Nach Woche eins der Spiele in Pyeongchang: Wie fällt Ihre Bilanz aus?
KARL STOSS: Großartig, wir sind super auf Kurs! Wir sind Siebenter unter 96 Nationen im Medaillenspiegel mit neun Medaillen. Und es kann noch viel mehr drinnen sein.


Sind die Spiele hier in Korea so wie erwartet?
Man ist nicht mit übertriebenen Erwartungen hergekommen, es war klar, dass alles neu aufgebaut wurde. Aber: Es sind kompakte Spiele. Was die Wettkampfstätten betrifft, gibt es viele positive Stimmen. Was das Wetter betrifft, viele negative. Man hat gewusst, dass es windanfällig sein kann. Aber die Stärke hat auch die Koreaner überrascht.


Drei Spiele in Serie in Asien – ist Olympia nur noch in diesem Teil der Welt möglich?
Nein, das denke ich nicht. Wir werden bei den Bewerbungen, gerade für 2026, durchaus wieder andere Regionen sehen. Aus Nordamerika etwa, oder Sapporo. Aber ich denke, nach zwei Mal Asien im Winter kommt eine andere Region als Japan zum Zug. Ob es europäische Regionen schaffen, werden wir sehen.


Wohin geht die Tendenz?
Der große Wunsch, auch des IOC, wären Spiele in Europa. Nach drei eher sophistizierten Winterspielen in Sotschi, Pyeongchang und Peking ist die Sehnsucht noch viel größer, dorthin zu gehen, wo alles schon vorhanden ist.


Asien sieht Spiele als Leistungsschau im positiven Sinne. In Europa kann man mit dem Begriff „Olympische Spiele“ in der Bewerbungsphase kaum noch Positives verbinden. Woher kommt das Auseinanderdriften?
Bei uns ist in vielen Bereichen Sättigung eingetreten. Aber was soll bei uns noch wachsen? Das wird schon von der Bevölkerung her schwierig. In Asien ist das anders, da ist der größere Teil der Weltbevölkerung zu Hause. Diese Nationen zeigen ihren Stolz, auch bei den Spielen. Sie wollen sich nicht verstecken, sondern richtig auftragen. Sie investieren tüchtig in der Hoffnung auf neue Wintersportler. In China hat der Staatspräsident seine Vision mitgeteilt, bis 2021 an die 300 Millionen Wintersportler haben zu wollen – 60 Mal mehr als bisher. Das kann man sich bei uns kaum vorstellen, das ist ein Drittel von ganz Europa!


Das, was Asien für Olympia tut – Unsummen zu investieren –, ist aber genau das, was in Europa Unverständnis hervorruft.
Da würde ich mir ein Umdenken wünschen, speziell in Europa. Aber ja, wir haben alles schon: alle Sportstätten, die man für eine Austragung braucht. Man muss und kann uns oder Deutschland, der Schweiz und Italien, die Chance geben, das auch herzuzeigen.


Das liegt ja aber am IOC, oder?
Nein, das liegt an den Bewerbungen, da kann das IOC nichts dafür. Das sagt nur: Wir bieten die bestmögliche Flexibilität. Ein Beispiel: Würde sich Österreich um Olympia bewerben, dann wird vom Weltverband nicht verlangt, alle Spiele in einem Bundesland zu spielen, da dürfen die Hallen schon über das gesamte Bundesgebiet verteilt sein. Das zeigt Flexibilität. Das IOC betont ja auch: Bitte, baut keine „weißen Elefanten“.


Wie zum Beispiel?
Wir brauchen in Österreich keine Eisschnelllaufhalle, weil der Sport nicht wahnsinnig betrieben wird. Deshalb suchen wir einen Ort, eine Stadt, wo es das schon gibt. Wir können das bundesländer-, aber auch nationenübergreifend machen.


Es gibt die Idee von Graz/Schladming, die extrem in Richtung Agenda 2020 geht. Haben Sie im IOC vorgefühlt, ob diese Idee Interesse weckt?
Selbstverständlich! Ich rede mit Vertretern der großen Wintersportverbände. Die sagen, sie würden jegliche Unterstützung angedeihen lassen, damit Spiele wieder in Europa stattfinden. Sie kennen Österreich als Veranstalterland mit bestens organisierten Veranstaltungen, guter Stimmung. Die Idee Graz/Steiermark würde auf fruchtbaren Boden fallen, wenn man das weiterspinnt. Ich höre bei allen, die Bezug zum Wintersport haben, schon starke Zuneigung.


Es gab zuletzt Negativschlagzeilen rund um das Marketingtool Olympia und das IOC, speziell in den Wintersport-Kernländern. Was kann man da dagegen tun?
Es muss gelingen, ein Land zu finden, das uns vorexerziert, dass Olympia auch ohne große Mittel und Neubauten großartig zu bewerkstelligen ist. Im Winter muss es gelingen, den Beweis anzutreten, das ernsthaft umzusetzen, was das IOC fordert und sogar maßgeblich unterstützen würde.


Warum?
Ganz einfach: Wenn man Winterspiele am Leben erhalten will, dann muss es gelingen, den Schritt zurück in die Wintersportländer zu finden.


Das IOC gilt als Altherren-Verein von Bonzen, die nur aufs Geld schauen. Stimmt das?
Das ist auch ein falsches Weltbild. Natürlich hat das IOC auch steigende Werbeeinnahmen, aber 90 Prozent werden wieder ausgeschüttet, an Nationale Olympische Komitees. Das Geld wird nicht gehortet, es wird sinnvoll wieder in den Sport investiert.


Aber das kommt nicht rüber ...
Stimmt. Weil es Schattenseiten gibt, das gebe ich zu. Aber wo gibt es die nicht? Das ist keine Entschuldigung dafür, dass es immer wieder Korruptionsfälle gibt. Die tun weh.


Und doch gibt es IOC-Mitglieder mit, sagen wir, Nähe zu kriminellen Machenschaften. Wie kann man das ändern?
Indem man sie sukzessive austauscht. Es wurden Reformen eingeleitet: Es gibt keine lebenslange Mitgliedschaft mehr, es gibt Altersbegrenzungen. Und mit Ausnahme des Präsidenten kein Entgelt. Nur Flüge und Hotel werden übernommen. Aber wer glaubt mir das schon?


Apropos Bach: Da gibt es den Vorwurf, er sei zu gut mit Wladimir Putin befreundet, helfe in der Doping-Affäre. Stimmt das?
In welchen Freundschaftsverhältnissen Präsident Bach steht, weiß ich nicht und da will ich mir keine Meinung aneignen. Das andere stimmt nicht, denn der Präsident trifft keine Entscheidung alleine.


Und die Nähe zu totalitären Systemen?
Wenn man das nicht will, dann sollen es die europäischen Länder endlich zulassen, dass man die Chance hat, Spiele auszutragen. Dann kommt dieser Vorwurf nicht mehr. Man kann nicht immer schimpfen, dass Spiele an autokratische, totalitäre Systeme vergeben werden, und selbst ist man nicht bereit, etwas zu tun und der Welt zu beweisen, dass demokratische Länder Spiele gut organisieren und durchführen können.


Bei den letzten Olympia-Vergaben war es immer wichtiger, neue Märkte zu erschließen. Ist es richtig, dass man nur dahin geht, wo das Geld ist?
Nein. Es gibt zwar Länder, die das forcieren. Aber es gibt genug Länder, die das Gegenteil beweisen wollen. Aber man kann auch keinem Staat verbieten, sich zu bewerben.


Halten Sie Präsident Bach und das Exekutivkomitee für integer?
Ja!


Alle Ihre Kollegen? Legen Sie da auch die Hand ins Feuer?
Wer kann das schon? Auch in den Unternehmen, in denen ich gearbeitet habe, bin ich immer von den Gutmenschen ausgegangen, habe vertraut. Trotzdem ist es vorgekommen, dass vom Reinigungspersonal bis zum Croupier Jetons mitgelaufen sind. Das kann man nicht ausschließen. Leider gibt es auch solche Menschen, bis hin zum Vatikan. Ich würde keine Institution und keine Religionsgemeinschaft ausnehmen. Aber ich will mich nicht heiliger machen als der Papst. Das Einzige, was hilft: Transparenz.


Ist die politische Annäherung zwischen Süd- und Nordkorea doch etwas, wo Olympia seine Strahlkraft beweisen konnte? Oder ist das nur Show?
Ich glaube nicht, wenn man Trump und den Herren Kim verhandeln hätte lassen, dass das zustande gekommen wäre, was hier zustande gekommen ist. Das sind mehrere Monate Arbeit, viele Gespräche, da waren das IOC und Präsident Bach eine der treibenden Kräfte. Und es ist gelungen, Sportler aus beiden Ländern, die seit 65 Jahren keinen Friedensvertrag haben, gemeinsam antreten lässt. Das ist etwas Großartiges.


Eine Möglichkeit, dass sich das IOC wieder positiver präsentiert?
Ich finde es wichtig, dass wir viel mehr optimistische, positive Stimmung verbreiten. Das ist aber noch nicht der Weltfriede. Wenn man sich die Münchner Friedensgespräche anschaut, da wird einem angst und bang. Die reden ja, dass wir am Abgrund stehen, vor dem dritten Weltkrieg. Das ist eine andere, politische Ebene. Da können auch Olympische Spiele nicht helfen, das ist klar.