sorgen“ müsse. Nicht nur aufgrund der fehlenden Zuschauer schien die Freude an diesem historischen Sieg gedämpft. Der ansonsten so emotionale Rahm wirkte nachdenklich. Zwei seiner Familienmitglieder verstarben an den Folgen von Covid-19. „Es ist gerade schwer, das alles zu verarbeiten“, erklärte Rahm. „Es gehen mir so viele Dinge durch den Kopf, die nichts mit Golf zu tun zu haben.“

Ryder-Cup-Sieg, Weltranglistenerster, vier PGA-Tour-Erfolge – um endgültig der Liga der Größten anzugehören, benötigt Rahm allerdings einen Major-Triumph. Die Nerven dazu sollten ihm nicht fehlen.