Die Schweiz rang dem Titelfavoriten am Sonntagabend in Rostow ein 1:1 (0:1) ab. Der brasilianische Teamchef Tite beklagte danach den "Druck", dem sein Team vor dem ersten Auftritt ausgesetzt gewesen sei. Er habe eine gewisse "Anspannung" gesehen.

"Diese Art von Nervosität kommt von der Unsicherheit vor dem ersten WM-Spiel. Sogar der Trainer war nervös", meinte der 57-Jährige, der gegen die Schweizer seinen ersten Auftritt auf der Weltbühne hatte. Dem Spiel seiner Mannschaft habe die nötige Präzision gefehlt, urteilte Tite. Außerdem war dann noch das Gegentor. Dass Torschütze Steven Zuber Gegenspieler Joao Miranda vor dem 1:1 (50.) ungeahndet einen leichten Schubser verpasste, regte die Brasilianer auf.

Vor allem stieß den Südamerikanern auf, dass der Videobeweis nicht einmal zum Einsatz kam. "Es war ein Foul. Aber es gibt keine Möglichkeit, zu protestieren", sagte Tite. Als Ausrede wollte er es aber nicht gelten lassen. "Wir hätten kühleren Kopf bewahren müssen." Dass seine Elf nach dem Traumtor von Philippe Coutinho (20.) zu passiv war, fiel dem Nationalcoach auf. Erst im Finish drückten die Brasilianer wieder aufs Tempo, der Schweizer Abwehrriegel ließ sich aber nicht mehr knacken.

Wirkungslos blieb der mit einer eigenwilliger Haarpracht eingelaufene Neymar. Den Superstar nahmen die Eidgenossen weitgehend aus dem Spiel. Sowohl mit erlaubten, als auch unerlaubten Mitteln. Gleich zehnmal wurde der teuerste Spieler der Welt von den Beinen geholt - so oft wie kein anderer Spieler bei einer WM seit 20 Jahren. "Wir haben es ihm schwer gemacht, weil wir ihm auf den Füßen gestanden und nicht viel Platz gelassen haben", befand Schweiz-Torhüter Yann Sommer. "Ich glaube, er hatte nicht viel Spaß."

Neymar wurde zehnmal von den Schweizern gefoult
Neymar wurde zehnmal von den Schweizern gefoult © APA/AFP/JEWEL SAMAD

Dass der Erfolg von Brasilien in Russland von einem starken Neymar abhängt, ist im Land des Fünffach-Weltmeisters jedem bewusst. Mit Argusaugen wurde beobachtet, wie sich der Star von Paris Saint-Germain in seinem ersten Pflichtspiel nach seiner Mittelfußverletzung tut. "Er war nicht schlecht, aber er war unauffällig", befand der frühere Internationale und nunmehrige TV-Analyst Walter Casagrande. Das Internet-Portal Globo Esporte urteilte: "Die Nummer 10 zeigte eine neue Frisur, aber die Leistung war unter den Erwartungen."

Am Freitag im zweiten Gruppenspiel gegen Costa Rica werden brasilianische Tore vonnöten sein, um die Fans zu beruhigen. Ohne Sieg sind die Brasilianer jedenfalls schon seit 40 Jahren - einem 1:1 gegen Schweden - nicht mehr in eine WM gestartet. "Natürlich bin ich nicht zufrieden, denn ich hatte einen Sieg erwartet", räumte Tite ein.

Für die Schweiz gab es einen guten Start, aber nicht mehr. So in etwa ließen sich die Aussagen der Schweizer nach dem WM-Start in Rostow zusammenfassen. Auf dem Weg ins Achtelfinale ist ein Punkt gegen den Gruppenfavoriten noch nicht die halbe Miete. "Wir müssen mit den Füßen auf dem Boden bleiben und die nächsten zwei Spiele sehr seriös angehen. Das Spiel gegen Serbien am Freitag wird zu einer großen Herausforderung", sagte Valon Behrami mit Blick auf den nächsten Kontrahenten.

Der Mittelfeldspieler war schon vor acht Jahren dabei, als die Schweiz mit einem 1:0 gegen Spanien in die WM startet. In die K.o.-Phase schaffte es die "Nati" dann aber nicht. Behrami, der am Sonntag im Finish wegen einer leichten Adduktorenblessur ausgewechselt wurde, wollte keine Vergleiche anstellen. "Wir sind spielerisch besser als damals und von der Mentalität her reifer", betonte Behrami.

Nur einmal sind die Schweizer in ihren vergangenen zwölf Pflichtspielen als Verlierer vom Platz gegangen. Nationalcoach Vladimir Petkovic forderte nun mehr Respekt ein. "Ich hoffe, sie beginnen nun, von uns Notiz zu nehmen", erklärte der gebürtige Bosnier. "Manchmal mangelt es an Anerkennung, das ist schade." Versteckt habe sich die Schweiz auch gegen Brasilien nicht, hielten die Spieler fest - auch wenn Brasiliens Torhüter Alisson im Grunde beschäftigungslos war. Am Ende wies die offizielle Statistik nur einen einzigen (erfolgreichen) Schuss auf das Tor des Favoriten aus.