Giuseppe "Pino" Allievi ist einer der letzten Doyens unter den Formel-1-Journalisten. Ein angenehmer, stets höflicher Italiener der alten Schule. Er ging noch bei Enzo Ferrari in Maranello ein und aus, war und ist bei Generationen von Ferrari-Piloten hoch angesehen. Auch bei Bernie Ecclestone hat sein Wort Gewicht. Sagt Allievi, dass die heutige Formel 1 "sehr, sehr krank" sei, dann lässt so etwas im Zirkus aufhorchen.

In der rosaroten italienischen Sporttageszeitung "La Gazzetta dello Sport" hat Pino Allievi dieser Tage großflächig und quasi stellvertretend für Abermillionen von Fans auf der ganzen Welt in zehn Punkten eine Art Anklageschrift gegen die Formel 1 verfasst:

1. Die verantwortlichen Dachorganisationen Automobil-Weltverband (FIA) und "Formula One Management" (FOM) sind völlig veraltert und leben in einer anderen Zeit. Marketing und Kommunikation sind ihnen fremd, das Internet haben sie verschlafen. Dass sich die Formel 1 in nur einer Hand (Anm. Bernie Ecclestone) befindet, ist nicht mehr zeitgemäß.

2. Weder der FIA unter ihrem Präsidenten Jean Todt noch der FOM ist es gelungen, die Formel 1 nach modernen Richtlinien und Bedürfnissen von Fans und Sponsoren zu verkaufen.

3. Die heurige Technik- und Regelreform war zu viel an Neuem. Es wäre besser gewesen, die einzelnen Änderungen langsamer und etappenweise einzuführen, damit hätte man die Zuseher weniger überfordert.

4. Bernie Ecclestone und Luca di Montezemolo, der Ferrari-Chef, sind die mächtigsten Männer der Formel 1. Die heurige Saison hatte kaum begonnen, sind die zwei Herrschaften sofort über ihre eigene Formel 1 hergefallen, haben wechselweise dies, das und jenes kritisiert. Beide sind vier Jahre zuvor, als die Reformen beschlossen wurden, mit am Tisch gesessen.

5. Ein Formel-1-Rennen hängt heute von viel zu vielen Parametern ab. Die Piloten sind nur noch Roboter, der Sport wurde zu sehr limitiert und kommt zu kurz. Zudem greift FIA in Duelle auf der Rennstrecke zu oft und zu schnell mit Strafen ein.

6. Die Rennställe haben ihren Piloten den Mund verboten. Deren Aussagen werden vorher festgelegt, danach nochmals gefiltert. Die Antworten wirken dadurch banal, oft sogar dumm. "Was stellt zum Beispiel ein Sebastian Vettel dar?", fragt Allievi. "Okay, er war vier Mal Weltmeister. Aber er ist ein Pilot ohne Eigenschaften."

7. Das Regelwerk muss weniger kompliziert gestaltet werden. Die Aerodynamik ist nicht mehr nachvollziehbar. Das Auf- und Zuklappen der Heckflügel mittels DRS gehört sofort verbannt. Es ist eine Formel 1 für Ingenieure und Techniker, nicht mehr für die Menschen auf den Tribünen und vor den TV-Schirmen.

8. Die Geheimnisse rund um Autos und Datenmaterial sind unerträglich geworden. Warum wird zum Beispiel der Benzinverbrauch der Autos nicht detailliert angezeigt? "Journalisten dürfen eine Formel-1-Garage schon lange nicht mehr betreten, obwohl sie dort wertvolle und interessante Informationen erhalten würden", sagt Allievi.

9. Der Formel 1 fehlen ihre alten, traditionellen Rennstrecken. Statt in Imola, Frankreich oder Holland vor Hunderttausenden Fans wird in Aserbaidschan und Katar gefahren. Alles nur des Geldes wegen.

10. Die Formel 1 versteckt sich vor sich selbst und vor ihren Fans. Autos, Piloten und Techniker sind kaum noch zu sehen. "Ein Klima wie früher in der DDR", sagt Pino Allievi. "Für die Formel 1 reichen keine Änderungen mehr. Die Formel 1 braucht schnellstmöglich eine Revolution."