Lars Christiansen ist mit 338 Länderspielen und 1503 Toren Dänemarks Rekordhandballer und ein Volksheld. Mit seinem vorzeitigen Karriereende und dem Buch "Når sandheden skal frem" (Wenn die Wahrheit ans Licht kommen muss), in dem er offen mit seiner Burnout-Erkrankung umgeht, hat er für Aufsehen gesorgt.

Wie waren die Reaktionen auf das Buch?

LARS CHRISTIANSEN: Es war für viele eine sehr große Überraschung. Alle dachten, dieser große Handballer, dem kann nie etwas passieren, der hat doch ein perfektes Leben.

Wie merkten Sie, dass etwas nicht stimmt?

CHRISTIANSEN: Ein Freund ist an einer Gehirnblutung gestorben und fast gleichzeitig ein Jugendspieler auf dem Feld an einem Herzinfarkt. Am Montag danach ging es mir perfekt und auf einmal wurde ich im Training hart getroffen. Ich fiel hin und dachte, jetzt muss ich sterben.

Wie wirkte sich das Burnout bei Ihnen aus?

CHRISTIANSEN: Ich war körperlich top. Und auf einmal hatte ich nur noch die Hälfte meiner Kraft. Ich konnte mich nicht wiedererkennen. Es waren zwei sehr harte Jahre. Alles wurde plötzlich schwarz und schrecklich.

Sind Burnouts und Depressionen im Sport ein Tabu?

CHRISTIANSEN: In so einer maskulinen Sportart spricht man nicht über so etwas. Für mich ist es keine Schwäche, ich finde es gut, wenn man es anspricht. Darum ist auch das Buch erschienen. Quasi: Wenn das ihm passieren kann und er spricht darüber so offen, dann muss ich mich nicht dafür schämen.

Ein anders Tabu-Thema ist Homosexualität. Der deutsche Ex-Fußballer Thomas Hitzlsberger hat zuletzt mit seinem Outing überrascht . . .

CHRISTIANSEN: Ich habe mich immer gefragt: Bin ich ein großer Fehler? Und ich kann mir vorstellen, dass es auch Homosexuellen so geht. In der Gesellschaft wird es leider noch immer als "anders" angesehen. Ich denke, wenn man es ausgesprochen hat, fällt einem eine sehr große Last von den Schultern. Vielleicht bekommt man dadurch ein paar Feinde und es wird öffentlich diskutiert, aber nach einer gewissen Zeit wird es akzeptiert.

Ist der Sport zu sehr "Macho"?

CHRISTIANSEN: Ja. Alle glauben, dass dieser maskuline Typ nie unten sein kann. So ist es im gesamten Männersport, denken ich. Da zeigt man keine Schwäche. Es sollte sich aber niemand schämen. Darum denke ich mir, dass es Hitzlsperger geholfen hat. Egal, was die anderen denken. Es ist ja sein Leben und er hat sicher lange überlegt.

Haben Sie in dieser Zeit Hilfe in Anspruch genommen?

CHRISTIANSEN: Ja. Ich hatte noch ein Jahr zu spielen und die ständige Angst zu sterben. Ich wusste, dass ich damit nicht selber klar komme und Hilfe brauche. Ich habe eineinhalb Jahre mit einem Psychologen gesprochen. Einmal saß ich im Auto, mir war warm und schlecht und ich dachte, dass ich jetzt sofort sterbe.

Wie wirkte sich das Burnout auf Ihre Karriere aus?

CHRISTIANSEN: Eine Woche vor der EM in Serbien 2012 war ich kurz davor, nicht mitzufahren. Aber das wäre das erste Mal in meinem Leben gewesen, dass ich aufgegeben hätte. Von meinen Problemen hab ich niemandem etwas gesagt, weil es vielleicht wie eine Ausrede gewirkt hätten, wenn ich nicht gut gespielt hätte. Und dann sind wir Europameister geworden.

Und Sie waren in einem Tief?

CHRISTIANSEN: Mitten drin. Wir haben Serbien in Serbien geschlagen, Millionen Dänen vor dem Fernseher und ich sollte die Schale in die Höhe stemmen und ich dachte nur: Was zum Teufel mache ich hier? Ich wäre viel lieber zu Hause unter der Bettdecke gewesen. An dem Tag habe ich beschlossen, dass ich aufhöre.

Aber Sie spielten noch fast ein halbes Jahr weiter.

CHRISTIANSEN: Insgesamt wussten es vielleicht acht Leute und ich habe es in den letzten vier Monaten immer mehr genossen, zu wissen, dass es bald vorbei ist. Am Tag nach meinem letzten Spiel habe ich zu einer Pressekonferenz eingeladen und ich habe zum erste Mal von meiner Situation erzählt.

Haben Sie es jemals bereut, aufgehört zu haben?

CHRISTIANSEN: Kein einziges Mal. Beim ersten EM-Spiel hier war es sehr schön, die Hymne zu hören. Einmal in Dänemark in die Halle zu gehen, das hätte mir gefallen. Zu spielen? Nein.

Sind Sie jetzt glücklich?

CHRISTIANSEN: Das bin ich. Diese zwei Jahre waren die Hölle für mich. Ich war immer als fröhlicher Mensch bekannt und plötzlich war das Bild, das ich im Spiegel sah, nicht fröhlich. Ich war müde und völlig fertig. Dann haben ich mir einen kleinen Zettel an das Bett gehängt auf dem stand: Ich will wieder glücklich sein. Das war mein Ziel.

Was raten Sie einem Menschen, dem es nicht gut geht?

CHRISTIANSEN: Suche Hilfe und gehe offen damit um. Mir hat es auf jeden Fall geholfen. Offenheit, Ehrlichkeit und mit den Menschen sprechen, die einem nahe sind. Seid eine Mannschaft, wie ihr es auch im Sport seid.