Können Sie sich eigentlich noch erinnern, wie und wann Ihnen Ayrton Senna zum ersten Mal aufgefallen ist?

SEBASTIAN VETTEL: Mein Vater war ein großer Senna-Fan. Er hat Senna sehr bewundert. Was bei mir wirklich hängen geblieben ist, ist der Moment, als Ayrton zum ersten Mal daheim in Brasilien gewonnen hat. Damals war er total erschöpft, man musste ihn auf dem Weg zum Podium sogar stützen - das ist so das erste Bild, das ich von ihm habe.

Sie haben seinen Unfall im Fernsehen live gesehen?

VETTEL: Ja, aber als Kind, mit sieben Jahren, da ist es sehr schwierig, sofort zu begreifen, was wirklich geschieht. Ich weiß allerdings noch ziemlich genau, dass ich lange mit meinem Vater vor dem Fernseher gesessen bin, dass nicht klar war, was ihm nun wirklich passiert ist, ob er vielleicht doch nur verletzt war. Ich glaube auch, dass mein Vater schon mehr verstanden und gewusst hat, aber es mir nicht so direkt sagen wollte.

Haben Sie später eigentlich noch mit vielen Leuten über Senna gesprochen?

VETTEL: Ich habe sehr viel mit Ingenieuren gesprochen, die früher mit Senna gearbeitet haben. Ingenieure bekommen da viel mehr mit. Besonders erinnere ich mich an die Gespräche mit Giorgio Ascanelli, am Anfang meiner Karriere, bei Toro Rosso. Es war natürlich eine große Ehre, dass der mich hin und wieder ein bisschen mit Senna verglichen hat.

Senna geriet immer wieder in Situationen, die eine Menge Polemik ausgelöst haben, weil er seine eigene Linie durchzog. Sehen Sie da manchmal gewisse Parallelen zu sich selbst?

VETTEL: Es ist für mich sehr schwierig, irgendwelche Vergleiche anzustellen, speziell über Jahrzehnte hinweg. Ganz sicher ist, dass Senna garantiert noch unglaublich viele Erfolge gefeiert hätte. Er hatte ja noch einige Zeit in der Formel 1 vor sich. Das ist ja auch ein Teil der Tragik. Deshalb ist es nicht fair, zu sagen, dass ich jetzt, mit meinem vierten WM-Titel, Senna übertroffen hätte. Außerdem halte ich generell nichts von Vergleichen. Jeder soll seinen eigenen Fußabdruck hinterlassen.

Sie interessieren sich ja auch für die Geschichte der Formel 1, kennen all die Autos, die Senna gefahren ist. Wenn Sie sich eines davon aussuchen könnten, welches würden Sie nehmen?

VETTEL: Den McLaren von 1993, der hatte damals die Nummer 8, glaube ich. Ayrton ist damit zwar nicht Weltmeister geworden, aber er hat es geschafft, fünf Rennen zu gewinnen, obwohl das Auto deutlich langsamer war als jene der Konkurrenz. Es war also er, sein Talent, das da gesiegt hat. Ich habe auch eine ganz besondere Beziehung zu diesem Auto, weil es das erste Formel-1-Modellauto war, das ich je besessen habe.

Was hat Ayrton Senna der Formel 1 auf Dauer hinterlassen?

VETTEL: Einen Eindruck, den niemand mehr wegwischen kann, unabhängig von allen Zahlen und Ergebnissen: Ich glaube, er war in jeder Beziehung etwas ganz Besonderes. Leider durfte ich ihn nie persönlich kennenlernen. Denn für mich war es nicht in erster Linie der Rennfahrer an sich, sondern mehr die Person dahinter, der Mensch unter dem Helm, was ihn von allen abgehoben hat. Was mich immer am meisten beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass er die Fähigkeit besaß, seinen Charakter, der einzigartig war, seine starke Persönlichkeit und seine Menschlichkeit, mit ins Auto zu transferieren und diesen Charakter dann auch auf der Strecke, in seinem Fahrstil, seiner Art, Herausforderungen anzugehen, auszudrücken.