Lino Cervar, Trainer und Psychologe des kroatischen Nationalteams, zweifacher Olympiasieger, Weltmeister und Familienmensch. Sein Leben gehört dem Handball - und ein Ende seiner Erfolgsgeschichte ist nicht in Sicht. Jetzt will er in Österreich EM-Gold holen.

Herr Cervar, sie waren Anfang der 90er-Jahre eine Zeit lang in Klagenfurt als Trainer beschäftigt. Was verbinden Sie heute noch mit Österreich?

LINO CERVAR. Dieses Land wird für mich immer etwas Besonderes bleiben. Ich mag die Mentalität der Leute. Sie konzentrieren sich auf sich. Darum hat man hier noch ein Privatleben. In Italien, wo ich sieben Jahre Teamchef war, ist das anders. Ständig heißt es Bla-Bla-Bla und jeder will alles vom anderen wissen. Mir ist mein Privatleben aber wichtig.

Was treibt Sie eigentlich an?

CERVAR: Als ich in Klagenfurt Trainer war, hätte ich nie gedacht, dass ich einmal Weltmeister oder gar Olympiasieger werde. Ich kann zwar sehr zufrieden sein, aber ich liebe es immer noch, zu gewinnen - und bin noch lange nicht satt. Erst wenn ich diesen Willen nicht mehr habe, ist meine Karriere zu Ende.

Eine Niederlage wie im Finale der Heim-WM 2009, kann Sie aber nicht zum Rücktritt treiben?

CERVAR: Niederlagen sind wichtig. Auch wenn wir dieses Finale hätten gewinnen können, war es sehr lehrreich. Man muss nach Niederlagen Größe zeigen. Wenn man im Leben immer nur gewinnt, ist das auch nicht gut.

Am Spielfeldrand sind Sie ein Mann großer Gesten, fast schon so, als ob Sie dirigieren würden . . .

CERVAR: Ein Trainer ist eigentlich wie ein Dirigent, nur besteht das Orchester aus 16 Spielern mit 16 verschiedenen Mentalitäten. Ich bin eben sehr emotional, wenn ich am Spielfeldrand stehe.

Schlägt das auf Dauer nicht auf die Gesundheit?

CERVAR. In Italien habe ich einmal den Arzt gefragt, ob ich zu Gunsten meiner Gesundheit aufhören sollte. Er hat nur gesagt: ,Nein, Lino, du musst immer so bleiben. Wenn du nämlich deine Gewohnheiten änderst, dann bekommst du gesundheitliche Probleme. Du bist ein Mensch, der immer Vollgas geben muss.'

Auch zu Hause?

CERVAR: Meine Familie ist mein Ausgleich. Da bin ich ganz anders, viel ruhiger.

Ist das kroatische Nationalteam mit seinen vielen Stars besonders schwer zu dirigieren?

CERVAR. Ich habe diese Spieler ins Team geholt, als sie noch unbekannt waren. Daher ist es für mich leicht, weil ich sie einfach schon lange kenne. Balic ist auf dem Feld meine rechte Hand.

Aber der Boss ist ausnahmslos Lino Cervar?

CERVAR. Der Trainer muss immer der Chef sein und einen Plan haben. Die Spieler müssen ihn dann annehmen und umsetzen.

Was rechnen Sie sich bei dieser EM aus?

CERVAR: Wir haben vielleicht nicht das beste Team, trotzdem können wir gewinnen. Wenn du die besten Spieler hast, ist es leicht zu siegen. Wir sind wie David - und der hat Goliath bezwungen. Das ist die wahre Kunst im Sport.

Warum hinkt Österreich im Mannschaftssport hinten nach?

CERVAR: Ich denke, dass der Österreicher von der Mentalität her ein Einzelsportler ist. In Österreich ist es daher besonders wichtig, dass ein Trainer mit dieser Mentalität arbeitet. Er muss in den ,Kopf der Spieler kommen', ein guter Psychologe sein.

Arbeiten Sie mit Psychologen zusammen?

CERVAR: Früher hatte ich einen in meinem Team. Aber ich habe erkannt, dass der Trainer der erste Psychologe sein muss.

Nach einem Abstecher in die Politik haben Sie ihr Amt im kroatischen Parlament wieder zurückgelegt. Warum?

CERVAR: In diesen vier Jahren habe ich gesehen, dass ich im Sport besser aufgehoben bin, weil die Menschen dort zusammen arbeiten. In der Politik nicht, da ist es einmal so und dann wieder so. Im Sport gibt es die reine Wahrheit - das Ergebnis ist die Realität.