Es war viel Glück, es hatten wohl gleich mehrere Schutzengel ihre Hände im Spiel bei diesen extrem gefährlichen Szenen, die sich am Sonntag auf dem Red-Bull-Ring abgespielt haben. Sowohl der Unfall von Enea Bastianini, als auch der Crash von Johann Zarco mit Franco Morbidelli, infolge dessen Valentino Rossi fast von den fliegenden Motorrädern getroffen worden wäre, war erschreckend. Natürlich tauchen in solchen Fällen sofort Fragen auf: Fahren die MotoGP-Piloten zu riskant? Ist der Red-Bull-Ring für die MotoGP zu gefährlich? Was muss geändert werden? Und wenn ja, warum nicht gleich?

Man muss vorausschicken, dass der MotoGP-Fahrer mit einem normalen Motorradfahrer nicht vergleichbar ist. Dazu wird die Leistungsdichte immer größer, es bewegen sich immer mehr Fahrer auf engstem Raum. Das zieht sich durch alle Klassen. Und wenn so viele um Siege und Platzierungen Schulter an Schulter kämpfen, dann kommt es zwangsläufig einmal vor, dass sich einer verschätzt.

Der Unfall von Enea Bastianini in der Moto2 war ein Sturz, der überall passieren kann. Das Motorrad liegt dann auf der Strecke, Hafizh Syahrin flog drüber. Ich wüsste nicht, wie man das in Zukunft verhindern sollte. Ich fürchte, solche Unfälle wird es immer wieder geben.

Beim Unfall zwischen Zarco und Morbidelli ist das schon ein bisschen anders. Ich denke, es war ein kleiner Moment, wo Zarco die Situation nicht richtig berechnet hat. Dieser leichte Linksknick, der gar nicht wie eine Kurve aussieht, hat es dennoch in sich. Selbst wenn du die perfekt fährst, alles richtig machst, zirkelst du da wegen der hohen Geschwindigkeit irgendwie herum. Allein das ist schon hohe Kunst, hier mit 300 km/h millimetergenau die Ideallinie zu treffen. In einem Zweikampf schaut das nochmals ganz anders aus. Und da muss ich schon ein wenig Kritik an Zarco üben: Er muss wissen, dass die Dynamik auf der Bremse, wenn du nicht perfekt auf der Ideallinie fährst, eine andere ist. Er traf eine Fehlentscheidung, im Bruchteil einer Sekunde. Aber die hätte zu einer Katastrophe führen können.

Auch Maverick Vinales entgeht knapp einer Katastrophe
Auch Maverick Vinales entgeht knapp einer Katastrophe © KK/MotoGP

Freilich sagt dann ein Valentino Rossi sofort: Bitte, was soll das? Das muss man doch richtig kalkulieren. Oder eine Runde mit der Attacke warten. Aber im Rennsport ist das so schwierig. Alle stehen unter Druck, fahren um einen Vertrag. Nüchtern betrachtet muss ich sagen: Ganz vermeiden werden sich auch solche Unfälle nicht lassen.

Es steht seit Sonntag auch im Raum, dass in der MotoGP zu aggressiv gefahren wird. Wir analysieren das auch im TV-Studio, schauen uns hundert Mal solche Szenen an. Und irgendwann kommt man drauf, dass Piloten unterschiedlich reagieren, sich einige Rennfahrer anders benehmen. So wie in einer Klasse mit 24 Schülern. Wenn es da zu einer Schlägerei am Schulhof kommt, sind letztlich halt doch immer wieder die drei, vier gleichen Burschen mittendrin.

Und so weiß man, wer für brenzlige Situationen anfällig ist. Johann Zarco ist in diesem Fall kein unbeschriebenes Blatt. Er hat schon bei so manchem Kollegen auf der Lederkombi sein Reifenprofil verewigt. Und so holt ihn immer wieder seine Vergangenheit ein. Freilich gibt es die Möglichkeit, Strafen auszusprechen, Zarco einmal für zwei, drei Rennen zu sperren. Diesmal war aber definitiv kein Vorsatz erkennbar.

Gefährlich wird es nur dann, wenn die Fahrer den gewissen Ur-Respekt verlieren. Das sollte und darf nie passieren. Egal ob man den Konkurrenten nun mag oder nicht. Das ist genau das, was auch Rossi angesprochen hat: Die Fahrer dürfen die Achtung voreinander nicht aufgeben. Sie müssen sich immer sagen: Wir sind ein elitärer Kreis, aber bitte, wir wollen jedes Wochenende lebend heimkommen. Diesen Sonntag hat Rossi seinen zweiten Geburtstag gefeiert.

Eine Frage muss noch beantwortet werden: Ist der Red-Bull-Ring zu gefährlich für die MotoGP? Nun, er hat schon ein spezielles Layout. So eine Stelle wie die zwischen Kurve zwei und drei, wo du auf der Bremse die Fahrbahn kreuzt, gibt es nur hier. Aber die MotoGP ist zuvor schon vier Jahre am Spielberg gefahren, nie gab es eine knappe Situation. Der Ring ist eigen, die vielen harten Bremszonen, aber grundsätzlich ist er nicht gefährlicher als andere Strecken.