Worauf kommt es eigentlich an: Kraft, Technik, Tempo oder doch Material? Wir sprechen klarerweise übers Eierpecken.
LUKAS WEISSHAIDINGER: Wie beim Diskuswerfen auf eine Mischung aus allem, würde ich einmal sagen. Was bringt die beste Technik, wenn du keine Kraft hast? Was bringt die beste Kraft, wenn du keine Zielgenauigkeit hast?

Wie viele Ostereier können Sie verdrücken?
Ich kann so viele Eier essen, wie ich gewinne (lacht). Von dem her habe ich schon ein paar Vorteile. Aber es gehen schon ein paar weg. Im Kraftaufbau braucht man schon viel. Aber bei technischen Einheiten ist ein voller Magen nicht das Wahre.

Wie viel müssen Sie bei so einem Körper am Tag eigentlich zu sich nehmen?
Ich esse eigentlich relativ normal und den Rest erledige ich über Nahrungsergänzung. Aber natürlich ist es ein bisschen mehr und nicht mit Portionen eines Läufers zu vergleichen. Es würde nichts bringen, 50 Schnitzel zu essen. Nahrungsergänzung wird oft schlecht geredet, aber ich finde das für den Körper gut. Außerdem: Wenn ich am Tag wirklich 30 Eier essen müsste, würde ich mich übergeben. Das hätte auch keinen Sinn. Wir haben auf Teneriffa ein recht gutes Hotel mit guten Omelettes erwischt. Da habe ich mir in der Früh gleich zwei bis drei zum Leidwesen der anderen Gäste herrichten lassen. Die müssen dann warten. Aber es schmeckt.

Wo können Sie kulinarisch nicht Nein sagen?
Ich mag sehr viel und da sticht nichts speziell heraus. Aber was auf jeden Fall meine Leibspeise ist: Wiener Schnitzel mit Kartoffelpüree. Meine Oma kommt aus Ungarn und die haben sehr viel mit Erdäpfeln gemacht.

Und wie sieht es mit Sushi aus?
Da bin ich ein brutaler Liebhaber. Aber eigentlich nur die mit Reis und Lachs.

Dann ist es klar, wo es heuer hingeht?
Auf alle Fälle. Ich hoffe, dass wir die Möglichkeit dazu bekommen.

Wie sieht es vom Gefühl her aus?
Sehr gut. Auch wenn alle sehr vorsichtig sind, denke ich, dass es sehr sicher ist. Ich bin überzeugt davon, dass es stattfinden wird. Die Frage wird nur sein, ob sie einen selbst in den Flieger lassen. Das ist für mich das größere Fragezeichen.

Machen Sie sich da viele Gedanken?
Sehr viele. Das kann man ja nicht berechnen und man kann Eventualitäten nicht selbst aus dem Weg schaffen. Wenn man dann in absoluter Topform ist und nicht in den Flieger einsteigen darf, ist es das "Worst-Case-Szenario". Auf der anderen Seite macht es das Ganze auch nicht einfacher, dass die meisten meiner Konkurrenten schon geimpft sind.

Das schmerzt?
Ja. Ich sehe im Kopf meinen Konkurrenten, der schön entspannt im Flieger sitzt, vielleicht mit einem guten Orangensaft in der Hand. Und man selbst schwitzt und der letzte Test vor dem Abflug wird schon zum Wettkampf. Da schüttest du das Adrenalin schon aus und bist heilfroh, dass man überhaupt in Tokio ist. Da hat man vielleicht keine Kraft oder kein Adrenalin mehr für den Wettkampf. Da ist eine Ungleichheit, die ich nicht in Ordnung finde. Das Problem, dass manche trainieren konnten und andere nicht, hatten wir schon im Vorjahr. Aber jetzt können einige sehr entspannt trainieren und haben weniger zu befürchten.

Würden Sie die Impfung nehmen?
Natürlich.

Und wie sieht es da aus?
Man hört immer wieder, dass eine Chance besteht, dass wir bis Ende Juni geimpft werden. Aber das ist mir ganz ehrlich zu spät. Da würde ich mich nicht mehr impfen lassen.

Warum?
Der Virus würde einen sicher weiter zurückhauen als die Impfung oder Nachwirkungen. Aber im Juni habe ich Wettkämpfe und da ist es wichtig, dass ich Selbstvertrauen sammle und mir nicht aufgrund der Nachwirkungen eine Watsch'n abhole. Die Impfung gibt dir eine gewisse Sicherheit. Die Chance steigt, an den Spielen teilzunehmen. Da kann man entspannter zu Trainingslagern oder anderen Wettkämpfen fahren. Bei der Hallen-EM hat man ja gesehen, wie schnell es gehen kann mit einem Cluster.

Sie fürchten nicht, dass Olympia überhaupt stattfindet?
Die Gefahr für mich ist nicht, dass die Spiele nicht stattfinden. Das wird ein Hochsicherheitstrakt für die Sportler. Da werden wir mit den Ohrwascheln wackeln, bei dem Sicherheitskonzept. Dort wird sich keiner anstecken. Das Problem ist davor, dass man sich bei Trainingslagern oder auf Reisen ansteckt. Eine Impfung im Juni ist eh lieb und recht, aber die entscheidende Zeit ist jetzt.

Sie haben gerade in Teneriffa den zweiten Trainingsblock abgeschlossen. Wie sieht es nun aus?
Jetzt kommt die Zeit, in der man die flinken Beine bekommt und wo man die Umfänge macht, dass man die Wettkämpfe durchsteht. Das ist eine wichtige Phase, in der wir viel Wärme brauchen. Jeder kennt es: Wenn es kalt ist, will man sich draußen nicht auch noch sehr schnell bewegen und daher muss man jetzt auch auf Trainingslager fahren. Im letzten Trainingslager hatte ich gut 600 Würfe. Jetzt arbeiten wir dann an der Wurfleistung und die kommenden drei Wochen sind die entscheidenden. Dann kommt langsam die Form.  

Sie setzen im Training auf biomechanische Kameras. Kann man einen alten Fuchs wie Sie überhaupt noch umstellen?
Man hat natürlich ein Grundgerüst, aber wie so oft im Leben sind es die kleinen Rädchen, die entscheiden. In meinem Fall über die Weite. Gregor (Trainer Gregor Högler Anm.) hat das einmal gesagt: Der Unterschied zwischen einem guten Wurf und einem perfekten ist wie der Unterschied zwischen einem Glühwürmchen und einem Blitz. Wenn man an den kleinen Rädchen schraubt, kann man irrsinnig viel bewegen, aber das ist auch der aufwändigste Teil. Die letzten Zentimeter herauszuholen, ist das Schwierigste und braucht die meiste Substanz und das meiste Wissen. Daher ist die Biomechanik ein entscheidender Teil, um diese Sachen herauszufinden.

Was kann man sich darunter vorstellen?
Die Menschen denken, dass einer die Kamera hinhält und ein Computer sagt einem dann, was man für den perfekten Wurf machen muss. Aber so ist das nicht. Man muss einmal die richtigen Fragen stellen. Wenn man die hat, kann man aus den Zahlen herauslesen, was entscheidend ist. Da ist es auch wichtig, dass man draußen wirft und die Flugphase auch sieht. Da bringt es nichts, wenn man in ein Netz wirft. Viele Menschen denken, dass wenn einer eine Bestweite von 68 Metern hat, er immer so weit wirft. Aber die meiste Zeit des Jahres wirft man unter 65 Meter.

Wie wird aus einem Glühwürmchen der Blitz?
Letzten Endes mache ich das schon ein paar Jahre und weiß, was sich gut und richtig anfühlt. Aber es kommt eben auf die Kleinigkeiten an und die versuchen wir noch herauszufinden. Es ist schon interessant, dass ein weiter Wurf eigentlich ein sehr lockerer ist. Ein Wurf mit sehr wenig Aufwand. Und da sind wir wieder beim Blitz: Es ist nicht entscheidend, dass man die ganze Zeit andrückt, sondern in den entscheidenden Phasen. Die Kunst ist es dann, genau das auch bei Olympia, genau an diesem Tag vor vielleicht 50.000 Zusehern so locker zu machen.

Macht das dann die Großen aus?
Der am Ende am lockersten oder am entspanntesten drauf ist, kann gewinnen.

Ihnen fehlen 1,02 Meter auf die 70-Meter-Marke. Das klingt eigentlich nicht nach viel. Wie viel ist es wirklich?
Uns fehlt 1 Prozent Abwurfgeschwindigkeit, um zu gewinnen. Aber da brauche ich den perfekten Wurf und zu dem gehört auch der mentale Teil. Da ist es gut, wenn man das ganze Jahr fokussiert sein kann und nicht immer durch Nebengeräusche aus der Bahn geworfen wird. Etwa, wenn man sich immer wieder fragt, ob man es überhaupt in den Flieger nach Tokio schafft. Viele denken, wir drehen uns eineinhalbmal im Kreis und werfen einfach eine Scheibe raus. Aber es sind die Besten am Start und da muss man schon ein bisschen mehr tun. Da muss alles passen.

Wie schwer war es für Sie, im Jahr 2020 fokussiert zu bleiben?
Ich sage immer: Ich werfe dann weit, wenn ich weit werfen muss. Nach der Absage von Olympia musste ich das nicht mehr. Ein Wurf von mehr als 65 Metern ist nichts, das man dann einfach so abbeuteln kann im Körper. Der kostet physisch und mental Substanz und da muss man auch haushalten. Ich hatte keine Lust darauf, mich so vorzubereiten, als wäre es ein olympisches Jahr, wenn am Ende nichts dabei herausschaut.

Sie haben gehadert?
Natürlich hat dann auch ein wenig das Mentale gefehlt. Ich habe relativ schnell die Spannung verloren, weil ich wusste, dass keine großen Wettkämpfe mehr sind. Auch wenn ich vom Körper her sicher 68 Meter draufgehabt hätte, habe ich dann nur 63, 64 Meter geworfen. Ich habe dann auch öfters mit meiner Nichte "Uno" gespielt und mir war es wurscht, wenn ich verloren habe. Da war ich von mir selbst ein wenig schockiert, weil ich bin eigentlich ein schlechter Verlierer. Ich habe einmal gehört, dass es ein "Sieger-Gen" gibt. Wenn ich nicht um den Sieg oder eine Medaille mitkämpfen kann, dann habe ich keine Lust.

Aber der Hunger ist wieder da?
Als ich mit der Vorbereitung für Olympia begonnen habe, war wieder ein ganz anderer Zug da. Zum Leidwesen meiner Nichte schaue ich jetzt auch, dass ich wieder beim "Uno" gewinne. Wenn es mir egal ist, ob ich gewinne oder verliere, höre ich mit dem Sport auf und das macht mich auch aus.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn der Diskus nicht wäre?
Es wurde lange überlegt, ob ich die Maschinenbaufirma einmal übernehme und ich habe auch eine Lehre zum Maschinenbaukonstrukteur gemacht. Da habe ich aber schon nebenbei gesportelt und es ist auch kein Beruf, den ich in Zukunft ausüben möchte. Ich sage es einmal so: Ich wäre kein guter Maschinenbauer.

Was werden Sie dann nach der Karriere machen?
Eines von den Zielen, die man im Leben haben sollte, ist, dass man sein Wissen weitergibt. Nachdem ich der einzige männliche Leichtathlet bin, der eine Medaille bei einer WM gemacht hat, glaube ich schon, dass ich das eine oder andere Wissen habe, das ich der nächsten Generation weitergeben kann.

Dazu braucht es auch Nachwuchs. Was ist am Diskuswerfen cool?
Ich promote nicht gerne das Diskuswerfen, sondern lieber die Leichtathletik. In vielen anderen Sportarten kommt es sehr auf das Material an. Aber in der Leichtathletik ist der Mensch die Variable. 100 Meter werden immer 100 Meter bleiben und der Diskus wird immer 2 Kilogramm wiegen. Da ist es interessant, dass nicht der beste Diskus oder Speer gewinnt, sondern der Mensch. Es geht darum, den Körper zu Höchstleistungen und an die Grenze zu bringen und das fasziniert mich.

Treibt Sie das an?
Ich weiß nicht, wie weit ich imstande bin, einen Diskus zu werfen. Irgendwann werde ich das wissen. Bis es so weit ist, werde ich weiterarbeiten.

Schauen Sie beim Training im Stadion nie auf andere Athleten, etwa Läufer, und denken sich "nicht schon wieder Diskus"?
Der Steinmetz haut auch 1000 Mal auf einen Stein hin und beim 1001. Mal bricht er. Es ist was Schönes, wenn man am perfekten Wurf arbeiten kann. Und all die Trainingswürfe sind nur eine Vorbereitung auf den perfekten Wurf und allein, wenn ich davon erzähle, bekomme ich Gänsehaut. Ich will aus einer Disziplin das Maximum herausholen und deswegen wäre ich ein schlechter Mehrkämpfer.

Wenn Sie 600 Mal in einem Trainingslager den Diskus hinauswerfen, wer holt die?
Mein Trainer und ich. Da reden wir über die Würfe und schauen uns die Weiten an. Gregor hat Maschinenbau studiert und ich habe es gelernt. Da stehen zwei Techniker zusammen und der Gesprächsstoff geht uns nie aus. Wir können auch nach vier Wochen Trainingslager in einem Zimmer sitzen und werden noch die ganze Nacht über das Diskuswerfen philosophieren können. Die Physik ist etwas Schönes. Solange ich einen Stein fallen lassen kann und er fällt zu Boden, solange funktioniert die Physik und so lange brauche ich keine Angst zu haben. Denn ich weiß, dass mein Training funktioniert.

Wenn Sie wissen, wie die Technik funktioniert, werden Sie dann am Ostersonntag die Nichte beim Eierpecken dennoch gewinnen lassen?
Ich werde so viele Eier essen, bis ich oft genug gewonnen habe (lacht).

Aber nicht, dass Sie ihr keine übrig lassen . . .
Dann muss sie möglichst schnell gewinnen (lacht). Aber bei uns gibt es immer genug zu essen. Wenn man 150 Kilogramm hat, sieht man zwar so aus, als würde man sehr viel essen. Aber ich bin nicht der Schrecken der Schwiegereltern.