Fast 50 von 52 Runden herrschte beim britischen Grand Prix in Silverstone eher gepflegte Langeweile: Auch zwei Safety-Cars nach Unfällen von Kevin Magnussen und Daniil Kwjat schienen nichts daran zu ändern, dass Lewis Hamilton und Valtteri Bottas wieder einmal einem souveränen Mercedes-Doppelsieg entgegenfuhren. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse: Zuerst gab am Bottas-Mercedes der linke Vorderreifen seinen Geist auf, der Finne schleppte sich an die Box – woraufhin Red Bull die Entscheidung traf, den bis dahin Drittplatzierten noch einmal zu einem schnellen Boxenstopp hereinzuholen – um eventuellen Risiken vorzubeugen und auf neuen Gummis noch die schnellste Rennrunde zu fahren.

Eine Entscheidung, die man noch bereuen sollte: Denn in der allerletzten Runde verabschiedete sich auch bei Hamilton ein Reifen, ohne den Stopp hätte Verstappen also gewonnen. „Aber so etwas kann man nicht ahnen, ich bin auch mit Platz zwei ziemlich zufrieden", war der Holländer trotzdem nicht allzu enttäuscht.

So reichte es für Hamilton gerade noch für seinen siebten Sieg in Silverstone: „Als Valtteri sein Problem bekam, habe ich mir meine Reifen natürlich auch angeschaut, das sah eigentlich noch ganz okay aus, aber ich habe dann doch auch ein bisschen langsamer gemacht. Trotzdem hat es dann auf einen Schlag getan... Ich musste dann einfach versuchen, das Auto noch irgendwie um die Kurven zu kriegen, es wurde immer schwieriger, mein Vorsprung ist immer kleiner geworden... So etwas habe ich noch nie erlebt, mir ist regelrecht das Herz stehen geblieben“, war der Weltmeister noch ganz gefangen in seinen Emotionen, „aber irgendwie hat es doch noch gereicht...“

Für die Deutschen war es ein schlechter Tag: Nico Hülkenberg, kurzfristig als Ersatzfahrer bei Racing Point für den mit Corona infizierten Sergio Perez eingesprungen, kam doch nicht zu seinem Formel-1-Comeback: An seinem Racing Point-Mercedes gab es ein Problem mit dem Antriebsstrang auf, als er sich auf dem Weg zur Startaufstellung machen wollte. „Ganz genau kann ich es auch nicht sagen. Irgendwie war der Motor nicht anzukriegen. Das ist alles was ich weiß. Das ist bitter. Es war ein unfassbarer Krimi die letzten Tage. Und jetzt das.“ Wahrscheinlich bekommt der Emmericher aber nächste Woche noch einmal eine Chance, da die britischen Quarantänebestimmungen derzeit normalerweise zehn Tage Isolation vorsehen.

Sebastian Vettel als Zehnter bezahlte den Preis für ein vom ersten Tag an verkorkstes Wochenende. Am Freitag wegen technischen Problemen mit einem Ladeluftkühler und einem losen Bremspedal kaum gefahren, am Samstag früh durch das gleiche Problem mit dem Pedal wieder viel Zeit verloren, kam er im Qualifying nur auf Platz zehn – weil der auf dieser Strecke so wichtige Rhythmus, das Gefühl für die schnellen Kurven fehlte. Von dort aus stand er auf verlorenem Posten: „Ich habe alles probiert, was ich kann, aber irgendwie kamen das Auto und ich nicht zusammen. Es hat einfach das Vertrauen gefehlt. Sobald ich versuche, zu attackieren, geht nichts mehr. Normalerweise sollte ich mit meiner Erfahrung in der Lage sein, im Laufe der Zeit diese verpassten Runden wieder gutzumachen, aber es hat einfach nichts gepasst. Ich war am Start noch ganz guter Hoffnung, habe dann aber schnell gemerkt, dass wieder nichts geht.“

Auch Teamkollege Charles Leclerc, im Qualifying Vierter und dann durch das Chaos der letzten Runden noch als Dritter auf dem Podium, gab zu: „Wir haben zwar heute das Optimale herausgeholt, deshalb bin ich auch zufrieden. Aber das ändert nichts daran, dass wir viel zu langsam sind.“ Wobei es am Samstag in Sachen Leclerc schon wieder einige hochgezogene Augenbrauen im Fahrerlager gab: Weil der Monegasse als einziger aller Fahrer mit Ferrari-Motor im Heck auf einmal doch wieder hohe Top-Speeds erzielte. „Das ist schon alles etwas merkwürdig“, beobachtete Red-Bull-Motorsportkoordinator Helmut Marko. „Es ist uns ein Rätsel, wo Leclerc die Geschwindigkeit hergeholt hat. Er war schneller auf den Geraden als wir. Allerdings scheint das nur bei ihm der Fall gewesen zu sein, nicht bei Vettel.“ Der hält sich im Moment mit Vermutungen jeder Art zumindest öffentlich noch zurück: „Ich will niemandem böse Absicht unterstellen. Es lief auch bei mir an diesem Wochenende nicht rund...“