Vor einem halben Jahr machte sich unter Journalistinnen und Journalisten Unmut breit. Musste man sich diese Olympischen Spiele, bei denen man wegen der strengen Bestimmungen nichts von der Stadt sehen würde, wirklich antun? 14 Tage lang durfte man sich zum Infektionsschutz nur in einem Korridor zwischen Hotel, Wettkampfstätten und Pressezentrum bewegen. Das gewohnte Arbeiten bei Olympia, wo man auch über die Gesellschaft außerhalb der Spielstätten berichtet, wurde unmöglich. So blieben viele Reporter lieber daheim.

Tatsächlich wurden die Sommerspiele von Tokio zur wohl bis dato deprimierendsten Olympiaausgabe: Nicht nur konnten die angereisten Medienschaffenden keine Stimmung außerhalb der Blase einfangen. Selbst wenn sie es gedurft hätten, wären sie kaum fündig geworden. Japan befand sich pandemiebedingt im Ausnahmezustand, fast alle Stadien blieben zuschauerleer. Olympia war nur ein TV-Event. Von der globalen Party, als die sich die Riesenveranstaltung gerne ausgibt, war nichts zu spüren.

Jetzt würden sich viele Journalisten wünschen, die nächsten Spiele wären bloß ein bisschen wie Tokio. Am 4. Februar beginnen die Winterspiele in der chinesischen Hauptstadt Peking. Was die Strenge angeht, stellen sie jene von Japan in den Schatten. Während des Aufenthalts in Peking dürfen sich Sportler, Offizielle und Reporter nur im „Closed Loop“ zwischen zugeteilter Unterbringung, Wettkampfstätte und wenigen weiteren Orten bewegen. Die Frage nach Zuschauern ist noch ungeklärt. Wer Kontakt mit einer positiv getesteten Person hatte, muss bis zu 21 Tage in Quarantäne.

Besonders hart sind die Vorschriften für Vertreter der Medien. Selbst Reporter, die auch für die erst im März startenden Paralympischen Spiele bleiben, dürfen die Olympiablase nicht verlassen. Dabei interessiert nicht, ob man geboostert ist und dauergetestet wird – das wird ohnehin erwartet. In Peking werden Reporter zu keinem Zeitpunkt mit der Bevölkerung in Kontakt kommen. So wird im Gegensatz zu den ebenfalls kontroversen Sommerspielen in Tokio also verborgen bleiben, wie die chinesische Bevölkerung über „Beijing 2022“ denkt.

Blickt man allein auf die Lage der Pandemie, gibt es für die strengen Regeln kaum Rechtfertigung. Die pandemische Lage in China war zuletzt wesentlich günstiger als jene letzten Sommer in Japan. Mehr als 2,8 Milliarden Dosen sind verimpft – genug, um jede Person zweimal zu impfen. Chinas 7-Tage-Inzidenz liegt derzeit beim beneidenswert niedrigen Wert von 0,1. Die strengen Regeln bestanden zudem schon vor dem Aufkommen der Omikron-Variante. Und wer die größte und internationalste Sportveranstaltung der Welt inmitten einer Pandemie abhalten will, der hat offenbar kein grundsätzliches Problem mit Reiseaktivität und hygienisch reguliertem Personenkontakt.

Die Regularien sind offensichtlich politisch motiviert: Wie andere Gastgeber zuvor will auch die chinesische Regierung Olympia nutzen, um positiv dazustehen. Da kann das Organisationskomitee kritische oder auch nur allzu neugierige Berichterstattung nicht gebrauchen. Das Land, in dem der erste Covid-19-Fall registriert wurde, hat sich schon als wenig kooperativ gezeigt, als Vertreter der Weltgesundheitsorganisation vor Ort nach den Ursprüngen des Virus suchen wollten. Und Olympia ist nun ein Anlass, der bei noch viel mehr Themen als die Pandemie für schlechte PR sorgen könnte.

Da ist nicht nur die Frage, wie China generell mit unbequemen Stimmen umgeht. Die Tennisspielerin Peng Shuai verschwand Ende letzten Jahres von der Bildfläche, nachdem sie ein hohes Mitglied von Chinas Kommunistischer Partei der Vergewaltigung beschuldigt hatte. Anfang des Jahres musste nun mit „Citizen News“ ein weiteres Medium in Hongkong schließen – in der einst autonomen britischen Ex-Kolonie wurden mit einem Sicherheitsgesetz vor eineinhalb Jahren alle möglichen demokratischen Strukturen abgeschafft. Dann ist da noch der Umgang mit den im Nordwesten lebenden muslimischen Uiguren, die von der Regierung verfolgt und unterdrückt werden.

Die Liste von Menschenrechtsverletzungen in China ist lang. Entsprechend streng sind die Maßnahmen, um zu vermeiden, dass hierüber während der Spiele gesprochen wird. Dabei ist „Beijing 2022“ ohnehin längst von Politik überschattet. Mehrere Staaten haben einen diplomatischen Boykott beschlossen. Sogar aus der Wirtschaft ist mittlerweile laute Kritik an Chinas Umgang mit Menschenrechten zu hören. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) dagegen, das Olympia gern als Völker verbindendes Element darstellt, hat mit all dem wenig Probleme. Daraufhin hat die Menschrechtsorganisation „Human Rights Watch“ Anfang der Woche gefordert, IOC-Chef Thomas Bach möge zurücktreten. Denn die größte Sportorganisation der Welt brauche Menschen an der Spitze, für die Menschenrechte etwas zählen.