Die Briten überwanden zuletzt ihr Trauma vom Elferpunkt und sehen sich dadurch umso mehr bestärkt, in Russland eine über ein halbes Jahrhundert andauernde Wartezeit zu beenden. Der Traum vom zweiten WM-Titelgewinn für die Three Lions nach 1966 soll Harry Kane und Co. beflügeln. "Es ist eine große Möglichkeit. Wir werden diese Chance vielleicht nie wieder haben", sagte Manager Gareth Southgate schon mit Blick auf das große Ganze.

England stünde mit einem Erfolg erstmals seit 1990 auf WM-Ebene unter den besten vier Mannschaften. Im Halbfinale würde Gastgeber Russland oder Kroatien warten. Auf der Insel ist die Euphorie greifbar. Londons Bürgermeister Sadiq Khan plant schon Public-Viewings am Trafalgar Square und Hyde Park für Halbfinale und Endspiel. Southgate wollte den Optimismus nicht bremsen. "Wir wollen unsere Geschichte weiterschrieben", sagte er, forderte gleichzeitig jedoch Respekt vor den Schweden ein.

"Sie sind ein richtiges Team und in der Vergangenheit unterschätzt worden. Wir werden diesen Fehler nicht machen", betonte der 47-Jährige. Verteidiger John Stones meinte: "Sie sind ohne Zweifel ein gutes Team. Sonst stünden sie nicht da, wo sie jetzt sind."

Nach dem gegen Kolumbien überwundenen Elfmetertrauma müssen die Briten heute ihr nächstes überwinden - und zwar jenes wegen nördlicher Mannschaften. Denn seit der WM 1990, als die Engländer in Italien zuletzt ein WM-Halbfinale erreicht haben, weisen die Briten eine äußerst magere Bilanz gegen sie auf: Nur drei von 13 Spielen konnten sie gewinnen, man erinnere sich an die Europameisterschaft 2016 in Frankreich, als der Stachel besonders tief saß und Island die Engländer im Achtelfinale aus dem Bewerb warf.

Die Schweden wurden in den vergangenen zwölf Monaten des öfteren unterschätzt. In der Qualifikation ließen sie zunächst die Niederlande hinter sich, im Play-off scheiterte dann Italien an den Nordländern. Bei der WM setzte sich das Team von Trainer Janne Andersson in der Gruppe mit Deutschland als Erster durch. Die Schweden sind für England traditionell ein schwerer Gegner. In 24 Duellen mit der Blagult (Blaugelbe) gab es acht englische und sieben schwedische Siege. Zuletzt gewann Schweden ein Freundschaftsspiel in Stockholm im November 2012 nach vier Ibrahimovic-Toren mit 4:2.

Wie Southgate anführte, seien die Gegner außerdem älter und erfahrener als sein Team. England ist die laut Statistik unerfahrenste Elf, die im Viertelfinale steht. Die Mannschaft soll eigentlich erst bei der EM 2020 und der WM 2022 ihren Leistungszenit erreicht haben. Die Schweden haben indes vielleicht nicht mehr die schnellste Elf, sind aber auch nur schwer zu knacken wie nur zwei Gegentore - beide beim 1:2 gegen Deutschland - im Turnierverlauf zeigen.

Das Zentrum dicht machen und vorne auf Effizienz setzen lautet das Motto der Schweden. Wie Kapitän Andreas Granqvist anmerkte, seien die Gegner normalerweise auf dem Papier besser. "Aber wenn man unsere Spiele verfolgt hat, sieht man, dass die Gegner immer mehr Ballbesitz hatten, wir aber mehr gefährliche Chancen herausgespielt haben", betonte der 33-Jährige, der nach der WM in seine Heimatstadt Helsingborg zurückkehren wird. Bei Wigan Athletic hatte sich Granqvist vor zehn Jahren in der Premier League nicht durchsetzen können.

Die schwedische Kompaktheit soll im ersten Viertelfinal-Auftritt bei einer WM seit 1994 auch in Samara stechen. Rechtsverteidiger Mikael Lustig ist nach seiner zweiten Gelben Karte gesperrt. Fraglich war Mittelfeldstratege Albin Ekdal aufgrund von Fußproblemen. Sein im Achtelfinale gegen die Schweiz gesperrter Nebenmann Sebastian Larsson wird zurückkehren. Der seit 17 Jahren in England spielende 33-Jährige führte die mentale Stärke als Plus seines Teams an. "Wir verlieren nicht die Bodenhaftung und wissen, welche Qualitäten wir haben." England habe viele großartige Spieler. "Aber gleichzeitig hat England auch seine Dämonen zu bekämpfen und der Druck liegt bei ihnen. Es wäre ein riesiges Fiasko, wenn sie gegen Schweden ausscheiden", urteilte Larsson.

Bei England drohte der Ausfall von Jamie Vardy. Der Stürmer, erster Ersatzmann von Harry Kane, konnte im Training am Freitag wegen Leistenbeschwerden nur das Aufwärmprogramm absolvieren. Die beim im Elfmeterschießen eingefahrenen Achtelfinal-Erfolg über Kolumbien angeschlagen ausgewechselten Ashley Young und Kyle Walker sind laut Southgate wieder fit. Englands Teamchef wollte aber bis zuletzt abwarten, wer zu hundert Prozent bereit sei. "Wenn wir Spieler haben, die bei 75 Prozent sind, dann werden andere kommen", stellte er klar.