Mitte Jänner kam eine freudige Nachricht aus China. 346 Millionen Menschen betrieben mittlerweile in Hallen oder unter freiem Himmel Wintersport. Die Hürde wäre damit genommen. Denn als Peking im Jahr 2015 das Austragungsrecht für die Olympischen Winterspiele 2022 erhielt, hatte die Regierung schnell vorausgesagt, bis zum Beginn der Spiele würden 300 Millionen in China zu Wintersportlerinnen und Wintersportlern werden. Das Versprechen sei nun eingelöst. Dazu seien die Pekinger Spiele noch besonders nachhaltig, wurde kommuniziert.

Das, obwohl etwa Carmen de Jong, Geografieprofessorin an der Universität Straßburg, zu einem komplett anderen Ergebnis kommt. „Beijing 2022“, sagte sie gegenüber dem Deutschlandfunk, seien die „unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten. Es ist einfach zu viel im Spiel, wie Wasser, Bodenverlust, CO2-Ausstoß.“ Die Olympia-Offiziellen rechtfertigten die Rodungen für neue Anlagen auch damit, dass so ein neues Land für den Wintersport begeistert werde. Und dies wäre gewissermaßen auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, zur Hinterlassenschaft der Pekinger Spiele.

Langwieriger Start in die Spiele

Schließlich kann China, das bis dato mit 14 Medaillen bei den Heim-Spielen einen Rekord aufgestellt hat, kaum auf eine Wintersporttradition zurückblicken. In den Jahrzehnten nach dem 1949 mit dem Sieg der Kommunisten geendeten Bürgerkrieg war das riesige Land zunächst mit sich selbst beschäftigt. Bei Olympischen Spielen wurde China durch das subtropische Taiwan repräsentiert. Nach 1972, als sich Festlandchina durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA allmählich auf der diplomatischen Bühne etablierte, entdeckte die Regierung auch den Sport: nicht zuletzt als Instrument, um mit Erfolgen für internationales Ansehen zu sorgen. Allerdings hatte Wintersport keine Priorität.

Mittlerweile ändert sich das. Seit dem Jahr 2000 wurden im ganzen Land Hunderte Skigebiete gebaut. 200 Schulen allein in Peking bieten jetzt Wintersportunterricht an, 2,1 Millionen Schülerinnen und Schüler sollen mittlerweile Wintersport betreiben. Dabei schlussfolgerte ein Bericht der Wirtschaftskammer Österreich aus dem vergangenen Jahr, der sich an Unternehmen richtet, die auf den potenziell riesigen chinesischen Markt drängen wollen: „Es gibt noch viel zu tun.“

Zumal unklar ist, inwieweit das Versprechen der Regierung gegenüber dem IOC und der eigenen Bevölkerung, China werde bis 2022 eine Wintersportnation, nun wirklich eingelöst ist. Die Statistik der 346 Millionen nun offenbar Wintersport betreibenden Personen ist zumindest großzügig bemessen worden. Die Umfrage des Nationalen Statistikbüros ergab außerdem, dass nur 40 Prozent der vermeintlichen Wintersportler zumindest einmal im Jahr aktiv gewesen sind. Bloß elf Prozent kommen auf mehr als drei Male Wintersport im Jahr. Fast alle Personen haben den Sport demnach spontan ausprobiert. Dabei geblieben sind offenbar nicht besonders viele.

Im Fußball an die Weltspitze

Auf dieser Grundlage von einer Wintersportnation zu sprechen, scheint fragwürdig. Doch es passt ins Bild – zusammen mit anderen großen Versprechen. So hat Chinas Staatschef Xi Jinping über die letzten Jahre in Aussicht gestellt, China werde im Fußball bald zur Weltspitze gehören. Zwar hat die Chinese Super League einige Jahre lang für Aufsehen gesorgt, indem mehrere hochkarätige Transfers abgeschlossen wurden. Mittlerweile haben viele Topspieler die Liga wieder verlassen.
„Für die nächsten 20 Jahre gibt es für China keine Hoffnung“, sagt Quiang Bay, ein Spielerberater und Förderer des chinesischen Fußballs. „Es wurde sehr viel Geld investiert. Wir haben auch Schulen dazu gebracht, Fußballunterricht anzubieten. Aber dann verklagten Eltern die Schulen, weil sich die Kinder im Unterricht verletzt hatten.“ Das Problem: Chinas Tradition setze Bildung an die oberste Stelle. „Wer viel Sport treibt, gilt eher als blöd, weil er sich nicht aufs Lernen konzentriert“, so Quiang Bay. Daher sieht er auch für den Wintersport kaum eine große Zukunft.

Möglich, dass die Winterspiele von Peking eine Generation für diverse alpine und Eissportarten begeistern werden. Dass dies deshalb nicht von Dauer sein muss, zeigt allerdings das Nachbarland Japan. Die Besucherzahlen in den Skigebieten der einstigen Olympiagastgeberstädte Nagano und Sapporo sinken seit Jahren. So kann es auch in China geschehen.