Das österreichische IOC-Mitglied Karl Stoss sagte, dass die Winterspiele nach Europa zurückkommen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, zu sterben. Wie sehen Sie das?
JUAN ANTONIO SAMARANCH:
Man muss sehr vorsichtig sein, wie man Dinge ausdrückt. Wir als IOC können nicht sagen, dass die Spiele nach Europa müssen. Wir haben auch gute Kandidaturen aus Calgary und Sapporo. Was stimmt: Manchmal haben wir Spiele, die neue Märkte erschließen, wie jetzt und 2022 in Asien. Da hat Wintersport dann einen neuen Stellenwert. Aber manchmal müssen sich die Spiele auch wieder Energie in traditionellen Ländern des Wintersports holen. So wie die Sommerspiele in London.

Das heißt?
Wir schätzen das Interesse vieler Städte an einer Austragung sehr - jetzt, wo die neuen Regeln in Kraft sind. Egal, ob diese Städte in Nordamerika oder Asien liegen. Aber ja: Es ist Zeit für die Winterspiele, wieder zu traditionellen Plätzen zurückzukehren.

Was bringen die neuen Regeln, die Agenda 2020?
Sie beinhaltet 118 Reformpunkte, die die Organisation vereinfachen, sodass weniger Kosten verursacht werden. Für die Sommerspiele in Tokio 2020 konnten so allein bei den Sportstätten 2,2 Milliarden Dollar gespart werden. Und in den letzten 20 Jahren wären Winterspiele so im Schnitt um 527 Millionen Dollar billiger gewesen!

Wissen Sie als IOC-Vizepräsident vom Interesse von Graz/Schladming für die Spiele 2026?
Wir hatten Gespräche, haben auch informell das wundervolle „Austria House“ besucht, mit vielen österreichischen Freunden gesprochen, natürlich auch mit meinem IOC-Kollegen Karl Stoss. Es ist für uns im Moment schwer zu beurteilen, in welcher Phase diese Idee ist. Wir wären wirklich sehr glücklich, wenn Gespräche aufgenommen würden, wenn wir helfen können, die neuen Vorgaben der Agenda 2020 verständlich zu machen und sie anzuwenden.

Hätten Sie Interesse an einer steirischen Kandidatur?
Wir wären hocherfreut. Österreich liefert hier eine unglaubliche Performance ab, ist eine Basis der Winterspiele. Wir tun, was immer wir von unserer Seite tun müssen, um dem ÖOC zu helfen, wenn eine Kandidatur abgegeben wird.

Das Konzept beinhaltet viele Orte, die Entfernungen sind groß. Gibt es da Grenzen?
Unsere drei Schlagwörter: Flexibilität, Zumutbarkeit und Nachhaltigkeit. Was heißt es denn, wenn die Athleten an unterschiedlichen Orten sind? Dass sie näher an den Wettkampfstätten sein würden. Ja, Sportler wollen bei Olympia andere Sportler treffen. Diese Möglichkeiten muss es geben, etwa bei der Eröffnungsfeier. Aber ein Konzept mit vielen Orten ist gut für die Leistung der Athleten, weil sie kurze Wege zum Wettkampf haben.

Samaranch zu Besuch im Österreich-Haus.
Samaranch zu Besuch im Österreich-Haus. © GEPA

Was sagen Sie zur Krise der olympischen Bewegung in Europa? Zu den negativen Abstimmungen in vielen Regionen?
Wir müssen die Entscheidungen und Referenden respektieren. Aber es würde den Spielen guttun, wenn wir nach Europa kommen, in die Alpen, in das Herz der Ski-Community. Es gibt auch keinen Zweifel daran, dass wir zurückkehren - nur wann ist die Frage. 2026, 2030 oder erst 2034? Das kann niemand sagen.

Sie fürchten sich also nicht davor, keine Kandidaten mehr im Alpenraum zu finden?
Klar ist, dass wir einen sehr guten Job machen müssen, um zu erklären, was wir tun. Schauen Sie es sich genau an: Olympia ist mit der Agenda 2020 nicht unzumutbar, es ist kein Risiko mehr für die Austragungsstadt, es ist keine Extravaganza mehr. Olympia ist eine verdammt gute Sache!

Bisher war auch die Phase der Kandidatur sehr teuer. Was hat sich geändert?
Man muss in der Bewerbung nicht mehr alle Fragen abarbeiten. Wenn etwa Orte schon Weltcups oder WM ausgetragen haben, was sollte dann bei Olympia nicht gehen? Wir wollen gezielter fragen, um den Wert des Gesamtprojektes zu erfahren. Die Phase der Kandidatur ist zudem auf zwölf Monate reduziert, das IOC schickt Experten, um Dinge wie Finanzen, Nachhaltigkeit und Transport zu behandeln, zu erarbeiten. Damit erspart man sich teure externe Berater. Mit einem Wort: Wir werden den Kandidaten nach Kräften helfen!

Wir hören, dass Austragungsorte vom IOC rund eine Milliarde Dollar bekommen. Stimmt das?
In etwa, ja. Für 2026 schätzen wir, dass wir 750 Millionen Dollar in bar beisteuern, insgesamt sogar 925 Millionen. Die Differenz ergibt sich aus den Sachleistungen, die wir einbringen, speziell Technik und Personal für die TV-Übertragungen. Zu all dem kommen noch die Einnahmen aus dem Ticketverkauf und lokale Sponsoren. Deswegen glauben wir, dass die Organisation der Spiele an sich in Zukunft Gewinn abwerfen wird.

ÖOC Präsident Karl Stoss gemeinsam mit Juan Antonio Samaranch.
ÖOC Präsident Karl Stoss gemeinsam mit Juan Antonio Samaranch. © GEPA

Wie viele Betten muss ein Austragungsort eigentlich zur Verfügung stellen?
Wir, also die Spiele, brauchen 22.000 Hotelbetten in diversen Kategorien. Dazu 3000 für Athleten, noch einmal so viele für Betreuer und ein wenig Reserve im olympischen Dorf, das macht also noch einmal rund 6500 Betten. Klar ist: Wir wollen nicht, dass die Dimension der Spiele weiter wächst. Und nach einem Zuschlag können wir das Programm nicht mehr einseitig ändern, da muss das OK immer zustimmen.

Welche Empfehlungen gibt es für die Infrastruktur? Hier in Korea soll allein der Hochgeschwindigkeitszug „KTX“ 15 Milliarden Dollar gekostet haben.
Da muss man aber fair bleiben: Der Zug soll sich in 40 Jahren amortisieren, nicht in den 17 Tagen der Spiele. Und das IOC braucht den Zug aus Seoul nicht für die Spiele. Wenn es um die Infrastruktur geht, ist das Sache der Stadt und des Landes, wie man die Langzeitplanung anlegt. Das IOC selbst braucht gar nichts Neues für Spiele.

Was empfehlen Sie den Kandidaten eigentlich?
Bei einem Workshop mit den möglichen Kandidaten Sion, Stockholm, Calgary und Sapporo haben wir gefragt: Haben Sie eine Vision für Ihre Stadt? Ihre Region? Für Sport? Für Jugend? Und wie und was können die Spiele zur Erfüllung dieser Vision beitragen? Passen Sie zu dieser Vision? Wenn dem so ist, dann: Los geht's! Sie bekommen dank einer Veranstaltung einen finanziellen Beitrag, eine Veranstaltung, die eine unglaubliche Plattform ist. Sie erlaubt, Dinge zu beschleunigen, Menschen zusammenzubringen und positive Energie zu generieren.