Für Geschlossenheit und Einigkeit war die Formel 1 noch nie bekannt. Bei nahezu jeder Diskussion gibt es ähnlich viele Meinungen, wie Boxen im Fahrerlager. Der Bösewicht ist immer ein anderer, der eigene Rennstall unschuldig, ein Opfer böswilliger Anschuldigungen. Selten tat sich dabei aber so große Gräben auf, wie jene, die derzeit in der Formel 1 herrschen. Die FIA bestätigte in einer Aussendung, dass Red Bull Racing im Vorjahr die vorgegebene Budgetobergrenze überschritten hat und ließ somit die Ampeln im GP der Anschuldigungen und Gerüchte auf Grün springen.

Der Weltverband sprach dabei von einer geringfügigen Kostenüberschreitung, Sanktionen sollen nun geprüft werden. Genau Zahlen gibt es nicht, fix scheint nur, dass das Budget um weniger als fünf Prozent der vorgegebenen 148,6 Millionen US-Dollar überzogen wurde. Unwahrscheinlich, dass die FIA aufgrund dieses Vergehens WM-Punkte des Vorjahres abzieht, als Kavaliersdelikt wird das Verfahren bei Red Bull aber dennoch nicht abgetan. "Ich werde mich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern", erklärte Motorsportberater Helmut Marko auf Nachfrage und zeigte sich somit weitaus weniger gesprächig, als sonst üblich. Der 79-Jährige hielt nur fest: "Wir befinden uns in konstruktiven Gesprächen mit der FIA." 

Genau diese trug mit ihrem Vorgehen in diesem Fall einmal mehr zur Eskalation der Situation bei. Theoretisch reicht eine "geringfügige Überschreitung" bis zu 7,25 Millionen Dollar. Da in der Aussendung keine genaue Summe angegeben wurde, geht die Bullen-Konkurrenz bereits auf die Barrikaden. Ferrari Teamchef Mattia Binotto versuchte sich als Mathematiker und erklärte, dass ein bis zwei Millionen Dollar einen Vorteil von bis zu 0,2 Sekunden pro Runde ausmachen können. Zwar sank das Vertrauen in Berechnungen aus dem Hause Ferrari in dieser Saison, völlig daneben dürfte der Italiener mit seiner Annahme aber nicht liegen. Generell halten Experten fest, dass kleinere Teams, wie etwa Haas, für die komplette Saison ein Entwicklungsbudget von gerade einmal 2,5 Millionen Dollar zur Verfügung hätten.

Somit wären auch Überschreitungen in niedriger Millionenhöhe hart zu bestrafen, poltern Mercedes und Co. Dabei wird auch immer wieder ein Zitat von Formel-1-Sportdirektor Ross Brawn aus dem Jahre 2019 ausgegraben. "Dieses Regelwerk hat Biss. Wenn du betrügerisch die Finanzregeln brichst, wirst du deinen WM-Titel verlieren." Wie viel Biss die FIA in dieser Thematik tatsächlich beweist, bleibt abzuwarten. Kaum jemand rechnet wirklich mit dem Verlust des WM-Titels aus dem Vorjahr. Von einer Geldstrafe über einen massiven Punkteabzug bis zum Kürzen des Budgets für 2023 scheint aber zumindest theoretisch alles möglich zu sein.

Während sich die "Bullen" in einer Aussendung "überrascht" zeigten und dem Vernehmen nach mit unerwartet hohen Catering-Kosten als Grund für die Überschreitung argumentieren, spricht die Konkurrenz von Finanzdoping, welches genauso hart bestraft gehöre, wie echtes Doping. Klar scheint nur, dass der Fall die Formel 1 noch länger beschäftigen. Sollten die "konstruktiven Gespräche" zwischen Red Bull und der FIA kein Ergebnis bringen, könnte das Verfahren vor einem eigens dafür eingerichteten Finanzgericht landen. Gegen ein Urteil könnte dann noch vor dem Internationalen Berufungsgericht der FIA Einspruch eingelegt werden. So oder so steht der Weltverband vor einem Dilemma. Ist die Strafe zu milde, werden andere Teams überlegen, das Budget bewusst zu überziehen. Urteilt man zu hart, ist der nächste Eklat haugemacht.